Die Pandemie hat viele Familien hart getroffen. Die Kitas waren geschlossen, privat durfte man sich nur eingeschränkt mit Freund*innen treffen. Der Kindergeburtstag fiel aus, Großeltern durften nicht besucht werden. Kinder, deren Eltern im Homeoffice arbeiteten, mussten sich darauf einstellen und sich anpassen. Der Alltag mit Einschränkungen, neuen Verhaltensregeln sowie Schutz- und Hygienemaßnahmen hielt monatelang an. Vieles davon war für Kinder nicht verständlich. Daraus entwickelten sich bei manchen Kindern Verhaltensweisen, die wir vorher nicht kannten. Einige zogen sich zurück, waren traurig, andere reagierten aggressiv. Viele Eltern fragten sich, ob ihr Kind diese Krise meistern könne und wie sie auf solche Gefühle reagieren sollten. Sie wünschten sich für ihr Kind eine glückliche, sorglose Kindheit fern von Krisen.
In dieser herausfordernden Zeit wollten wir die Kinder und ihre Familien nicht alleinlassen und erarbeiteten im Team das Jahresprojekt „Resilienz: unser Weg zum Glück“, das Bewältigungskompetenzen, Achtsamkeit und Wertschätzung anderen Menschen gegenüber sowie die Entwicklung einer Glückskompetenz zum Schwerpunkt hatte. Die Anstrengung, etwas dafür zu tun, um glücklicher zu werden, lohnt sich. Denn ein solches Bemühen beugt Burn-out vor, macht zufrieden und stark.1
Das Streben nach Glück
Auf der Suche nach dem Glück geht jeder Mensch individuelle Wege. Nicht immer wissen Menschen, was sie glücklich macht, und manchmal steht ihr Handeln auch im Widerspruch zu ihren Bedürfnissen.2 Ein spielerisches Heranführen an Glückskompetenzen kann dazu beitragen, dass Kinder ein Bewusstsein für ihre eigenen Glücksbedürfnisse entwickeln. Gleichzeitig lernen sie zu erkennen, was tiefes Glücksempfinden ausmacht. Mehrere Studien zu Alltagsstrategien der Schaffung und des Erhalts von Glücksgefühlen und Wohlbefinden haben gezeigt, dass Menschen (enge) soziale Beziehungen, positive Aktivitäten wie Entspannung oder Geselligkeit sowie Hobbys und Naturerfahrungen als beglückend empfinden.4 Diese drei Kategorien haben wir in der Planung unseres Projekts berücksichtigt und kindorientiert herausgearbeitet. Bei der Entfaltung von Glückskompetenzen geht es um die Förderung der emotionalen und sozialen Kompetenz, Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber, die Übernahme von Eigenverantwortung, das Heranreifen zu einer resilienten und authentischen Person, die Fähigkeit, mit Problemen und schwierigen Herausforderungen sinnvoll umgehen zu können, das Erlernen von Strategien und Handlungsweisen.
Unser Glücksprogramm
An einem Planungstag im November 2021 setzte sich das gesamte Team zusammen, um das Projekt organisatorisch und methodisch zu entwickeln. Schnell war uns klar, dass es bei der Thematik Glück nicht nur um eine Aneinanderreihung von Glücksmomenten für die Kinder gehen soll. Das Team setzte sich mit verschiedensten Medien auseinander, suchte und entwickelte kindgerechte Methoden zur Umsetzung des Projektes. Ideen wurden gesammelt und bewertet. Werden die Richtlinien der Bildung für nachhaltige Entwicklung berücksichtigt? Die Mitarbeiter*innen überlegten, was Glück für sie bedeutet, und gestalteten eigene Glücks-Mindmaps. Wir bildeten verschiedene Expert*innenteams. Diese Teams legten die Themenschwerpunkte für jede der fünf Projektwochen fest.
Unter der Überschrift „Glück – was ist das?“ starteten wir in unsere erste Projektwoche. Zunächst wollten wir die Kinder an das Thema heranführen. Das Zusammenpuzzeln einzelner Symbole, die sinnbildlich für das Thema Glück stehen, eine individuelle „warme Dusche“, bei der die Kinder von der gesamten Gruppe mit Lob, Komplimenten und positivem Feedback „übergossen“ wurden, das Backen von Glückskeksen, das Verschenken von Glückskarten für eine geliebte Person oder das gemeinsame Ansehen des Films „Was macht glücklich?“, das waren nur einige von zahlreichen Aktivitäten, die zusammengenommen am Ende der Woche ein vielfältiges Bild des Themas Glück zeichneten.
Die zweite Projektwoche basierte auf der Bilderbuchvorlage „Frederick“ von Leo Lionni und beschäftigte sich mit der Frage: „Was bedeutet Glück?“ Den Inhalt des Buches beleuchteten wir auf unterschiedlichste Art und Weise. Wir lasen, hörten, schauten und tauschten uns darüber aus. Außerdem bastelten wir und stellten in Form einer großen Gemeinschaftscollage die Rahmenbedingungen der Handlung dar. Die Kernhandlung spielten wir als Tischtheater und schufen mit Naturmaterialien eine landschaftliche Kulisse, in der die Kinder mit ihren eigenen Fredericks in Rollenspielen die Geschichte durchleben konnten. Die Erkenntnis, dass die wichtigen Dinge – Dinge, die das „Glücklichsein“ ausmachen – nicht immer die offensichtlichsten sind, war am Ende dieser Woche für alle deutlich.
In der dritten Woche fragten wir uns, warum Glück eigentlich wichtig ist. Der Marienkäfer Ben musste eine Reise unternehmen, um seine verloren gegangenen Punkte wiederzuerlangen. Er wusste nicht mehr, was Glück war. Auf dieser Reise – die jedes Kind mit einem eigenen Käfer miterleben durfte – traf Ben auf die unterschiedlichsten Charaktere, von denen er etwas über das Glück lernte und durch das so gewonnene Wissen Punkt für Punkt zurückbekam
Auch der vierten Projektwoche ordneten wir ein konkretes Motto zu: Glück mit allen Sinnen erleben. In dieser Einheit stand das praktische Erleben von Glück im Vordergrund. Wir hörten fröhliche, ausgelassene Musik im direkten Vergleich mit einsamen, melancholischen Tönen, probierten Lachyoga aus und sahen uns lustige Sketche an. Außerdem richteten wir ein Glücksbüfett ein, das aus zahlreichen individuellen Lieblingsprodukten der Kinder bestand.
In unserer fünften und abschließenden Projektwoche ging es um das Glück im Kleinen. Wo – und vor allem wie – können wir Glück im Alltag erleben und erfahren? Wir backten Waffeln, unternahmen eine Traumreise zum Lieblingsort und säten Glücksklee. Im Mittelpunkt stand jedoch das Thema Marienkäfer. Wir beobachteten die einzelnen Entwicklungsstadien vom Ei über die Larve bis hin zum Schlüpfen der Käfer und gestalteten ein Marienkäferhotel.
Über die fünf benannten Projektwochen hinaus hat das „Glück“ auch in unserem Kita-Alltag Einzug gehalten. Wöchentliche Kinderyoga-Einheiten oder eine fest integrierte „Glücksstunde“ zu dem Thema Achtsamkeit schufen einen Rahmen, der es ermöglichte, die Inhalte aus den Projektwochen regelmäßig aufzugreifen und zu vertiefen. Hier lernen die Kinder Achtsamkeit und entwickeln ein Gefühl für ihren Körper, was ihnen guttut, und kommen mit den Übungen zur Ruhe.
Glück für die Jüngsten
Auch die Fachkräfte der beiden Krippengruppen überlegten sich, wie sie das Thema Glück in der Krippe umsetzen können. Dafür wollten sie viele kleine Momente kreieren, um den Kindern den Begriff Glück erlebbar zu machen. Da die Kinder noch nicht die Möglichkeit haben, sich sprachlich differenziert auszudrücken, war viel Kreativität gefragt. So wurden die Eltern als Expert*innen ihrer Kinder mit eingebunden und erstellten zu Hause mit ihren Kindern eine Glückscollage. Diese sollte die Vorlieben ihres Kindes für Spielsachen, Essen, Gegenstände, lustige Momente und freudige Ereignisse aus dem Familienalltag der Kinder erhalten. Die Glückscollagen wurden in der Kita im Sichtbereich der Kinder ausgehängt.
Aufbauend auf der Collage und Alltagsbeobachtungen aus der Krippe gestaltete jede Fachkraft einen Glückstag für ihre Bezugskinder. Kinder, die sich sprachlich bereits gut ausdrücken konnten, brachten ihre Ideen für ihren Glückstag ebenso mit ein. Ziel war es, einen Tag zu gestalten, der den Kindern Spaß und sie glücklich macht. Um die Vorfreude auf den Tag zu wecken und das jeweilige Kind hervorzuheben, hing am Morgen des Glückstages ein Glückskäfer am Garderobenplatz des Kindes.
Um sinnlich erfahrbare Glücksmomente zu schaffen, stellten die Fachkräfte mit den Kindern eine Creme selbst her. Sie bestand aus Sheabutter, Bienenwachs und Mandelöl. Bei der Herstellung konnten die Kinder die verschiedenen Konsistenzen der Bestandteile spüren. Die fertige Creme kam in den folgenden Wochen oft zum Einsatz, unter anderem in der „Kitzelkiste“. Inhalt dieser Kiste waren neben der Creme zum Beispiel Chiffontücher, verschiedene Gesichtspinsel und Kinderhaarbürsten, ein Kopfmassagetool, Igelbälle und Puderquasten. Die Kiste sollte die Kinder dazu einladen, sich selbst wahrzunehmen, verschiedene Formen der Berührung zu erfahren, aber auch in Kontakt mit den anderen Kindern zu treten und diese mithilfe der Gegenstände liebevoll und achtsam zu berühren. Die Kitzelkiste war stets in Reichweite der Kinder und für alle offen zugänglich.
Glück für die Eltern
Parallel zur ersten Glückswoche veranstalteten wir im November 2021 einen großen Elternabend, auf dem wir den Eltern unser Jahresprojekt vorstellten. Wir wollten sie beteiligen und miteinbeziehen. Über eine Geschichte und eine Achtsamkeitsübung stimmten wir die Eltern auf das Thema ein. Zusätzlich führten wir ein Brainstorming zur Frage „Was ist Glück?“ durch. Durch die hohe Akzeptanz kamen auch verschiedene neue Ideen und Wünsche der Eltern an diesem Projekt auf, zum Beispiel, dass die Kinder in dem Projekt lernen sollten, neben den positiven Glücksgefühlen auch mit negativen Gefühlen angemessen umzugehen. Ein regelmäßiger Newsletter informierte die Eltern in der darauffolgenden Zeit, was die Kinder in den einzelnen Glückswochen erlebt hatten.
Trotz der oft widrigen Gegebenheiten (Corona) konnten wir alle geplanten Inhalte umsetzen – ein Umstand, der uns als Team zufrieden und stolz macht. Auch im Umfeld der Kita, bei Elternschaft, Träger oder externen Kolleg*innen hat das Projekt einen durchweg positiven Nachhall hinterlassen. Im Stadtteil gab es beispielsweise die Anregung zu einer Fortsetzung der Glücksstunden im Grundschulbereich. Bei den Kindern ist das Thema Glück nicht aus dem Alltag verschwunden. Immer wieder werden Bücher aus den Projektwochen nachgefragt, in Gesprächen Erinnerungen an Aktivitäten herausgekramt oder wird schlicht festgestellt, dass heute wohl ein Glückstag sein müsse, wenn im Garten ein Marienkäfer entdeckt wird. Bei einigen der älteren Kinder beobachten wir, dass sie in der Lage sind, Begriffe wie „Glück“ oder „glücklich sein“ mit Inhalt zu füllen und auf die eigene Lebenswelt zu übertragen. Das ist für uns eine weitere Bestätigung für ein rundum gelungenes Projekt.
Lachyoga
Lach doch mal! Erwachsene tun es rund 15-mal, Kinder etwa 400-mal am Tag. Lachen, kichern, gackern, glucksen – Lachen ist in jeder Form richtig gesund. Es stärkt das Immunsystem und man wird weniger schnell krank. Wer viel lacht, fühlt sich einfach besser und ist glücklicher. Lachen hilft den Kindern, Stress abzubauen.5
Filmtipp
Im Film „Was macht glücklich?“ aus der Sendung mit dem Elefanten, WDR 2013 (für Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren), werden Alltagsbeispiele von Situationen gezeigt, in denen Kinder Glück empfinden, zum Beispiel jemanden beschenken, mit den Fingern essen dürfen oder albern sein.