Mesut darf heute beim Essen auf Lydias Schoß sitzen. Gestern musste er nicht mit den anderen Kindern in die Turnhalle gehen, und an der Hand läuft er auch noch, während die anderen Kinder allein in den Garten gehen. „Immer diese Extrawurst“, klagen Lydias Kolleg:innen genervt. „Das geht nicht auf Dauer. Was ist, wenn du krank bist oder Urlaub hast? Wir machen das dann nicht.“
Mesut ist gerade erst eingewöhnt worden und tut sich mit der Gruppengröße und der Lautstärke in den Räumen schwer. Er fühlt sich unsicher und überfordert. Lydia gibt ihm die Sicherheit, die er im Augenblick benötigt. Sie lässt ihn in seinem Tempo ankommen, weil es ihr wichtig ist, dass er einen guten Start hat. Für sie ist nicht jedes Kind gleich oder gleich schnell eingewöhnt. Sie nimmt gerne die Besonderheiten der Kinder wahr und reagiert individuell auf diese. Nur weil Situationen ein-, zwei- oder dreimal anders laufen, bedeutet es nicht, dass damit der gesamte Ablaufplan ins Wanken gerät. Es bedeutet lediglich, dass es heute mal anders ist. Und vielleicht auch morgen. Und dann sehen wir weiter. Tag für Tag. Nicht jedes Kind hat zur gleichen Zeit das gleiche Bedürfnis nach Nähe oder Aufmerksamkeit. Kinder wenden sich auch nicht an uns, weil sie uns ärgern, auf der Nase herumtanzen oder zum Lieblingskind werden wollen – sondern einfach nur deshalb, weil es sich für sie gerade richtig und gut anfühlt.
Welche Bedürfnisse haben die Kinder in Ihrer Gruppe und wann ermöglichen Sie ihnen eine Extrawurst? Manchmal bedeutet es auch zu sagen: „Luis, ich lese gerade das Buch mit Sophia zu Ende, wir sind bereits auf der letzten Seite. Dann können wir deinen Ball suchen.“ Es ist nicht immer ersichtlich, was Kinder gerade beschäftigt oder welchen Entwicklungsschritt sie durchleben. Eine Extraportion Zugewandtheit, Aufmerksamkeit und Unterstützung sowie Vertrauen in die Fähigkeiten, Interessen und den Lernprozess – tut das nicht uns allen gut? Auch wir wachsen an Erfahrungen, entwickeln uns weiter, verlassen bekannte Wege, lernen Neues und freuen uns über Menschen, die uns dabei zur Seite stehen und unser Tempo mit uns gehen.
Die Glücksbox
Gehen Sie die nächsten Schritte barfuß: in den Garten, an das andere Ende des Gruppenraumes oder auch zur Küche, und achten Sie darauf, wie Sie die Kita über Ihre Füße wahrnehmen. Den weichen Teppich im Schlafraum, das kühle Gras, die kleinen Steine oder der sandige Untergrund im Garten: Wie fühlt es sich an? Was empfinden Sie als an- oder unangenehm, was kitzelt, was tut überraschend gut?