Zweisprachige Bilder- und Kinderbücher bieten nicht nur die Gelegenheit, die Sprachkompetenz in zwei oder mehr Sprachen zu entwickeln, sondern wecken auch das Interesse für verschiedene Kulturen und Lebensweisen. Durch gezieltes Vorlesen und Diskutieren über den Inhalt können Kinder ihre Fähigkeiten in beiden Sprachen ausbauen und gleichzeitig ihre kognitive Entwicklung und ihr kritisches Denken fördern. In Ich bin schon groß! verspätet sich Rana und findet keinen Platz am Frühstückstisch. Sie möchte sich zu den Vorschulkindern setzen, darf das aber nicht, denn sie ist noch nicht „groß“.
- Bilden Sie darüber den Einstieg und fragen Sie die Kinder nach ihren Erfahrungen.
- Das Mädchen auf dem Cover steht auf einem Hocker und streckt den Arm aus, um hoch an die Messlatte zu kommen. Haben Sie eine Messlatte in der Gruppe? Erinnern Sie die Kinder daran oder gehen Sie kurz dorthin.
- Eine kleine Spinne baumelt von dem Titel des Buchs herunter – fragen Sie die Kinder, ob Sie Angst vor Spinnen haben oder ob sie mal Sorgen hatten oder beängstigt waren. Haben Sie womöglich Angst, (sprachlich) nicht verstanden zu werden? Ist diese Angst dieselbe wie die Angst vor einer Spinne oder ist es ein anderes Gefühl?
- Nutzen Sie spontane Äußerungen der Kinder zum dialogischen Lesen.
- Fragen Sie die Kinder, was es für sie bedeutet, „groß“ zu sein. Sind sie groß, wenn sie Fahrrad ohne Stützräder fahren können oder eingeschult werden?
Wenn Sie den Text in Deutsch und Türkisch vorlesen, fragen Sie die Kinder nach der Sprachmelodie des Türkischen. Was fällt ihnen auf? Versuchen Sie, den Text in Türkisch vorzulesen, auch wenn Sie keine Sprachkenntnisse haben. Sie haben möglicherweise Expert:innen in der Gruppe, die Ihnen die korrekte Aussprache verraten werden. Vielleicht ergibt sich daraus eine komische Situation und Sie amüsieren sich gemeinsam mit den Kindern. Das zeigt, dass auch Erwachsene noch Neues lernen und Sprache Spaß macht. Nebenbei kann dies Ihre Bindung zum Kind, aber auch das Selbstwertgefühl des Kindes stärken.
Gürz Abay, A. (2019): Ich bin schon groß! Ben
büyüdüm artik. Köln: Fizzy Lemon Publishing.
€ 8,95, ISBN 978-605-83280-8-2, ab 4 Jahre
Samis Sprache ist ein auf Deutsch geschriebenes Bilderbuch. Sami freut sich auf seinen ersten Tag in der Kita. Als er in der Einrichtung ankommt, bemerkt er, dass er etwas vergessen hat. Da er kein Deutsch kann, sagt er nur: „Fil“. Die Kinder übersetzen es als „viel“. Doch Sami hat eine andere Sprache und in dieser Sprache (Türkisch wie auch Arabisch) heißt „Fil“ Elefant! Sami hat sein Stofftier zu Hause vergessen und vermisst es.
- Auf der Metaebene können Sie das Thema der Geschichte (sprachliche Missverständnisse) sowie die Sprachenvielfalt auf der Welt besprechen.
- Fragen Sie, wie sich Tiere verständigen, und ob diese auch Sprachen nutzen. Lassen Sie die Kinder Tierlaute nachahmen und leiten Sie spielerisch in die Geschichte.
- Thematisieren Sie, dass auch Gesten und Mimik Mittel der Kommunikation sein können. Gesichtsausdrücke und Körperhaltung verraten viel über die Gefühlslage.
- Oder Sie finden über das Cover den Einstieg ins Thema: Sie sehen drei Kinder, vor denen Würfel liegen. Was ist auf den Würfeln zu sehen? Erklären Sie, dass aus Buchstaben Wörter entstehen. Aus Wörtern entsteht Sprache.
- Der Titel verrät uns, dass Sami eine Sprache hat. Ist diese Sprache Deutsch? Welche Sprache hat er?
Gürz Abay, A. (2023): Samis Sprache.
Köln: Fizzy Lemon Publishing. € 8,95,
ISBN 978-605-83280-7-5, ab 4 Jahre
Stichwort: „Making Family“
Die Vielfalt, die wir in der Kita erleben, ist nicht mehr als Diversität zu betrachten, sondern als Super-Diversität, da es nicht nur unterschiedliche Herkunftsländer, Sprachen und Kulturen gibt, sondern auch eine bunte Palette von Familienkonstellationen und vielfältige Beweggründe, nach Deutschland zu kommen. Es ist demnach nicht mehr möglich, von einer einzigen und eindeutigen Herkunft zu sprechen. Türkische Familien, die in vierter oder sogar fünfter Generation von Gastarbeitern in Deutschland leben, sind zum Beispiel anders sozialisiert als türkische Familien, die aktuell im Rahmen der Fachkräfte-Anwerbung als Mediziner:innen oder Krankenpfleger:innen zuziehen. Auch die traditionelle Familienstruktur befindet sich im Wandel. So spricht man von „Making Family“ – einem Konzept, das weit über die klassische Vorstellung von Familie hinausgeht, da das Konstrukt Familie bewusst „gemacht“ (to make) wird. In einer sich ständig verändernden Welt, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kulturen und Lebensweisen aufeinandertreffen, gewinnt das „Making Family“ an Bedeutung. Es bezieht sich auf den Prozess, in dem Menschen – unabhängig von Verwandtschaft – bewusst Beziehungen knüpfen und in gewisser Weise Familie schaffen.
Fazit
Diese vielschichtige Super-Diversität eröffnet eine Welt an Chancen und Herausforderungen in der Bildungslandschaft. So gilt nicht nur allein für die Sprach- und Leseförderung: Fachkräfte sind dazu ermutigt, innovative und inklusive Ansätze zu entwickeln, um Kindern aus allen Hintergründen ein inspirierendes, bereicherndes und wertschätzendes Kita-Erlebnis zu bieten.
Wie sich Sprachenvielfalt im Kita-Alltag einbinden und wertschätzen lässt, dazu bietet die Autorin Workshops an: www.gurzabay.de/workshops