Viele Kinderbücher werden geschlechtsspezifisch vermarktet. Was halten Sie davon?
Jedes Kind sollte sich für alle möglichen Dinge interessieren. Deshalb halte ich Geschlechterstempel auf Büchern für großen Quatsch. Baustellen oder Fahrzeuge finden alle Kleinkinder spannend – mal länger, mal kürzer. Gleiches gilt auch für Pferde oder Dinosaurier. Im Laufe der Zeit bilden sich Vorlieben oder Interessen heraus, gleichzeitig entsteht ein Bedürfnis, sich voneinander abzugrenzen. Plötzlich finden Jungs Einhörner doof, Mädchen feiern eher rosafarbene Geburtstage. Das gehört zur Suche der eigenen Identität dazu. Gleichzeitig sind Kinder im Vorschulalter durchaus in der Lage, Menschen differenziert wahrzunehmen. Diese Komplexität von Lebenswelten und Charakteren sollte sich eben auch in den Kinderbüchern widerspiegeln.
Wie wichtig sind hier Rollenvorbilder?
Bücher sind immer noch ein prägendes Medium für Kinder. In den Protagonist*innen finden sie Identifikationsmöglichkeiten. Entsprechend wichtig ist es, dass sich Kinder mit ihrer Lebensrealität in den Geschichten wiederfinden, auch als Handelnde. Zusätzlich eröffnet Vielfalt in Büchern die Chance für den Blick über den Tellerrand. Kinder erfahren von Dingen außerhalb der eigenen Lebensrealität, bekommen die Möglichkeit, andere Perspektiven einzunehmen, und erleben, dass es viele Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb unserer Gesellschaft gibt. Außerdem können Bücher Werte wie Gleichberechtigung und Weltoffenheit vermitteln.
Worauf können Kitas bei der Auswahl achten?
Sie sollten bei der Anschaffung von Büchern mehr auf Vielfalt achten und nicht einfach zu Conni und Co greifen. Ein wichtiges Kriterium sollte natürlich die Lesbarkeit sein. Niemandem ist damit geholfen, wenn ein Buch ultrapädagogisch und in der Botschaft sehr ehrenwert ist, die Handlung aber die kleinen Leserinnen und Leser langweilt.
Wie geht man mit veralteten Geschlechtszuschreibungen in „Klassikern“ um?
Etwas überspitzt formuliert: Nur weil alte weiße Männer romantische Gefühle beim Lesen von Winnetou bekommen, gehören solche Bücher noch lange nicht ins Kinderzimmer. Rassistische, sexistische oder menschverachtende Darstellungen müssen aus Kinderbüchern verschwinden. Sprache ist eine zu machtvolle Waffe, um solche Narrative als Zeugnisse ihrer Zeit abzutun und sie weiter zu reproduzieren. Viel wichtiger ist ohnehin der Blick auf aktuelle Kinderliteratur und die Frage, ob darin Vielfalt ausreichend repräsentiert wird.
Warum war es Ihnen wichtig, ein Kinderbuch über Forscherinnen zu schreiben?
Als großer Dino-Fan mag ich Sätze wie „Dinos sind doch etwas für Jungs“ überhaupt nicht. Dinosaurier sind für alle da und universell spannend. Gleichzeitig bin ich als Journalist immer auf der Suche nach noch unbekannten Geschichten. So kamen die Dinosaurier und ihre Entdeckerinnen zusammen. Ich will über Fakten berichten, die nicht in jedem Kinderbuch auftauchen. Gleichzeitig möchte ich Geschichten von Forscherinnen erzählen, die neu und spannend für Kinder sind.
Was wünschen Sie sich für den Kinderbuchmarkt der Zukunft?
Ich wünsche mir mehr Mut für ungewöhnliche Bücher und Held*innen. Gerade in Krisenzeiten setzen viele Verlage auf bewährte Buchreihen und reproduzieren damit oft stereotype Rollenbilder – Mädchen machen Ballett, spielen Prinzessin, sind lieb, Jungs sind abenteuerlustig und interessieren sich für die Feuerwehr. Stichwort Conni. Außerdem braucht es mehr Vielfalt, also Verlagsleitungen oder prominente Kinderbuchschaffende, die selbst eine Migrationsgeschichte haben oder aus der LGBTQl+-Community1 kommen.
Die Fragen stellte Sofie Raff, Redaktion kindergarten heute.