Gehört zum Neinsagen Mut oder nur Übung?
Für manche Menschen gehört Mut, doch für viele Übung dazu. Warum? Was wir gewohnt sind, haben wir wieder und wieder gemacht – das ist sozusagen in den Rillen unseres Gehirns eingefräst. Wir können das überschreiben, indem wir systematisch oft genug etwas anderes üben. Das gelingt aber nur, wenn wir uns nicht über uns ärgern, sondern akzeptieren, dass wir manchmal schlecht Nein sagen können.
Warum fällt es denn vielen Menschen so schwer, Nein zu sagen?
„Nein“ – das empfinden viele oft als harsch, als Konflikt. Einen Konflikt wollen die meisten tunlichst vermeiden, schrecken allein beim Wort „Streit“ zurück, dabei gibt es auch die positiven Seiten einer Streitkultur. Ein Nein gelingt immer dann, wenn wir unseren Fokus auf Folgendes lenken: Was brauchen wir selbst? Was gestehen wir dem anderen zu? Wie wollen wir eine günstige Auswirkung erzielen? Wenn wir uns dies vor Augen führen, wird es einfacher.
Unter Kolleg*innen, im Freundeskreis – warum fällt es schwer, jemandem etwas abzuschlagen, den man mag?
Ist das wirklich so? Ich würde eher sagen, dass wir, wenn wir jemanden gut kennen, darauf vertrauen können, dass die andere Person für meine Bedürfnisse offen ist. Selbst wenn die abschlägige Antwort nicht gut ankommt, können und dürfen wir uns erklären oder entschuldigen. Ein Nein, aber auch ein Ja, zeigt doch immer auch etwas von uns, das heißt, wir lernen uns gegenseitig besser kennen. So kann sich eine Kollegialität oder eine Freundschaft vertiefen.
Eine Leiterin bittet eine Fachkraft, auf ihrem Nachhauseweg noch etwas für die Kita zu erledigen. Wie lässt sich hier ein Nein formulieren?
Bin ich die Fachkraft aus Ihrem Beispiel, könnte ich etwa sagen: „Du weißt, dass ich dir schwer eine Bitte abschlagen kann. Nur heute bin ich knapp dran – tut mir leid.“
Sollte eine Ablehnung immer begründet werden?
O nein, besser nicht. In einer konstruktiven Situation gehört es dazu, dass wir gemeinsam die Sachebene gut ausloten – dann wird ein guter Kompromiss möglich. In einer unklaren Situation, in der ich mit einer Ablehnung rechne, ist es eher empfehlenswert, auf Begründungen und Rechtfertigungen zu verzichten: Wenn ich etwas begründe und jemand meint es gerade nicht gut mit mir oder ist zu stark mit seinem eigenen Anliegen assoziiert, dann passiert gelegentlich Folgendes: Mein Gegenüber pickt aus meiner Begründung eine Nebensache heraus und spricht darüber weiter. Wichtig ist, dass ich eine Ablehnung mir selbst gegenüber begründen kann – dann kann ich ein Nein aussprechen und so stehen lassen.
Warum ist es wichtig, sich abzugrenzen?
Sie fragen nach der Grenze. Genau das ist der springende Punkt. Wenn Sie und ich uns in diesem Interview gut verstehen, dann ist uns bewusst, dass wir zwei Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Kontexten und Expertisen sind. Dann ist im Setting sozusagen schon angelegt, dass wir die gegebenen Grenzen akzeptieren. Wir erleben es als angenehm, dass wir uns füreinander interessieren und etwas voneinander erfahren. Im Familiären, Freundschaftlichen, Kollegialen gehen wir manchmal von Gemeinsamkeiten aus, die wir nie wirklich besprochen und überprüft haben. Es ist selbstfürsorglich, sich ab und an zu fragen: Was brauche ich gerade? Worum geht es mir gerade? Wo genau ist gerade meine Grenze? Dadurch entsteht Kontur, Lebendigkeit oder Entwicklung. Für diese Aspekte lohnt es sich, sich abzugrenzen und sich selbst zu entfalten.
„Kannst du für mich das Elterngespräch übernehmen?“ – Wie lässt sich eine solche Bitte ablehnen, ohne das Gegenüber vor den Kopf zu stoßen?
Sie können sagen: „Ich krieg das zeitlich grad nicht unter, aber ich weiß, dass du ein unangenehmes Gespräch befürchtest. Wenn es dir hilft, können wir in der Mittagspause kurz besprechen, wie du am besten vorgehen kannst.“ Wenn Sie also eine Haltung einnehmen, die für beide eine günstige Lösung erzielen möchte, wird das vom anderen wahrgenommen. Würdigen Sie als Erstes Ihr Gegenüber, zeigen Sie, dass Sie Interesse an ihr oder ihm haben. Dann sprechen Sie über die Sache – und Sie werden sich klar, wo Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede bestehen.
Was kommt beim Gegenüber besser an: ein klares Nein oder ein „Ich würde ja gerne, aber …“?
Die Antwort leitet sich vom Gegenüber, von Ihren eigenen Bedürfnissen, der Sache und dem Kontext ab. Angenommen, es geht nicht um eine größere Sache, sondern beispielsweise um die Übernahme eines Elterngesprächs, dann kann ich klar sagen: „Leider nichts zu machen, ich habe da bereits einen Termin.“ Oder: „Das ist jetzt ein größeres Thema, denn ich habe von dir in der letzten Zeit schon zwei problematische Elterngespräche übernommen. Wir können gern mal zu zweit oder auch im Team überlegen, wie wir mit solchen Gesprächen umgehen wollen.“
Wie können Fachkräfte denn auf jammernde Kolleg*innen oder schmeichelnde Vorgesetzte reagieren?
Für Fachkräfte mag ein erster Schritt sein sich klarzumachen: Was ist hier meine Rolle? Was ist genau meine Aufgabe? Dies gilt es zu üben. Hilfreich ist zudem, Zugriff auf eigene Werte („Meine Gesundheit ist mir wichtig“) zu haben, die dann ein innerer Ankerpunkt sein können, an dem man das eigene Handeln ausrichtet. Manchmal muss man nicht direkt ins Tun kommen, sondern dann ist weniger mehr.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Körpersprache?
Der Körper gibt uns spontan Botschaften. Eine unangemessene Forderung wird an mich herangetragen – mein Magen zieht sich zusammen. Jemand will mir schon wieder etwas aufbrummen – innerlich mache ich einen Schritt zurück. Solche Körpersignale sollten wir wertschätzen. Allzu oft schieben wir sie beiseite, dabei sind sie wie gute Freundinnen, die uns daran erinnern, gut zu uns selbst zu sein. Dazu kommt die sichtbare Körpersprache. Ich kann Nein sagen, dabei dem anderen in die Augen schauen, in Ruhe die Arme verschränken, auf den Tisch gucken oder langsam und deutlich den Kopf schütteln. Auch das bedeutet Nein.
Kann es hilfreich sein, um Bedenkzeit zu bitten?
Unbedingt! Viele Menschen, die von sich sagen, sie könnten nicht Nein sagen, erzählen in der Supervision, sie hätten sich überrumpelt gefühlt. Oft hilft etwas Zeit, um abzuwägen. Manchmal brauchen wir auch einfach mehr Informationen, um uns entscheiden zu können. Hier hilft es, allein oder mit Unterstützung Erste-Hilfe-Sätze zu formulieren. Solche mentale Vorbereitung bahnt Lösungswege, die einem vermitteln: Ich weiß mir zu helfen.
Was können solche Erste-Hilfe-Sätze sein?
So etwas wie: „Stopp, das ging mir jetzt zu schnell – könntest du mir noch mal erklären, worum es genau geht?“ Oder man kann sich innerlich fragen: „Bin ich hier wirklich zuständig? Wer ist hier eigentlich zuständig?“ Oder auch: „Was habe ich davon?“
Typische Situationen für ein Nein in der Kita
- Gefällig sein: „Kannst du für mich den Gruppendienst, das Elterngespräch, die Aufsicht für eine weitere Kindergruppe etc. übernehmen?“ So reagieren Sie am besten: Nehmen Sie sich die Zeit, die Rahmenbedingungen abzufragen, also: „Was soll ich wann genau tun?“ Machen Sie einen anderen Termin zum Tauschen aus: „Wann kannst du für mich etwas Bestimmtes übernehmen?“
- Widerstand zeigen: Nein sagen zu pädagogisch fragwürdigen Strafen für Kinder, etwa, wenn Kinder angeschrien, vor die Tür gesetzt oder beim Essen fixiert werden. So reagieren Sie am besten: Sagen Sie klar und deutlich „Stopp, sofort stopp“. Vereinbaren Sie ein Gespräch darüber, entweder mit dem Team, der Leitung, Fachberatung oder Supervision.
- Selbstfürsorge: Einspringen trotz freiem Tag oder reduzierter Arbeitszeit. Wenn das Einspringen zur Gewohnheit geworden ist, muss man sich selbst Fährten legen, um aus diesem Verhalten auszusteigen. Die Kolleg*innen scheinen es ja leicht mit Ihnen zu haben. Ich vermute, dass Sie das auch noch gern machen. Das ist eine Falle, aber das ist auch irgendwie schön. Fast möchte ich sagen: Herzlichen Glückwunsch für Ihren Einsatz. So reagieren Sie am besten: Nehmen Sie sich nicht nur vor, ab sofort nur noch jedes vierte Mal Ja zu sagen, sondern nehmen Sie sich schöne Dinge vor, die Sie für sich tun werden. „Das nächste Mal, wenn ich nicht einspringe, lege ich mich mit einem schönen Schaumbad in die Wanne.“ – „Das nächste Mal, wenn ich zum Einspringen Nein sage, kaufe ich mir einen herrlichen Blumenstrauß.“
FACHBEGRIFF
ERKLÄRT
Streitkultur
Die eigene Überzeugung zu
vertreten und zu akzeptieren, dass die andere
Seite einen abweichenden
Standpunkt einnimmt und
einnehmen darf, das zeichnet eine Streitkultur aus.
Ein Streit kann der Anlass
dafür sein, dass neue Ideen
entwickelt oder Kompromisse ausgehandelt werden.