Warst du heute lieb?“, fragt Nathalie ihren Sohn beim Abholen. „Ja“, Miran nickt. Yvonne, Mirans Bezugserzieherin, lacht kurz auf, ehe sie widerspricht: „Nein, er hat den Kindern die Spielsachen weggenommen und ein Mädchen an den Haaren gezogen.“ Miran blickt betrübt zu Boden. „Ach, Miran, ich habe dir doch gesagt, dass du lieb sein musst“, sagt Nathalie. Als sie auf Mirans Bewertungsampel am Fach zeigt, fragt sie: „Ist deshalb deine Ampel auf Rot?“ Miran nickt. Nathalie weiß, dass ihr Sohn nicht einfach ist. Das wird ihr immer wieder gesagt. Aber muss er das denn sein, einfach? Sie tut sich schwer damit, die Kritik anzunehmen. Manchmal fragt sie sich, wie Yvonne ihn den Tag über behandelt. Was macht das mit Miran, wenn seine Ampel immer auf Rot ist? Nathalies Sohn spricht nicht viel, sie weiß nur, dass er nicht gerne in den Kindergarten geht. Sollte sie das ernster nehmen und das Elterngespräch zur Aussprache nutzen? Oder würde das sowieso nichts bringen?
Nicht alle Einrichtungen nutzen Bewertungssysteme, um darauf hinzuweisen, wie das Kind sich den Tag über verhalten hat. Doch auch ohne diese „Verhaltensampel“ bewerten wir Kinder in Eltern- oder Kolleg*innengesprächen häufig danach, ob sie „lieb“ oder gar „brav“ waren. Wie können wir uns davon lösen?
Welche Kriterien liegen einer solchen Bewertung zugrunde? Fließt dort auch mit ein, wie oft das Kind kooperativ war? Zurück zum Beispiel: War es ein Regentag und die Kinder wurden zum Toben im viel zu kleinen Gruppenraum gelassen? Hätte Miran heute überhaupt etwas gut gelingen können oder war von vornherein klar, dass seine Ampel wieder rot sein würde? Bewertungssysteme spiegeln die Überlegenheit der Erwachsenen, sie beschämen und bewerten das Kind in unfairer Weise. Stellen wir uns doch nur einmal vor, wir Erwachsenen hätten eine Bewertungsampel, die sichtbar für alle an unserem Arbeitsplatz hinge. Zu Recht würden wir auf den Datenschutz pochen und es für unmöglich halten. Mit welchem Recht darf ein Kind dann auf diese Weise diskriminiert werden? Kinder haben ihre Kindheit verdient. Ohne lieb, brav und einfach sein zu müssen und ganz bestimmt ohne Bewertungsampeln oder -punkte.
„Ich packe meinen Koffer und nehme raus …“
Lassen Sie alles zurück, was Sie als Ballast mit
sich tragen: Erwartungen an sich und andere,
die unmöglich erfüllt werden können.
Glaubenssätze, die sich nicht mehr richtig
anfühlen. Einschneidende Gedanken, die Sie
davon abhalten, den Augenblick zu genießen.
Was darf in Ihrem Koffer bleiben –
und was packen Sie aus?