Fallbeispiel: Krankes Kind in der Kita – die Methode Gewaltfreie Kommunikation im ElterngesprächBedürfnisorientiert Konflikte lösen

Bedürfnisorientiert Konflikte lösen
© Suzi Media Production/GettyImages

Begegnungen zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern sind im täglichen Stress oft kurz, dennoch enthalten sie immer wieder auch Konfliktpotenzial. Sei es das wiederholt zu späte Abholen des Kindes oder seien es auseinandergehende Ansichten über Erziehung oder unzureichende Gesprächszeit. In Situationen, in denen ein Interessenskonflikt besteht oder ein Bedürfnis nicht erkannt und beachtet wird, wird das wertschätzende Miteinander auf die Probe gestellt. Im folgenden Praxisbeispiel wird aufgezeigt, wie Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) zu einer positiven Gesprächs- und Konfliktkultur beitragen können.

Fallbeispiel: Krankes Kind in der Kita

Erzieherin Katja bemerkt, dass es Greta bereits zu Beginn des Kita-Tages nicht gut geht. Sie zeigt starke Erkältungssymptome, wirkt fiebrig und kraftlos. Katja erkennt: Greta ist krank! Die pädagogische Fachkraft ist aufgebracht und verärgert, dass Greta in diesem Gesundheitszustand von ihrem Vater in die Kita gebracht wurde. Sie entscheidet sich, Gretas alleinerziehenden Vater anzurufen, damit er sein Kind abholt. Diese Entscheidung trifft sie aus mehreren Gründen. Aufgrund des starken Personalmangels ist es Katja nicht möglich, sich ausreichend um die kranke Greta zu kümmern. Ebenso liegt Katja das Wohl des Kindes am Herzen. Sie denkt, dass Greta sich zu Hause deutlich besser auskurieren und ausruhen kann und sie sich bei ihrem Vater besser fühlen würde. Außerdem fürchtet Katja nicht nur das Risiko für ihre eigene Gesundheit, sondern auch die der anderen Kinder, die sich bei Greta anstecken könnten.
Für Katja ist klar, dass kein krankes Kind in die Kita gehen sollte. Katja ruft Gretas Vater an und fordert ihn mit folgenden Worten auf, sein krankes Kind aus der Kita abzuholen: „Sie müssen Greta aus der Kita abholen kommen, sie ist krank!“ Gretas Vater erkundigt sich über den Zustand seiner Tochter und zeigt sich besorgt. Katja wiederholt mehrmals, dass das Kind in dem Zustand nicht in der Kita bleiben könne. Daraufhin reagiert Gretas Vater abweisend und betont, dass er Greta aufgrund seiner Berufstätigkeit nicht abholen könne. Beide Personen schlagen keine alternative Lösung für die Situation vor. Gretas Vater reagiert überfordert und äußert wütend, dass die Kita die Betreuung von Greta übernehmen und Katja sich um Greta kümmern müsse, da er seinen Arbeitsplatz nicht verlassen könne. Sichtlich aufgebracht beenden beide das Gespräch, ohne eine angemessene Lösung gefunden zu haben. 1

Aktiv zuhören und auf Augenhöhe kommunizieren

Katja beginnt das Gespräch mit einer Forderung und besteht darauf, dass Greta abgeholt wird, während ihr Vater sich dagegen sträubt und betont, dass es die Pflicht der Kita sei, Greta zu betreuen. Katja und Gretas Vater stehen somit in einer Konfliktsituation mit gegensätzlichen Erwartungen. Beide Seiten bemühen sich nicht, die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse der anderen Person wahrzunehmen und eine Lösung für die Situation zu finden. Gretas Vater sieht die Situation als Dilemma an und ist womöglich überfordert, da er sich gleichzeitig um das Wohl seiner Tochter und um die Erledigung seiner Arbeit sorgt. Möglicherweise fürchtet er negative Konsequenzen seines Arbeitgebers, wenn er die Arbeit verlässt. Katja fühlt sich vielleicht in ihrem Anliegen nicht ernst genommen, ist verletzt über die wenig lösungs- und kompromissorientierte Reaktion des Vaters. Zwischen beiden Personen kommt keine empathische Kommunikation zustande.

Die Frage ist nun: Wie kann eine bedürfnisorientierte Kommunikation aussehen? Folgende Schritte schaffen eine Grundlage, um Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und zu verstehen:

  • Stellen Sie eine Verbindung und Beziehung zu sich selbst her, um sich über eigene Grenzen und Bedürfnisse bewusst zu werden.
  • Folgen Sie den vier Schritten der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), um die Bedürfnisse zu erkennen und eine konkrete Bitte zu formulieren.
  • Finden Sie vorab Lösungen und Gesprächstechniken, um in solchen Situationen vorbereitet und sicher zu agieren.

Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation aus der Sicht der pädagogischen Fachkraft Katja könnten folgendermaßen aussehen:
Beobachtung
„Ich sehe, dass Greta hustet, ziemlich warm und sehr ruhig ist.“
„Ich höre, dass Gretas Vater sein Kind nicht aus der Kita abholen kann.“
Gefühle
„Ich bin über die Situation verärgert. Ich sorge mich um meine Gesundheit, die Gesundheit der anderen Kinder und das Wohlergehen von Greta. Ich fühle mich nicht verstanden und in meiner professionellen Rolle nicht ernst genommen.“
Bedürfnisse
„Ich habe das Bedürfnis nach Sicherheit und danach, dass mein Anliegen wahrgenommen und respektiert wird. Ich möchte eine für alle zufriedenstellende Lösung finden.“

Liegt der Fokus auf den Bedürfnissen, wird deutlich, dass es möglicherweise Übereinstimmungen gibt. Diese bilden die Basis für eine Lösung. Im Fallbeispiel ist es die, Gretas Wohlergehen sicherzustellen.
Katja hätte zu Beginn des Kita-Tages zu Gretas Vater beispielsweise sagen können: „Greta hustet, ist verschnupft, ziemlich warm und sehr ruhig. Ich bin besorgt um Gretas Gesundheit. Gleichzeitig ist mir wichtig, dass die anderen Kinder und Kolleg:innen gesund bleiben. Ich bitte Sie, Greta wieder mit nach Hause zu nehmen.“ Möglicherweise hätte Gretas Vater eine Lösung vorgeschlagen. Wenn Gretas Vater darauf bestanden hätte, dass er seiner Arbeit nachkommen muss, hätte Katja Vorschläge für Alternativen anbieten können.
Wird zum Gesprächsbeginn vermieden, eine Forderung zu stellen, kann das dazu führen, dass Gesprächspartner:innen das Anliegen auf eine positive Art und Weise aufnehmen. Auf der Grundlage einer empathischen und bedürfnisorientierten Kommunikation könnten Katja und Gretas Vater gemeinsam eine Lösung finden, die alle zufriedenstellt und das Wohlergehen von Greta sichert. Im Fall eines kranken Kindes in der Kita könnten Pläne für den Notfall entwickelt werden. Möglichkeiten könnten die Erledigung der Arbeit im Homeoffice, Absprachen mit dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin oder private Betreuungsmöglichkeiten sein. Zudem führt ein konstruktives Gespräch dazu, dass Katja mit Selbstvertrauen ihre Bedürfnisse und Grenzen vertreten kann. Kollegiale Beratungen können ebenfalls beim professionellen Umgang mit Konflikten im Kita-Alltag und bei der Beziehung zu sich selbst unterstützen.

Tipps für die praktische Anwendung von GFK:

  • Situationen nicht direkt bewerten, sondern beobachten
  • Fokus auf die Verbindung und gemeinsame Anliegen
  • sich gegenseitig zuhören und die vier Schritte befolgen
  1. Beobachtung: was ich beobachte und was du beobachtest
  2. Gefühle: wie ich mich fühle und wie du dich fühlst
  3. Bedürfnisse: was ich brauche und was du brauchst
  4. Bitte: eine konkrete Handlung formulieren und äußern
  • Kontakt zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen haben
  • Sich selbst Mitgefühl geben und die Verbindung zu sich selbst herstellen, um die Verbindung zu anderen zuzulassen!
  • Klarheit über das eigene Professionsverständnis
  • Urteile in Bedürfnisse umwandeln
  • keine Forderungen stellen, sondern Bitten formulieren
  • respektvoll, mitfühlend und empathisch kommunizieren
  • die eigenen Bedürfnisse und die des anderen wahrnehmen, benennen und wertschätzen
  • die gemeinsamen Bedürfnisse als Brücke der Verbindung wahrnehmen
  • Bewusstsein darüber, dass nicht alle Bedürfnisse erfüllt werden können
  • Kommunikation auf Augenhöhe
  • Verständnis für die Situation und Bedürfnisse des anderen zeigen
  • Grenzen kommunizieren und professionelle Distanz wahren
  • Alternativlösungen vereinbaren und Kompromisse eingehen 

Unabhängig davon, welche Lösung für ein krankes Kind in der Kita oder andere Konflikte gefunden wird: Wichtig ist, darauf zu schauen, was die beteiligten Personen verbindet, welche Gemeinsamkeiten sie haben, und darüber eine gute Lösung für alle zu finden.

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