Hallo Herr Dittrich, wie geht es Ihnen?
Ich stecke gerade „zwischen Baum und Borke“, in einem Zustand von nicht richtig gut, aber auch nicht schlecht. Nach 30 Berufsjahren werde ich demnächst in den Ruhestand gehen. Der Abschied fällt mir nicht leicht, die Kita war wie ein zweites Zuhause. Allerdings waren die letzten drei Jahre aufreibend und haben Kraft gekostet.
Gab es Ereignisse, die Sie besonders beschäftigt haben?
Unsere Kita geriet vor der Pandemie in eine Krise, als das Gebäude zum Verkauf und unsere Existenz kurz vor dem Aus stand. Die Elterninitiative musste eine Ausweichmöglichkeit suchen, konnte aber keine geeigneten Räume finden. Damit die angestiegene Miete finanziert und die Kita gerettet werden konnte, mussten wir mehr Kinder aufnehmen. Es folgten Umbau und Renovierungen, um den neuen Standards gerecht zu werden. Unter dem Druck bröckelte das Miteinander im Team. Bis dahin waren wir wie eine große Familie und ich als Langjähriger das Urgestein. Was lange gut war, viel weg. Mit Corona kam dann die totale Verunsicherung.
Wie hat sich die Situation auf Ihre pädagogische Arbeit ausgewirkt?
Krisen erfordern einen starken Charakter, um den von außen verursachten Stress von Kindern fernzuhalten. Ich habe mit den Jahren selbstkritisches Hinterfragen und Reflektieren gelernt. Wer das nicht kann, sollte in diesem Beruf besser nicht arbeiten. Es ist eine der wichtigsten und verantwortungsvollsten Tätigkeiten, die es überhaupt gibt. Im Mittelpunkt steht gegenseitiger Respekt auf Augenhöhe: „Der Willi ist immer auf dem Boden“, sagten die Eltern. Im Kontakt mit Kindern habe ich gelernt, auf Feinzeichen zu achten.
Sie sind Erzieher, der keiner sein wollte. Wie kam es dann doch anders?
Ich war Ergotherapeut. Während meines Germanistik- und Politikstudiums suchte die Elterninitiative vertretungsweise eine Inklusionskraft. Ich bin geblieben und habe die Ausbildung nachgeholt. Aber erst als ich erkannte, wie wertvoll der Beruf ist, konnte ich mich damit identifizieren. Mein Schlüsselerlebnis war eine Kollegin, die ein Kind tröstete und sich zu ihm auf den Boden gelegt hat, mit Tränen in den Augen. Womit ich allerdings immer noch hadere, ist die Berufsbezeichnung: „Erzieher:in“ enthält das Wort „ziehen“ und das bedeutet Kraft aufwenden und das Kind in eine bestimmte Richtung ziehen. Wie wäre „Vorschullehrer:in“?
Haben Sie Wünsche für die Zukunft, außer eine neue Berufsbezeichnung?
Da sehe ich ein großes Fragezeichen. Nach einer gesundheitsbedingten Auszeit spüre ich nun langsam, wie die Kraft zurückkommt. Ich möchte im Ruhestand auf jeden Fall etwas Sinnvolles machen. Als Kita-Opa aushelfen oder definitiv das Kapitel Kita schließen. Vielleicht Gärtner statt „Kindergärtner“ sein. Für Kitas wünsche ich mir, dass die Qualität zählt. Einen Kita-Platz zu bekommen, ist nicht alles. Eine Pflicht zur Supervision wäre gut, damit zutage kommt, was im Argen ist und bearbeitet werden kann.
Das Gespräch führte Susanne Weiss, Redaktion kindergarten heute.
Willi Dittrich ist Integrationsfacherzieher und Ergotherapeut im T – Heilpädagogischer Integrationskinderladen Drunter & Drüber e. V. in Berlin. Er ist Autor mehrerer Fachpublikationen.