Den Kita-Alltag bedürfnisorientiert gestaltenAngebote nach Maß

Ausflüge, Sitzkreise und auch die Essenszeiten sind streng getaktet und erzeugen dadurch vor allem dann Unruhe, wenn Kinder signalisieren: „Ich mag nicht mitmachen.“ Wer bestimmt also über den Tagesablauf?

Angebote nach Maß
© Caiaimage /Robert Daly / GettyImages

Hakim (4;5) liebt es, auf dem Klettergerüst im Garten zu turnen. Er tut dies völlig selbstverständlich und schreckt auch vor der dritten Ebene nicht zurück. Miran ist genauso alt wie Hakim und fühlt sich beim Klettern gar nicht wohl. Er balanciert lieber auf Baumstämmen oder springt eine gefühlte Ewigkeit auf dem Trampolin. Wenn er mal mit Hakim klettert, ist bei der zweiten Ebene Schluss. Weiter mag er nicht. Hakim wiederum balanciert nicht gern, doch Trampolin springen, das mag er auch. Für beide ist es selbstverständlich, verschiedene Interessen zu haben oder etwas unterschiedlich gut zu können. Auch wenn sie im gleichen Alter sind, können sie sich an ganz verschiedenen Punkten ihrer Entwicklung befinden. Manchmal ähneln die Themen und Interessen denen anderer Kinder, manchmal nicht. Dabei zeigt sich auch, dass ein Kind in einem Bereich schon sehr viel gelernt haben kann und gleichzeitig in einem anderen noch nicht so weit ist und vielleicht Unterstützung benötigt.
Gleichzeitig wird in der Ausbildung und auch in der Praxis noch viel Wert auf gezielte Lernangebote gelegt. Darunter werden meistens durch die Fachkräfte vorbereitete Aktionen verstanden, an denen alle Kinder der Gruppe oder alle Kinder einer bestimmten Altersgruppe teilnehmen müssen. Die Idee dahinter ist, dass alle Kinder auf diese Weise ihre Fertigkeiten wie Feinmotorik, Auge-Hand-Koordination oder Konzentration gezielt schulen können.
Es gibt aber auch Angebote, die für die Fachkräfte in eine bestimmte Jahreszeit oder in ein bestimmtes Lebensalter der Kinder gehören. So gibt es beispielsweise in vielen Kitas Ausflüge, an denen nur Vorschulkinder teilnehmen dürfen und sollen, oder Turnangebote für die mittleren Kinder sowie Basteleinheiten zu bestimmten jahreszeitlichen Themen, die sich oft an alle Kinder richten. Immer noch werden auch Jahresplanungen von den Fachkräften erstellt, aus denen ersichtlich wird, welche Aktionen, Angebote und Themen wann im Kindergartenjahr vorgesehen sind. In der Folge sollen dann alle Kinder die gleichen Aufgaben auf die gleiche Art erfüllen und oft ein bestimmtes Produkt als Ergebnis erzielen. 1 Die unterschiedliche Entwicklung der Kinder bedeutet aber, dass in dieser Art durchgeführte gezielte Lernangebote nicht immer positiv auf alle Kinder wirken.

Angebote können überfordern

Während es einigen Kindern leichtfällt, daran teilzunehmen, und sie vielleicht sogar im genau richtigen Moment damit unterstützt werden, kann es für andere Kinder so herausfordernd sein, dass sie den Eindruck bekommen, nichts zu können, weil sie den gestellten Anforderungen nicht gerecht werden. Manche Kinder schaffen es vielleicht, die Erwartung zu erfüllen, während andere sich langweilen und nicht angesprochen fühlen. Wenn das Klettergerüst nun also um eine vierte Ebene erweitert wird und Hakim und Miran vor die Aufgabe gestellt werden, diese zu erklimmen, wird es Hakim vermutlich mehr Freude bereiten als Miran. Das verdeutlicht, wie solche Angebote und auch das Hinarbeiten auf ein bestimmtes Produkt die intrinsische Lernfreude und Motivation der Kinder einschränken können, obwohl die Absicht dahinter gut ist: Fachkräfte wollen Kindern die bestmöglichen Lernchancen bieten und machen sich oft viele Gedanken, wie das gelingen kann. Deswegen können gezielte und derart gestaltete Angebote nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Fachkräften, die diese lange vorbereitet und gut durchdacht haben, zu Frust führen.

Kinder auf die Schule vorbereiten

Fachkräfte hoffen oder erwarten, dass alle Kinder die Ideen begeistert aufgreifen. Auch die Erwartungen der Eltern spielen hierbei eine Rolle. In der Kita fertig gestellte Produkte signalisieren ja, dass dort etwas stattgefunden hat, vielleicht auch mit dem Gedanken verbunden: „Hier hat mein Kind etwas für die Schule gelernt.“ Bei manchen Fachkräften entsteht dadurch der Eindruck, nur dann wirklich gute Arbeit geleistet zu haben, wenn sie etwas vorzeigen können. 2 Dass Miran nun aber vielleicht nur deshalb auf die vierte Ebene klettert, weil er sich dazu gezwungen fühlt, wird dabei außer Acht gelassen. Häufig sind dann Aussagen zu hören wie: „Da muss er halt durch.“ Oder: „In der Schule kann er ja auch nicht machen, was er will.“ Die dahinterstehende Annahme, dass Kin - der auch mal etwas tun müssen, das ihnen miss - fällt, geht gänzlich an dem vorbei, was über Lernen und vor allem gutes Lernen bekannt ist. Auch das Recht des Kindes auf Partizipation und das Wissen, dass Kinder unterschiedlich sind, werden hier übergangen.
Lernen ist ein natürlicher Prozess, bei dem durch jede neue Erfahrung neuronale Verbindungen im Gehirn des Kindes entstehen. Werden Erfahrungen wiederholt, festigen sich diese neuronalen Verbindungen.3 Genauso ist Lernen auch aktives Tun und setzt Interesse an dem voraus, was gelernt werden soll.

Herausfinden, was begeistert

Was interessant ist, weiß nur das Kind selbst. Es entscheidet also selbst, was es wann lernen möchte, aus der eigenen intrinsischen Motivation heraus. Wir können demnach nicht bestimmen, was das Kind lernen soll, oder einen Zeitpunkt dafür festlegen, sondern müssen eine Umgebung schaffen, die so gestaltet ist, dass jedes Kind möglichst zu jeder Zeit etwas findet, wofür es sich interessiert. Diese vorbereitete Umgebung ist damit genauso als Teil des Bildungsauftrages zu sehen wie der Aufbau von guten persönlichen Beziehungen zu den Kindern.4 In der Rückschau auf ihre eigene Kindheit können sich viele Erwachsene an einzelne Menschen erinnern, zu denen sie ein besonders gutes Verhältnis hatten, und daran, dass durch diese Menschen vieles leichter war. Oder sie erinnern sich daran, dass durch manche Menschen bestimmte Situationen so schwer wurden, dass man sie als Kind lieber gemieden hat.
Durch das gute Zusammenspiel der beiden Faktoren Umgebung und Beziehung können Kinder sich einerseits Wissen und Zusammenhänge erschließen und andererseits ihre Identität und ihr Selbstbewusstsein entwickeln.5 So wird auch das Recht auf Partizipation gewahrt, denn Kinder wählen ihre Lernaufgaben selbst und bleiben engagiert und konzentriert bei der Sache, bis sie sie für sich erschlossen haben. Sie wählen dabei stets neue Aufgaben, die auf dem aufbauen, was sie bereits gelernt haben. Bildung ist also immer partizipativ und individuell.6
Wenn sich Kinder durch das Angebot angesprochen fühlen, werden sie gern daran teilnehmen. Wenn sie das Angebot ablehnen, bedeutet das, dass das momentane Interesse etwas anderem gilt. Beim nächsten Mal kann das anders sein. Dafür ist es wichtig, die Kinder zu beobachten, um ihre Themen aufgreifen zu können. Auch das verfügbare Spielmaterial ist ein Angebot, das die Kinder annehmen oder ablehnen können. Grundsätzlich ist das Vertrauen der Fachkräfte in die Kinder bedeutsam und das Wissen, dass sich Kinder mit den Themen beschäftigen werden, die sie für ihr Leben brauchen, wenn sie dafür bereit sind. Dafür dürfen die Kinder nicht sich selbst überlassen und gleichzeitig nicht gezwungen werden, etwas zu tun, was ihnen in diesem Moment nicht guttut.7 Indem sich Fachkräfte die Unterschiede und die verschiedenen Interessen und Themen immer wieder bewusst machen, setzen sie sich auch damit auseinander, warum sie etwas anbieten. Durch genaue Beobachtung können sie erkennen, welche Lernaufgaben die Kinder sich selbst stellen und wo Anregungen oder Impulse angebracht sind.

Fazit

Die Frage, was Kinder später brauchen werden, lässt sich mittlerweile relativ schnell beantworten: Sie brauchen Kreativität, um Probleme zu lösen, und soziale Fähigkeiten, um ihre Interessen vertreten zu können, ohne dabei andere zu übersehen. Das lernen sie nicht, indem sie vorgegebene Aufgaben zur Zufriedenheit anderer erfüllen, sondern indem sie Aushandlungsprozesse erleben und mitgestalten.

Tipp für die Praxis

Es gibt Angebote wie Aktionstabletts, Experimente oder echte Alltagsmaterialien, die kreativ genutzt werden können und im Alltag nicht in großen Mengen zur Verfügung stehen. In einer solchen Umgebung kann beispielsweise auch eine Schere angeboten werden, die dann auf fast natürlichem Wege zum Einsatz kommt – begleitet durch eine Fachkraft.

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