Reflexionsfrage:
Wann erwarte ich vom Kind Selbstständigkeit und wann lasse ich mich situativ auf das Kind ein?
Groß sein und groß werden, das ist für viele Kinder etwas ganz Wichtiges. Sie wollen größer als die Kleinen sein und meist gern unter Beweis stellen, was sie schon allein können. Und ja, Kinder haben ein Recht auf Selbstständigkeit; ein Recht, das wir als Erwachsene ermöglichen und fördern sollen. Doch manchmal scheint es, als wollten die Kinder von diesem Recht keinen Gebrauch machen.
So kommt es vor, dass ein Kind bereits seit Monaten oder Jahren gern in die Kita geht und plötzlich wieder Schwierigkeiten hat, Eltern gehen zu lassen. Oder dass ein anderes Kind bereits stolz gezeigt und anderen vorgemacht hat, wie es seine Schuhe binden oder sich allein die Matschsachen anziehen kann, doch wie aus dem Nichts fordert es nun nachdrücklich die Hilfe der Erzieher:innen für diese Aufgaben. Auf das „Mama, du darfst nicht gehen“ oder „Ich kann mir nicht die Matschhose anziehen“ antworten die Erwachsenen dann häufig ungeduldig: „Das kannst du allein, du bist doch schon groß, das habe ich doch letzte Woche noch gesehen.“
Wichtig ist hier, zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden. Einerseits haben Kinder ein Recht auf Selbstständigkeit und das Recht, dabei von Erwachsenen unterstützt zu werden. Andererseits können sich ihre situativen Bedürfnisse stark unterscheiden. Manchmal ist es die Zeit zum Wachsen und Großwerden und manchmal steht das Um- und Versorgtwerden im Vordergrund. Vor diesem Hintergrund ist hervorzuheben, dass Kinder zwar ein Recht, aber keine Pflicht zur Selbstständigkeit haben. Deshalb ist es hilfreich, das situative Erleben der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht nicht um die Frage, was das Kind jetzt eigentlich schon können müsste oder kann, sondern darum, worauf es gerade hinweist oder was es braucht.