Das warme Essen steht auf dem Tisch und noch bevor der gemeinsame Tischspruch gesprochen werden kann, stehen einzelne Kinder auf. Die Erzieherin Lena bittet die Kinder, sich hinzusetzen, versucht gleichzeitig, noch frisches Wasser auf den Tisch zu stellen und mit einer Kollegin abzusprechen, wer wann in die Pause geht. In dem Moment fragen die Kinder, warum sie sich denn hinsetzen sollen, und die Erzieherin antwortet nur knapp: „Weil ich das sage.“ Ähnliche Antworten hören Kinder zum Beispiel in Situationen, in denen die Kinder sich zügig anziehen sollen, weil es zu einem gemeinsamen Ausflug mit dem Bus geht, wenn sie an der Straße entlanggehen und sich an den Händen halten sollen oder in einer anderen Situation, in der die Erwachsenen vielfältig gefordert und durch Zeit oder Sicherheitsfragen besonders gestresst sind.
So verständlich die Antwort aus der Erwachsenenperspektive ist, so wichtig ist es wahrzunehmen, was Kindern mit der Antwort vermittelt wird: Ich als Erwachsene muss für mein Handeln und meine Anweisungen keine Gründe angeben und Kinder müssen das tun, was ich bestimme.1Obwohl Erwachsene gestresst sind, können Kinder die Gründe für eine Anweisung oder Entscheidung in vielen Fällen verstehen, auch wenn sie dann nicht notwendigerweise damit einverstanden sind. "Warum" zu fragen, ermöglicht Kindern und Erwachsenen, die Welt kennenzulernen. Diese Frage zu beantworten – und sei es zunächst nur mit einem „Das erkläre ich dir gleich/später“ –, zeigt Kindern, dass sie ernst genommen werden und dass ihre Anliegen für andere relevant sind. Sie lernen auf diese Weise, dass ihnen zugetraut wird, das Handeln von anderen zu verstehen, und dass sie ein Recht darauf haben, die Gründe dafür zu kennen, wenn etwas von ihnen verlangt wird. In diesem Sinne können wir Kindern antworten: „Damit wir gemeinsam essen können“, „Weil wir sonst den Bus verpassen“ oder „Damit wir sicher über die Straße kommen“. Kinder erhalten so die Botschaft: Du möchtest verstehen und das weiß ich zu schätzen.