1. Was ist ein sexualpädagogisches Konzept?
Das sexualpädagogische Konzept einer Kita beschreibt die Haltung und den Umgang des Kita-Teams mit kindlicher Sexualität und die Umsetzung einer geschlechtersensiblen Pädagogik in der Kita. Es soll dem Team Handlungssicherheit geben, gleichzeitig erzieherische Beliebigkeit begrenzen und das Team bei Anfragen von Eltern unterstützen. Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt sollen präventiv verhindert und das Eingreifen des Kita-Teams bei Anzeichen von Grenzverletzungen sichergestellt werden.
2. Was ist der Unterschied zwischen einem sexualpädagogischen Konzept und einem Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt?
Das sexualpädagogische Konzept darf nicht mit dem Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt verwechselt werden. Das Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt ist Bestandteil des Gewaltschutzkonzepts, das jede Kita seit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) im Juni 2021 erstellen muss. Das Gewaltschutzkonzept beschreibt alle Maßnahmen, die eine Kita zum Schutz der Kinder vor Gewalt, auch sexualisierter Gewalt, festlegt.1
Das sexualpädagogische Konzept ergänzt das Schutzkonzept. Es soll sicherstellen, dass pädagogische Fachkräfte professionell mit kindlicher Sexualität in der Kita umgehen, den Unterschied zwischen entwicklungstypischen Körpererkundungsspielen und Grenzverletzungen kennen und Handlungssicherheit haben, wie sie mit kindlicher Sexualität und mit Grenzverletzungen umgehen.
3. Muss jede Kita ein sexualpädagogisches Konzept haben?
Kitas sind gesetzlich verpflichtet, Kinder vor sexueller Gewalt und Grenzverletzungen zu schützen.2 Das sexualpädagogische Konzept ist ein wichtiger Baustein für die Prävention von Grenzüberschreitungen oder sexualisierter Gewalt. Deshalb sollte es Bestandteil des Schutzkonzepts der Kita sein.
4. Welche Vorteile hat ein sexualpädagogisches Konzept für Fachkräfte, Kinder und Eltern?
In jeder Einrichtung werden Fachkräfte mit frühkindlicher Sexualität, Doktorspielen, Rollenspielen mit sexuellen Inhalten, frühkindlicher Selbstbefriedigung oder Fragen der Kinder zur Sexualität konfrontiert. Damit sie sich in der jeweiligen Situation nicht überfordert fühlen, sondern professionell handeln, sollte im Team der Umgang mit kindlicher Sexualität besprochen und ein sexualpädagogisches Konzept erarbeitet werden. Wie eine Fachkraft reagiert, sollte nicht vom Zufall oder der jeweiligen persönlichen Einstellung der Fachkraft abhängen. Kinder brauchen eindeutige, klare Regeln im Umgang mit Sexualität, die ihnen eine verlässliche Orientierung geben. Eltern kann ein gelungenes sexualpädagogisches Konzept Vertrauen und ein sicheres Gefühl in die Kompetenz der Fachkräfte vermitteln. Ein sexualpädagogisches Konzept kann die Grundlage eines offenen und transparenten Austauschs und einer gelingenden Erziehungspartnerschaft bilden.
5. Wie gehen wir damit um, wenn Eltern nicht wollen, dass sexuelle Bildung in der Kita stattfindet?
Bedenken der Eltern sollte kultursensibel begegnet werden und auf ihre Wertvorstellungen sollte Rücksicht genommen werden, soweit diese nicht den fachlich begründeten Überzeugungen des Teams widersprechen. Im Dialog können Fachkräfte verdeutlichen, inwiefern ein professioneller Umgang in der Kita mit kindlicher Sexualität die ganzheitliche Entwicklung der Kinder fördert und Kinder vor sexuellen Grenzverletzungen und Übergriff en schützt. Elternbriefe oder Elternabende können die wesentlichen Aspekte der Sexualerziehung der Kita nochmals zusammenfassend erklären.
6. Was ist, wenn Eltern Sexualerziehung in der Kita grundsätzlich ablehnen?
Die Kita kann und muss nicht auf Wertvorstellungen einzelner Familien Rücksicht nehmen, soweit die Wünsche der Eltern allgemeinen fachlichen Standards, dem Bildungsplan des jeweiligen Bundeslandes oder der Konzeption der Kita widersprechen.3 Zu den allgemeinen fachlichen Standards gehört neben einem sexualpädagogischen Konzept der Kita eine Sexualaufklärung4 , die bereits in der frühen Kindheit beginnt, sich an der Gleichstellung der Geschlechter orientiert und die Achtung der Vielfalt und Verschiedenheit der Geschlechter fördert.5
7. Welche Gründe kann es für Widerstände oder Bedenken von Eltern geben?
Sexualität ist ein emotionales und sensibles Thema. Umgang, Sprache, Regeln und Werte hinsichtlich Sexualität sind in jeder Familie verschieden. Kulturelle Unterschiede sind oft groß. Widerstände der Eltern gegen die Sexualpädagogik der Kita können in der Sorge wurzeln, dass die Kita Wertvorstellungen vermittelt, die dem eigenen Norm- und Wertesystem oder den politischen Überzeugungen widersprechen.
Widerstand und Ablehnung beruhen meist auf einem falschen Verständnis von kindlicher Sexualität. Eltern sollte vermittelt werden, dass kindliche Sexualität nichts Anstößiges oder Problematisches, sondern ein normaler Teil der kindlichen Entwicklung ist. Kindliche Sexualität unterscheidet sich außerdem von erwachsener Sexualität (siehe Seite 14). Es geht um das unbefangene Entdecken und Erleben des eigenen Körpers mit allen Sinnen. Sexualerziehung soll altersangemessenes Wissen, aber auch Regeln und Grenzen in Bezug auf den eigenen Körper und den Körper anderer vermitteln. Um Missverständnissen vorzubeugen, kann das sexualpädagogische Konzept bereits in der Einleitung die Begriff e kindliche Sexualität und Sexualerziehung klären.
8. Was tun, wenn einzelne Fachkräfte bei der Entwicklung des sexualpädagogischen Konzepts nicht mitarbeiten möchten?
Ängste und Vorbehalte von Fachkräften sollten off en besprochen werden. Gemeinsam kann reflektiert werden, was sich jede:r Einzelne vom Team wünscht, um sich bei Diskussionen über kindliche Sexualität wohlzufühlen. Selbstverständlich aber kann die Kita-Leitung im Rahmen ihres Weisungsrechts von allen Fachkräften die Teilnahme an Fortbildungen zur psychosexuellen Entwicklung und die Beteiligung bei der gemeinsamen Entwicklung eines sexualpädagogischen Konzepts verlangen. Die eigene Haltung und den Umgang mit kindlicher Sexualität zu reflektieren, gehört zur Professionalität einer pädagogischen Fachkraft.
9. Welchen Inhalt sollte ein sexualpädagogisches Konzept haben?
Es empfiehlt sich, das sexualpädagogische Konzept aus Bausteinen zusammenzusetzen, die regelmäßig überprüft und an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden können. Zunächst sollte in der Einleitung klargestellt werden, was das Ziel des sexualpädagogischen Konzepts ist und was unter kindlicher Sexualität und Sexualerziehung in der Kita verstanden wird.
Der zweite Baustein sollte sich konkret mit dem Umgang mit sexuellen Aktivitäten der Kinder in der Kita befassen:
- Wie geht das Kita-Team mit Körpererkundungsspielen, kindlichen Fragen zur Sexualität oder kindlicher Selbstbefriedigung um?
- Welche Regeln gelten, wenn sich Kinder ausziehen?
- Wie ist der Sprachgebrauch in der Kita? Es spricht viel dafür, Geschlechtsorgane in der Kita mit Fachbegriff en zu benennen. Die korrekte Bezeichnung schützt vor Verwechslungen und kann Kinder bei Grenzverletzungen sprachfähig machen. Abwertende, sexistische Sprache sollte nicht geduldet werden.
Der dritte Baustein sollte das Vorgehen bei sexuellen Übergriffen unter Kindern klären. Das sexualpädagogische Konzept sollte eine klare Unterscheidung treffen, wann es sich bei sexuellen Aktivitäten von Kindern um grenzverletzendes und übergriffiges Verhalten handelt und nicht um altersgerechte Körpererkundungsspiele (siehe Download). Zusätzlich sollte das sexualpädagogische Konzept in einem Handlungsplan (siehe Download) verbindlich festschreiben, wie pädagogische Fachkräfte bei Hinweisen auf sexuell auffälliges, grenzverletzendes oder übergriffiges Verhalten vorgehen sollen.
Weiter sollte sich das sexualpädagogische Konzept mit der Umsetzung einer geschlechtersensiblen und geschlechtergerechten Pädagogik im Kita-Alltag auseinandersetzen. Dabei sollte eine Beteiligung der Eltern ermöglicht werden.
Abschließend muss noch geklärt werden, wie das sexualpädagogische Konzept Eltern und Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Außerdem sollte vereinbart werden, in welchen regelmäßigen Abständen das sexualpädagogische Konzept überprüft und gegebenenfalls weiterentwickelt werden soll.
10. Wie umfangreich soll ein sexualpädagogisches Konzept sein?
Je kürzer und prägnanter ein sexualpädagogisches Konzept ist, desto besser. Denn es ist wichtig, dass das sexualpädagogische Konzept gelesen wird und die Inhalte auch neuen Fachkräften in der Kita und Eltern leicht zugänglich sind. Sexualpädagogische Konzepte können im Nachgang jederzeit ergänzt werden, falls dem Team Aspekte auffallen, die fehlen.
11. Wer entwickelt das sexualpädagogische Konzept?
Für ein gelingendes sexualpädagogisches Konzept ist es notwendig, dass das Konzept in Abstimmung mit dem Träger gemeinsam im Team entwickelt wird. Denn es geht ja darum, dass das Kita-Team sich auf eine gemeinsame Haltung und einen professionellen Umgang mit kindlicher Sexualität einigt und dies dann im Kita-Alltag umsetzt.
Wird das sexualpädagogische Konzept vom Träger oder der Kita-Leitung verfasst, besteht die Gefahr, dass es dann abgeheftet, nicht aber von den Fachkräften in der Kita umgesetzt und gelebt wird. Ich habe bei Fortbildungen des Öfteren erlebt, dass das Kita-Team gar nicht wusste, ob sie in der Kita ein sexualpädagogisches Konzept haben.
12. Wie sieht es mit der Aufsichtspflicht der Fachkräfte bei Körpererkundungsspielen und Doktorspielen der Kinder aus?
Um Kinder zu schützen und der Aufsichtspflicht gerecht zu werden, sollten mit den Kindern klare Regeln6 für Doktorspiele und Körpererkundungsspiele vereinbart werden. Aus aufsichtsrechtlichen Gründen sollten Sie diese im Auge behalten und hin- und wieder unauffällig einen Blick auf die Kinder werfen, ob sie sich auch an die Vereinbarungen halten und es zu keinen Grenzverletzungen kommt. Uneinsichtige Kuschelecken oder sonstige Orte sollten gegebenenfalls vorübergehend gesperrt werden.
13. Machen sich Fachkräfte strafbar, wenn sie bei sexuellen Handlungen von Kindern nicht eingreifen?
Bei übergriffigem Verhalten oder Grenzverletzungen durch Kinder sind Fachkräfte aufgrund ihres Schutzauftrags gesetzlich verpflichtet, aktiv einzugreifen. Bei Nichteingreifen macht sich die Fachkraft strafbar.7 Wie Fachkräfte, Kita-Leitung und der Träger vorgehen sollten, wenn sie übergriffiges oder grenzverletzendes Verhalten bei Kindern in der Kita mitbekommen, finden Sie im bereits erschienenen Beitrag: „Sexuelle Übergriffe durch Kinder – was tun?“8