Nee, das wäre nichts für mich," erklärte mir jüngst eine Kollegin am Telefon. „Als Leiterin muss man immer so viel im Blick haben… Und sei doch mal ehrlich: Was macht dir an dieser stressigen Arbeit eigentlich Spaß?" Nachdenklich hatte ich den Hörer aufgelegt und tatsächlich wurde dieses Gespräch für mich zum Anlass, darüber nachzudenken, wie ich meinen berufl ichen Alltag bewerte. Prompt tauchten vor meinen Augen natürlich zuerst die schwierigen, belastenden, stressigen, mich an meine Grenzen bringenden Situationen auf. Allerdings wollte ich es nicht dabei bewenden lassen. Ganz bestimmt gab es doch auch Anteile und Erfahrungen, die mich meinen Beruf positiv erleben lassen, die mir befriedigende Gefühle vermitteln und die mich „bei der Stange" halten - trotz aller Belastungen.
Und so gönnte ich mir zum Jahresbeginn einige Zeit, um mich in meiner Rolle als Leiterin einer großen Einrichtung mal von einer anderen Seite anzuschauen. Nicht um irgendetwas schönzureden oder Probleme unter den Teppich zu kehren. Nein, zur eigenen Positionierung durchaus auch mit Blick auf die eigene Leistung und in der ehrlichen Absicht zu überprüfen, inwieweit mir meine Aufgabe - bei aller Arbeit - auch Gewinn bringt. Und siehe da: Das „Haben-Konto" wies bei genauerem Hinsehen doch einige Plusstände auf: Als erstes fi el mir die SELBSTSTÄNDIGKEIT ein, die ich in der Leitungsfunktion genieße. Der Träger hat mir Aufgaben übertragen, bei deren Umsetzung ich eigenständig entscheiden kann, wie ich vorgehe, wie ich meinen Zeitplan und Arbeitsablauf gestalte - natürlich alles eingebunden in einen äußeren Rahmen. Aber innerhalb dieses Rahmens kann ich doch weitgehend selbstständig entscheiden und handeln. (In welchen Arbeitsfeldern kann man das schon?) Sicherlich, mit dem Vertrauen des Trägers habe ich auch sehr viel Verantwortung erhalten. Aber gerade diese Verantwortung beinhaltet doch auch eine hohe Wertschätzung meiner Fähigkeiten. Mir wird zugetraut, als Fachfrau und als Mensch, Verantwortung für die Einrichtung wahrzunehmen. Das trägt ganz maßgeblich zu meiner persönlichen Entwicklung bei. Die gemachten Erfahrungen und bewältigten Situationen steigern im Laufe meines Lebens nicht nur mein SELBSTBEWUSSTSEIN - sondern auch mein Selbstwertgefühl.
Ein ganz wichtiger Aspekt in der Leitungstätigkeit ist die Erfahrung meiner persönlichen SELBSTWIRKSAMKEIT. Als Leiterin kann ich direkt und gezielt Einfl uss auf die pädagogische Arbeit nehmen - und damit auch auf die konzeptionelle Ausrichtung der Einrichtung. Ich habe einen großen Gestaltungsspielraum, der mir das äußerst befriedigende Gefühl gibt, durch meine Fachlichkeit und Überzeugung etwas auf den Weg bringen und mit eigenen Ideen füllen zu können, kurzum: etwas zu bewirken.
Selbstverständlich ist dieses „Bewirken" eng ans Team gekoppelt. Da ich das Zusammenspiel im Team ungemein schätze und spannend finde, ist für mich der UMGANG UND DIE ZUSAMMENARBEIT IN UND MIT DEM TEAM ein wesentlicher positiver Faktor in meiner Funktion als Leiterin. Es macht mir viel Freude, zusammen mit den ganz verschiedenen Persönlichkeiten des Teams die Erziehung in unserem Haus zu planen, mit Leben zu füllen, zu überdenken, weiterzuentwickeln, Erfolge gemeinsam zu genießen und zu feiern, aber auch Stressphasen gemeinsam durchzustehen.
Gleiches möchte ich über die ZUSAMMENARBEIT MIT DEN ELTERN sagen. Der Kontakt zu ihnen, die Herausforderung, ihre Wünsche, Anliegen und Bedürfnisse auf einen Nenner zu bringen bzw. sich solch einem Nenner wenigstens anzunähern, gefällt mir. Es ist immer wieder interessant, sich auf Gespräche mit Eltern einzulassen und sie fachlich zu beraten. Und wenn wir es dann geschafft haben, im Interesse des Kindes gemeinsam einen Weg zu fi nden, erfüllt mich das mit Stolz.
Als Leiterin muss ich viele Netzwerke aufbauen und pfl egen. Diese Tätigkeit bereichert mich durch den fachlichen Austausch, macht mich sicherer und lässt mich souverän handeln. Das Gefühl, im Notfall durch ein - selbst aufgebautes - funktionierendes Netz abgesichert zu sein, ist höchst befriedigend. Dabei fällt mir ein, was genau an der Rolle der Leiterin mir besonders entspricht: und zwar, meine FREUDE AN KOMMUNIKATION, am Absprechen, am Regeln, am Kontakteknüpfen und -pfl egen besonders gut ausleben zu können.
Im Unterschied zum Gruppendienst werde ich als Leiterin stärker mit spannenden fachlichen Herausforderungen konfrontiert. Bei speziellen Leitungsfortbildungen, Schulungen, Veranstaltungen erfahre ich oft aus erster Hand von aktuellen neuen Projekten oder geplanten Veränderungen. Gut informiert zu sein ist für mich etwas ausgesprochen Wichtiges, weshalb ich es als Leiterin sehr schätze, NEUE INFORMATIONEN zu sammeln und weiterzugeben.
Zum Schluss fällt mir noch das Wort MACHT ein. Meistens ist dieser Begriff ja negativ belegt und dass jemand zugibt, Spaß an Macht zu haben, ist eher ungewöhnlich. Aber mal ehrlich, liebe Kolleginnen, wie geht es Ihnen? Also bei mir ist es schon so, dass ich es sehr wohl auch genieße, „Macherin" zu sein - also die Person, die etwas voranbringt, allein oder mit anderen zu einer guten Entscheidung kommt, Lösungen entwickelt oder findet und dafür - im Erfolgsfall - auch immer wieder Anerkennung bekommt. Mein persönliches Resumee nach dieser Besinnung war also trotz der Belastungen und vielen Unwegsamkeiten durchaus ermutigend - und die Überprüfung schon allein deshalb lohnenswert. Meine Empfehlung: Setzen Sie sich doch mal so oder so ähnlich mit Ihrer Rolle und Aufgabe als Leiterin auseinander - vielleicht gerade jetzt - zum Jahresanfang!