Welche Relevanz hat die Stellungnahme, wen spricht sie an?
Sie richtet sich an die Fachöffentlichkeit, an die Träger und an die Politik. Der Stellungnahme kommt schon deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil die Mitgliedsverbände der Bundesarbeitsgemeinschaft (AWO, Caritasverband, DPWV, Rotes Kreuz, Diakonisches Werk sowie die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden) mit ihren Angeboten - und das sind eben auch Kitas - eine wichtige Säule unseres Sozialstaats darstellen und dementsprechend Einfluss ausüben. Gleichzeitig muss man die Grenzen der Stellungnahme sehen, da die BAGFW Empfehlungen ausspricht, die bei den Entscheidern in Politik und Verwaltung sowie bei den Trägern erst einmal ankommen und auf deren Zustimmung stoßen müssen.
Was sind die Kernaussagen der Stellungnahme?
Die BAGFW geht aufgrund der demografischen Entwicklung davon aus, dass sich nicht nur die Kinderzahlen, sondern auch die Anzahl der Arbeitskräfte verringern werden und daraus ein Fachkräftemangel perspektivisch resultieren wird. Ebenso will man die Veränderung der Altersstruktur innerhalb der Kindertageseinrichtungen in den Blick nehmen. Qualifizierung und Bindung von Fachkräften sind vor diesem Hintergrund wichtige Herausforderungen für die Träger, damit der Ausbau und die Qualität des Kita-Angebots sichergestellt werden können. Die BAGFW empfiehlt dazu verschiedene Maßnahmen:
1. Das Engagement in der Personalentwicklung ausbauen:
- Europaweit haben in Deutschland Kita-Fachkräfte den dritthöchsten Altersdurchschnitt. Darum werden alterns- und altersgerechte Personalentwicklungskonzepte gefordert, bei denen es nicht darum geht, Schutz und Schonräume zu schaffen, sondern darum, die Erkenntnisse über die Potenziale der Beschäftigten und der Einrichtung langfristig zu nutzen und so die älteren Arbeitnehmerinnen an die Kita zu binden.
- Befristete Elternzeitvertretungen bilden keine gute und vor allem keine stabile Grundlage für den Einstieg ins Berufsfeld. Personal kann langfristig nur motiviert und gebunden werden, wenn Verträge entfristet und Teilzeitbeschäftigungen nach Bedarf aufgestockt werden können. Hier fordert die BAGFW ein Umdenken bei den Trägern. Pädagogische Fachkräfte, die weit vor dem Rentenalter ganz oder zeitweise mangels Alternativen aus dem Beruf ausscheiden, könnten ein neues Tätigkeitsfeld in der Tagespflege finden.
- Ebenso sollen Kindertagespflegepersonen nach entsprechender Qualifizierung eine Tätigkeit in der Kita finden.
- Die Förderung von interdisziplinären und multiprofessionellen Teams wird vorgeschlagen.
2. Neue Fachkräfte gewinnen:
- Es wird eine bessere gesellschaftliche Anerkennung des Berufsfeldes gefordert, was sich in einer angemessenen Vergütung und besseren Rahmenbedingungen zeigen soll.
- Für die Tätigkeit in Kitas soll zielgerichtet geworben werden. Die Träger befinden sich in Konkurrenz zu Handwerk, Industrie und Handel.
- Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Migrationserfahrungen sollen für das Berufsfeld gewonnen werden. Im Ausland erworbene Berufs- und Bildungsabschlüsse sollen schneller anerkannt werden.
- Berufsrückkehrern sollen einschlägige Qualifizierungsmöglichkeiten im pädagogischen und administrativen Bereich angeboten werden, um sie auf die veränderten Anforderungen in den Kindertageseinrichtungen vorzubereiten.
- Quereinsteiger sollen sich zur/ zum Erzieher/in qualifizieren können. Ein möglicherweise geeignetes Verfahren, die Qualifizierung zu begleiten und zu überprüfen wird angedacht.
- Verstärkt sollen männliche Fachkräfte gewonnen werden. Hier werden eine Steigerung von 2,4% (Stand 2008) auf 20% Männeranteil genannt sowie stichhaltige pädagogische Argumente angeführt.
- Junge Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr sollen verstärkt für das Berufsfeld gewonnen werden.
- Vorhandene Studiengänge für BA-Absolvent(inn)en sollten im Bereich der Frühpädagogik ausgeweitet werden.
- Gesundheitsfördernde Maßnahmen sollen die Leistungsbereitschaft, die Motivation und die Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte steigern.
Welche Schlussfolgerungen können Sie als Kita-Leitung ziehen?
Das Feld der Kindertagesbetreuung wird weiter expandieren und einen entsprechenden Fachkräftebedarf nach sich ziehen. Personalentwicklung ist in diesem Zusammenhang eine der zentralen Herausforderungen für Führungskräfte auf Trägerebene und in den Kitas. Für viele der von der BAGFW empfohlenen Maßnahmen sind Träger und Politik zuständig. Gleichzeitig bekommt man als Kita-Leitung über die BAGFW-Stellungnahme Impulse zur Auseinandersetzung mit den eigenen Personalbindungs- bzw. Personalentwicklungsmaßnahmen. Hier haben Sie im Gegensatz zum Bereich der Personalgewinnung eher Handlungsspielräume. Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten. Im besten Fall können Sie durch bestimmte Personalentwicklungsmaßnahmen Ihre eigene Fachkräftesituation positiv beeinflussen. Gehen Sie, wenn notwendig, auf Ihren Träger zu. Die Stellungnahme der BAGFW zeigt Maßnahmen auf und kann als Argumentationshilfe dienen, wenn Sie mit Ihrem Träger Personalbindungs- und -gewinnungsmaßnahmen diskutieren. Egal ob Sie derzeit noch eine gute Personalsituation oder gerade offene Stellen haben. Es lohnt sich auf jeden Fall, mit dem Träger ins Gespräch zu kommen und sich mit der aktuellen bzw. zukünftigen Fachkräftesituation auseinanderzusetzen. Weisen Sie, auch auf Grundlage des BAGFWPapiers, auf die Möglichkeiten und die Verantwortung des Trägers hin. Spielräume gäbe es da beispielsweise beim Thema Be- bzw. Entfristung von Verträgen. Gerade bei Berufseinsteigerinnen sind verlässliche Beschäftigungsverhältnisse mitentscheidend, um sie im Berufsfeld zu halten. Überprüfen Sie auch, ob sich z.B. das Volumen von Teilzeitstellen erhöhen lässt. Reflektieren Sie Ihr Personalentwicklungskonzept und fordern Sie das Engagement Ihres Trägers. Eine gute Personalentwicklung motiviert Mitarbeiterinnen und fördert die Arbeitszufriedenheit. In diesem Zusammenhang könnten Sie als Leitung auch das Thema Gesundheitsförderung in Ihrer Kita und beim Träger auf die Tagesordnung setzen.
Welche Fragen bleiben offen?
Die Empfehlungen der BAGFW sind richtig und wichtig - einige der empfohlenen Maßnahmen können sicherlich recht gut von Trägern und Kita-Leitungen umgesetzt werden. Aber letztendlich gibt die BAGFW „nur" unverbindliche Empfehlungen. Jetzt gilt es abzuwarten, wie die großen Wohlfahrtsverbände das Papier umsetzen, dadurch eine Vorreiterrolle übernehmen und die notwendigen Verbesserungen voranbringen. Für die Bedienung der größeren „Stellschrauben" sind aber noch andere zuständig. Eine große Lösung zur Verbesserung der Fachkräftesituation kann wahrscheinlich nur gelingen, wenn die unterschiedlichen Akteure im Bereich der Kindertagesbetreuung enger und zielgerichteter zusammenarbeiten: die öffentlichen und freien Träger, die Politik und die Verwaltung, die Fachschulen und Hochschulen sowie die Arbeitsagenturen. Wie kann dieses Zusammenspiel gelingen und wer bezahlt? Und wie schafft man es, dem Berufsfeld ein besseres Image zu geben, damit sich mehr Berufsanfänger dafür entscheiden? Ein weiterer wichtiger Aspekt: Kita-Leitungen berichten, dass sie keine qualifizierten Fachkräfte finden. Es werden Fachkräfte gesucht, die ein bestimmtes Qualifikationsniveau mitbringen und in das jeweils spezielle Anforderungsprofil einer Kita passen. Wie kann diese Qualifizierungsfrage gelöst werden? Wie kann es gleichzeitig gelingen, Hochschulabsolvent(inn)en einen guten Berufseinstieg mit entsprechender Bezahlung zu ermöglichen? Und wie sollten die multidisziplinären Kita-Teams der Zukunft aussehen? Wie müsste ein passendes Tarifsystem konzipiert sein, das mehr bietet als ein unflexibles Entgeltgruppen-System und das z.B. auch multiprofessionellen Teams Rechnung trägt? Und wie können Arbeitsplätze für ältere Erzieherinnen eingerichtet werden? Reichen hier Maßnahmen des Gesundheitsschutzes und Fortbildungen aus oder müssen noch andere Lösungen gefunden werden? Und zum Schluss etwas polemisch gefragt: Sollen und dürfen wirklich bald alle, die wollen, mit ein bisschen Schmalspurqualifizierung in einer Kita arbeiten dürfen? Trotz oder gerade wegen der vielfältigen Anstrengungen und Entwicklungen der vergangenen Jahre im Bereich der Kindertagesbetreuung existieren also genügend Fragestellungen, die einer Klärung bedürfen. Es ist zu hoffen, dass die Stellungnahme der BAGFW mit dazu beiträgt, dass die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung sowie bei den Trägern damit beginnen, diese Fragen zu lösen.
Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) (2011): Ansätze und Überlegungen zum Umgang mit der Fachkräftesituation in Kindertageseinrichtungen. Download unter: www.bagfw.de