Lernen als Aneignung von Wissen ist ein sehr individueller Prozess, dessen „Motor“ Neugier, Tatendrang und Selbstwirksamkeit sind. Kinder eignen sich das Wissen über die Welt, ihre Lebewesen, Dinge und Phänomene aus einem natürlichen inneren Antrieb heraus und im selbstbestimmten Umgang
damit an. Sie fragen, fassen an, probieren aus, sammeln Erfahrungen, tauschen sich aus, lassen sich beraten, erleben Möglichkeiten und Grenzen ihres Tuns und leiten daraus ihr Handeln ab. Das beginnt bereits im Mutterleib und setzt sich nach der Geburt in den einzelnen Lebensphasen des Kindes fort - zunächst in der Familie, später dann in Krippe und Kindergarten. Also in Einrichtungen, die diesen kindlichen Grundbedürfnissen Nahrung geben und Kinder anregen, sich selbst zu vertrauen, und die ihnen zutrauen, Situationen einzuschätzen und zu meistern. Insofern gehören Versuch und Irrtum, Tränen und Konflikte ebenso zu diesem Prozess wie befriedigende Erfolgserlebnisse nach „tausend“ Versuchen und Stolz auf das Erreichte. Deshalb
gilt es, den Kindern eine Umgebung anzubieten, die an allen Ecken und Enden Neugier weckt, Aufforderungscharakter hat und entdeckungsfreudig macht, statt ihnen zu sagen, was es da und dort erwartet, was man „damit machen“ muss und was „daraus wird“. Das Kind braucht die Chance, es selbst
herauszufinden und Erwachsene, die als aktiv Lernende auf Augenhöhe dabei mitmischen.
Bewusste Entscheidung gegen spezielle Programme.
Die Aussage von Gerald Hüther: „Kinder lernen am besten, wenn sie den Lernstoff selbst bestimmen können“ liefert in einem einzigen Satz die Begründung für eine bewusste Entscheidung gegen spezielle Programme, aber für experimentierendes Lernen. Kinder haben das Recht auf einen Entfaltungsraum, der sich den Bedürfnissen ihrer Alters- und Entwicklungsphase anpasst. Das bedeutet konkret, den Elementarbereich wieder zu „entschulen“. Als eigenständige Bildungseinrichtungen sollten Kitas und Kindergärten nicht als reine „Zulieferer“ für die nächste Stufe im Bildungswesen missverstanden werden, sondern sich selbst als Basiseinrichtung sehen, die grundlegende soziale Kompetenzen vermittelt - und zwar ohne den leistungsorientierten Blick. Mitunter ist dies auch für erfahrene Fachkräfte eine große Herausforderung. War es doch jahrzehntelang ihre Pflicht,
angebliche Defizite zu bemerken und den Kindern abzugewöhnen.
Materialien und Tätigkeiten.
Die Kita sollte den Zugang zu solchen Materialien in den Vordergrund rücken, die die Kinder in der Schule wiederfinden. Die Kinder können sie nutzen und sich dabei selbst erschließen, welches Potenzial in diesen Materialien steckt. Tätigkeiten wie Tisch decken, Besteck abzählen, Teller stapeln, in die sich Kinder gerne einbinden lassen, sind im Grunde angewandte Mathematik. Körperliche Bewegung beim Rennen, Liegerad fahren, auf Türme klettern und aus der Schaukel springen ist Bildung in klassischer Form. Denn das Kind lernt neben physikalischen Gesetzen auch, dass es sich auf seine Fähigkeiten verlassen kann. Es lernt, sich selbst einzuschätzen, sich etwas zuzutrauen und korrigiert sich durch einen zweiten, dritten und vierten Versuch. Bilderbücher, Hefte und Zeitschriften sind Impulse, die Kinder zum Lesen, Nachdenken und sogar zum Schreiben anregen. Reime, Geschichten und Lieder sind nicht nur adäquate Mittel zum Spracherwerb, sondern fördern eigenständiges Denken, Fragen und Hinterfragen. Der von den pädagogischen Fachkräften auf diese Weise angestoßene Selbstbildungsprozess wird allerdings erst dann zu einer effektiven Vorbereitung auf das Leben (nicht explizit auf die Schule), wenn die Kinder dabei in tragfähigen und stabilen menschlichen Beziehungen stehen: zu den Eltern, denn der lebenslange Bildungsprozess beginnt bereits in der Familie und sollte dort auch seinen zentralen Ort haben, und zu den Mitarbeiterinnen frühkindlicher
Einrichtungen.
Übergänge schaffen.
Natürlich regt sich trotz des Wissens um die kindliche Entwicklung auch bei Fachkräften der Wunsch, die Kinder bereits in der Kita auf die nächste Lebensphase vorzubereiten. Und das sollte auch eine der Aufgaben bleiben, für die sie in Zusammenarbeit mit der Grundschule Verantwortung übernehmen. Nachdem die Erkenntnisse der modernen Pädagogik und der Neurobiologie spezielle Trainings und Programme zur Schulvorbereitung obsolet gemacht haben, formt sich ein neuer Begriff heraus, der diese Verantwortung besser umschreibt: Übergängeschaffen. „Dieser Übergang muss sorgfältig gestaltet werden, soll er für die Mädchen und Jungen der Beginn einer weiteren positiven Entwicklungsphase sein“ - so steht es beispielsweise im verbindlichen niedersächsischen Orientierungsplan. Das halbe Jahr vor der Einschulung lässt sich dazu ganz unterschiedlich nutzen:
- Beim klassischen Besuch in der Grundschule lernen die zukünftigen Schulkinder den Schulweg, die Räumlichkeiten und den Schulhof kennen.
- Drittklässler können ihnen vorlesen und fungieren auf diese Weise als Mentoren oder Paten, die sie schon vor Schuleintritt mit Teilbereichen des Schullebens vertraut machen.
- In den Osterferien der Schule bietet eine Rallye durch das Schulgebäude die Möglichkeit, einen Blick hinter die Schulkulissen zu werfen. Der Ort wird sozusagen anfassbar, entzaubert und im optimalen Fall vertraut.
- Die Turnhalle als externer Unterrichtsort kann zum Treffpunkt der „Schulkinder-Gruppe“ werden, an dem sie sich einen Vormittag lang wie die „Großen“ fühlen. Das steigert ihr Selbstvertrauen und ihre Kompetenz, sich emotional auf den bevorstehenden Lebensabschnitt vorzubereiten.
- Kirchliche Einrichtungen könnten mit benachbarten Kitas einen Abschiedsgottesdienst feiern und durch gemeinsame Vorbereitungen schon Begegnungen schaffen.
Projekt Klassenraum.
Eine weitere Möglichkeit der Vorbereitung besteht darin, mit den Kindern einenKlassenraum einzurichten, der nach ihren Vorstellungen und Erwartungen ausgestattet wird. Tafel, Tische, Stühle, Schultaschen, Hefte und Stifte werden höchstwahrscheinlich Einzug in den Raum halten. Ein Themenwagen mit Büchern rund um das Thema „Schule“ kann von Kindern, Eltern und Fachkräften gleichermaßen genutzt werden. Das „Projekt Klassenraum“ kann von den Fachkräften begleitet werden, indem sie Fragen beantworten, „Unterricht“ erteilen oder selbst am „Unterricht“ teilnehmen. Abgerundet wird das Vorbereitungsangebot durch das gemeinsame Anfertigen von Schultüten durch Eltern und Kinder, einen Ausflug zum Abschluss
der Kita-Zeit sowie eine eigene Wand im Flurbereich, die die Gestaltung des Übergangs durch Fotos und Erläuterungen dokumentiert. Ein Brief an die Eltern, der ihnen einen Überblick über diese ressourcenorientierte Übergangsgestaltung gibt, rundet das „Gesamtpaket“ ab und schafft Transparenz und Verbindlichkeit.
Mithilfe einer solchen Palette an Angeboten hat jedes Kind vielfältige Möglichkeiten, sich auf seine eigene Art und Weise in den Prozess der Vorbereitung auf die Schule einzubinden. Dazu hat es immer die Fachkräfte an seiner Seite, die es bei jedem einzelnen Schritt auf diesem Weg in Anspruch nehmen kann: als Berater oder Schulkenner, als Beschützer, Tröster oder neugieriger Erwachsener - kurzum: als Übergangsperson, die trainingsfrei und ressourcenorientiert Sicherheiten schafft und so den Schuleintritt mitgestaltet.