„Warum kann ich mein einjähriges Kind nicht in meiner Gruppe betreuen?“Mitarbeiterin fragt – Kita-Leitung antwortet

Es ist naheliegend, dass eine solche Konstellation für die Mitarbeiterin, die z.B. den beruflichen Wiedereinstieg plant, Vorteile durch eine unkompliziertere Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit sich brächte. Aber nicht immer ist das Naheliegendste auch das Beste für das Kind. Machen Sie deshalb im gemeinsamen Gespräch Ihre Haltung und die Position des Trägers deutlich, indem Sie die entscheidenden Aspekte beleuchten.

Zunächst können Sie mit Ihrer Mitarbeiterin den Blick darauf werfen, wo ein einjähriges Kind in seiner Entwicklung steht, was es braucht und wie es die Betreuung durch die Mutter gemeinsam mit anderen Kindern empfinden würde: Ein einjähriges Kind hat bislang eine Bindung nur zu wenigen Personen aufgebaut, an erster Stelle meistens zur Mutter, dann zum Vater oder anderen Erwachsenen im Umfeld der Familie. In seiner sozial-emotionalen Entwicklung ist das Kind ab einem Jahr dazu in der Lage, Gefühle wie Zuneigung, Ärger, Eifersucht und Freude auszudrücken. Auch macht es bereits einige seiner Bedürfnisse deutlich und möchte diese unmittelbar befriedigt wissen. Ein Aufschub ist noch nicht möglich. Das Kind wird seine Bedürfnisse in erster Linie der Mutter anzeigen, da es genau dies im häuslichen Kontext durch Erfahrung gelernt hat. Doch im Kontext Kita wird das voraussichtlich nicht immer möglich sein, sodass das Kind irritiert sein wird. Wenn es zudem mit einem Jahr noch nicht laufen kann, ist es ein „Tragling“ und deshalb gewohnt, häufig auf dem Arm seiner Mutter zu sein. Dadurch kann es regelmäßig zu Situationen kommen, in denen die Mutter mit sich selbst in Konflikt gerät. Sie wird ihr Kind nicht jedes Mal auf den Schoß nehmen oder tragen können, wenn es das einfordert bzw. bräuchte. Doch ist ein einjähriges Kind von seiner kognitiven Entwicklung her noch nicht in der Lage zu verstehen, dass die Mutter hier zwei unterschiedliche Rollen einnimmt. Es begreift die Mutter ausschließlich als seine Bindungsperson, die Sicherheit, Geborgenheit, Verlässlichkeit bietet und ihm Aufmerksamkeit schenkt, die es braucht, um in die Exploration zu gehen.

Rollenkonflikt der Mutter vs. professionelles Handeln

In welchen Rollenkonflikt kann Ihre Mitarbeiterin geraten, wenn sie ihr Kind tatsächlich in der eigenen Gruppe betreuen würde? Gehen Sie mit ihr der Frage nach, ob sie strenger mit ihrem Kind umgehen würde als mit den anderen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie es bevorzugt. Erfahrungsgemäß tritt nämlich genau dieses Phänomen oft ein. Ihre Mitarbeiterin kann in Situationen geraten, in denen sie als Mutter agieren will, z.B. in Konflikten, wenn sich das eigene Kind ungerecht behandelt fühlt oder getröstet werden will, obwohl sie gerade mit einem anderen Kind beschäftigt ist. Fragen Sie nach, wie es ihr emotional damit ginge. Alle Kinder gleich zu behandeln und in der Berufsrolle professionell zu bleiben, ist unter solchen Voraussetzungen im Kita-Alltag nicht leicht. Auch der Loyalitätskonflikt spielt hier eine Rolle, denn die Mitarbeiterin wäre hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, gute Mutter und zugleich loyale Mitarbeiterin der Kita zu sein.

Probleme im Team und mit den Eltern

Nicht zu unterschätzen sind auch die Reaktionen von Team und Eltern. Schnell könnte mehr oder weniger offen der Vorwurf einer ungerechtfertigten Sonderbehandlung im Raum stehen, was bei den Kolleginnen wiederum zu Missgunst und infolgedessen zu Ausgrenzung führen kann. Oder die Eltern befürchten - aus erzieherischer Erfahrung -, dass die Mitarbeiterin durch das eigene Kind in der Gruppe zu stark abgelenkt würde. Und nicht zuletzt wäre da noch der bereits erwähnte „Generalverdacht“ der Bevorzugung des eigenen Kindes.

Reaktionen des Kindes

Durch die Betreuung in der gleichen Gruppe würde aber auch dem Kind selbst eine Menge abverlangt. Es müsste Verständnis dafür aufbringen, dass es nicht die von zu Hause gewohnte Aufmerksamkeit bekommt und dass seine Mutter ebenso für die anderen Kinder da zu sein hat. Jederzeit Bindung bei der Mutter zu „tanken“, wäre nicht möglich, weil ihr Beziehungsverhalten ein anderes ist. Das einjährige Kind erlebt u.U. sogar zum ersten Mal Zurückweisung oder wird von der Mutter ignoriert, was sich negativ auf sein emotionales Erleben auswirken würde. Schlimmstenfalls könnte das Kind mit Neid und Eifersucht darauf reagieren, aggressiv werden, vermehrt weinen, Nahrung verweigern oder sich still zurückziehen. Auch sein Spielverhalten könnte sich verändern, wenn es die gewohnte Sicherheit, Geborgenheit und Aufmerksamkeit vermisst.

Alternative Lösungsmöglichkeiten

Wenn es Ihnen im Gespräch gelungen ist, bei Ihrer Mitarbeiterin Verständnis dafür zu schaffen, dass eine alternative Betreuungssituation für das einjährige Kind, aber auch für die Mitarbeiterin selbst im Grunde eher eine Entlastung darstellt, dann können Sie im nächsten Schritt gemeinsam überlegen, wie eine Lösung aussehen könnte: Sollte es besser eine ganz andere Einrichtung sein oder reicht es, wenn das Kind in derselben Einrichtung, aber in einer Nachbargruppe betreut wird? Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass es aufgrund der räumlichen Nähe passieren kann, dass das Kind in kritischen Situationen instinktiv, sobald es die Mutter sieht, Trost und Schutz bei ihr suchen würde, was auch ganz natürlich und nachvollziehbar wäre. Berücksichtigen Sie bei Ihren Überlegungen auf jeden Fall auch die Lebensumstände der Mitarbeiterin (Wohnort, Anfahrt zur Kita, Arbeitszeiten, Öffnungszeiten der Kita usw.), um eine zufriedenstellende Lösung für Sie, Ihre Mitarbeiterin und vor allem für das Kind zu finden.
Wichtig: Bei einer Betreuung des eigenen Kindes in der Gruppe muss es nicht zwangsläufig zu allen beschriebenen Reaktionen kommen, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch. Legen Sie dies Ihrer Mitarbeiterin der Fairness halber ebenfalls dar.

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