Wenn Sie als Leiter/-in aufmerksam die Abläufe in Ihrer Einrichtung verfolgen, wird Ihnen dieser Missstand vermutlich nicht entgangen sein. Doch warum das An- und Ausziehen in der Garderobe an einigen Tagen besonders stressig, laut und unübersichtlich ist und an anderen Tagen harmonisch und ruhig, ist auch für Sie nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Wichtig ist es daher, zunächst den pädagogischen Hintergrund dieser speziellen Situation zu beleuchten, ihn im Team zu besprechen, um dann gemeinsam nach einer praktikablen Lösung zu suchen. Das An- und Ausziehen der Kinder wird maßgeblich durch seine Dimensionen bestimmt: Einerseits handelt es sich hier um einen Übergang, bei dem die Garderobe als Zwischenschritt zwischen zwei Aktivitäten dient, beispielsweise vom Morgenkreis in den Garten. Sich zu kleiden ist andererseits aber auch eine Pflegeaktivität und kann den sogenannten Lebensaktivitäten zugeordnet werden (vgl. Ropan, Logan, Tierney 2009). Durch solche Lebensaktivitäten, die einen besonderen Stellenwert in der pädagogischen Arbeit verdienen (vgl. Gutknecht 2015), erwerben Kinder wichtige Kompetenzen für das ganze Leben. Die beiden genannten Dimensionen lassen sich jedoch nicht ohne Weiteres zusammenbringen: Ein Übergang ist zeitlich begrenzt und erfüllt i.d.R. den Zweck, die nachfolgende Aktivität umsetzen zu können. Pflegeaktivitäten wie Wickeln, Essen, Schlafen und eben auch An- und Ausziehen sollten nach Möglichkeit als Beziehungszeit zwischen Bezugserzieher/- in und Kind gestaltet werden. Sie finden häufig in Eins-zu-eins-Interaktionen statt und sind entsprechend intensiv, z.B. sprachliche Anregung, Körperkontakt durch Berührungen und gemeinsame Bewegungen in der Assistenz.
Lernort Garderobe
Bezogen auf die Garderobensituation gelingt dort im Optimalfall eine an den individuellen Bedürfnissen des Kindes und der Gruppe orientierte Gestaltung. Hier sind die Interaktionskompetenzen Ihrer Mitarbeiter/-innen besonders gefordert, um den Kindern während des An- und Ausziehens den Aufbau wichtiger Kompetenzen zu ermöglichen: Wie ziehe ich mir am besten allein die Schuhe an? Wie halte ich das Gleichgewicht? Welche Jacke wähle ich bei Regen und wie ziehe ich sie an? Wo finde ich meine Mütze? Hauptanliegen Ihres Teams muss es sein, dass für die Garderobensituation ein Rahmen geschaffen wird, in dem das An- und Ausziehen entspannt und möglichst ohne Unterbrechungen begleitet werden kann. Nur so können die Interaktion und die Assistenz mit den Kindern gelingen.
Ressourcenorientierter Übergang
Neben dem Faktor Zeit spielen auch der Raum sowie die Übergangsgestaltung eine wichtige Rolle. An diesen Punkten können Sie ansetzen, um für einen stressfreien Ablauf der An- und Ausziehsituation zu sorgen. Häufiger Stressauslöser für Kinder und pädagogische Fachkräfte ist die Zeit: Kinder brauchen je nach Alter und Entwicklungsstand, aber auch je nach Tagesverfassung und Wetterlage länger oder kürzer für die gesamte Aktivität. Dadurch dauert die Unterstützung, die Ihre Mitarbeiter/-innen leisten müssen, unterschiedlich lang. Besonders wenn das Tempo innerhalb einer Kindergruppe weit auseinanderliegt, können Sie eine Teilung der Gruppe oder einen fließenden Übergang zur nächsten Aktivität anregen. Denn sowohl zu viel als auch zu wenig Zeit kann zum Stressfaktor werden. Ebenso hat der Raum maßgeblichen Einfluss auf Interaktionen und die Möglichkeiten zur Gestaltung der Situation. Seine Beschaffenheit und Ausstattung beeinflusst das Erleben der Situation: In kleinen Garderobenräumen, die von allen Kindern und mehreren pädagogischen Fachkräften genutzt werden, können vermehrt Konflikte auftreten. In diesem Fall sollten Sie Ihrem Team die Bildung von Kleingruppen auftragen, damit für alle Beteiligten ausreichend Aktionsraum zur Verfügung steht (vgl. Daldrop 2016). In großen und weitläufigen Räumen verlieren die Kinder dagegen leichter die Orientierung und damit den Fokus auf die eigentlich geforderte Aktivität Anziehen oder Ausziehen.
Wird der Flur in Ihrer Einrichtung außerdem zu anderen Zeiten zum Spielen genutzt oder befindet sich Spielzeug mit hohem Aufforderungscharakter in greifbarer Nähe, sollten Sie sich für eine räumliche Begrenzung einsetzen. Dazu können Sie als effektives Hilfsmittel eine bewegliche Trennwand, einen Vorhang o.Ä. vorschlagen, die bzw. der sich jederzeit wieder beiseiteschieben lässt. Insgesamt sollten Sie und Ihr Team zur Lösung des Problems auf sogenannte Organisationsstrategien zurückgreifen, um innerhalb der betreffenden Strukturen Ihrer Einrichtung den nötigen Spielraum in Form von Zeit, Raum und ggf. Personal zu schaffen. Sie werden feststellen, dass die Aufteilung der Kinder in Kleingruppen sowie der flexible Übergang zur nächsten Aktivität bzw. „Nischen“ mit Beschäftigungsangeboten wie z.B. Bücherkisten oder Wandlandschaften die Garderobensituation spürbar entspannen wird. Empfehlen Sie Ihren Mitarbeiter(inne)n außerdem, ihre „Rollen“ während der Situation festzulegen. Individuelle Assistenz geben, im 1:1-Kontakt zum Kind sein und gleichzeitig die gesamte Gruppe im Auge behalten: Das ist auf Dauer zu stressig und kommt auch niemandem zugute. Ihre Absprachen im Team werden hier zu einer Entspannung beitragen: Wer übernimmt die Gesamtorganisation und behält den Überblick? Diese Person kümmert sich z.B. darum, dass bereits angezogene Kinder nicht zu lange warten müssen und dass eventuelle Toilettengänge oder Windelwechseln koordiniert werden usw. Wer begleitet einzelne Kinder bei der An- oder Auszieh- Interaktion? Aufgrund seiner beiden Dimensionen Pflege und Übergang bleibt das An- und Ausziehen in der Garderobe eine Situation mit Stresspotenzial. Deshalb müssen Sie sie einvernehmlich mit Ihrem Team so gestalten bzw. verändern, dass sowohl die Gruppe als auch das einzelne Kind wahrgenommen und angemessen begleitet wird. Eine vorausgehende Planung sowie anschließende Reflexion der Garderobensituation und ihrer Gestaltung liefern Ihnen wichtige Informationen, um die Aktivität stressfreier zu gestalten und allen Kindern gerecht zu werden.