Einmal im Jahr zog eine Karawane gut frisierter und gekleideter Kinder in die Kita ein: Der Fotograf hatte sich angekündigt und am meisten aufgeregt waren die Eltern. Sie hatten hohe Erwartungen und wollten nichts weniger als den perfekten Schnappschuss von ihrem Kind.
„Hier, Frau Mönter, Lisas bestes Kleid. Können Sie sie bitte kurz vorher umziehen? Danach soll sie die Sachen aber sofort wieder ausziehen. Nicht, dass die Strumpfhose Löcher kriegt.“ „Würden Sie Jonas bitte noch kämmen, bevor er fotografiert wird?“ „Ich habe Anselm den Anzug schon angezogen, damit Sie nicht so viel Arbeit haben.“ Vorschnell atmete ich auf. „Aber könnten Sie darauf achten, dass er danach nicht draußen spielt? Grasflecken gehen nicht mehr raus.“
Sie können sich den Tumult vorstellen, den der Besuch des Fotografen jedes Mal auslöste. Das wollten wir ändern und wiesen frühzeitig vor dem Fototermin darauf hin, dass wir die Kinder nicht mehr umziehen. Wir boten den Eltern an, die Kinder in der Kleidung zu bringen, in der sie fotografiert werden sollten. Oder die Eltern könnten sich in eine Liste eintragen und ihre Kinder dann kurz vor dem Shooting selbst umziehen und kämmen. Das bisherige Tohuwabohu schien uns durch diese Maßnahmen gebannt. Insgeheim ging ich davon aus, dass aufgrund von Berufstätigkeit nur wenige Eltern den „Styling- Termin“ in Anspruch nehmen würden. Bis der große Tag kam.
Pünktlich um halb acht baute der Fotograf sein „Studio“ in der Turnhalle auf, gegen 9.30 Uhr wollte er beginnen. Die Liste der Eltern hing – von mir infolge meiner naiven Annahme bislang völlig unbeachtet – am Schwarzen Brett. Die ankommenden Kinder schienen ganz normal angezogen zu sein. Ich begrüßte die bringenden Eltern mit erleichtertem Lächeln und ging ins Büro. Die Arbeit ließ mich die Außenwelt vergessen, bis ich durch lautes Gemurmel in die Realität zurückgeholt wurde. Ich schaute auf, es war 9 Uhr und somit in allen Gruppen Begrüßungskreis. Normalerweise herrschte um diese Zeit Stille auf dem Flur.
Das Gemurmel wurde lauter. Ich hörte lautes Lachen und andere Geräusche, die ich nicht zuordnen konnte. Irritiert öffnete ich die Bürotür und traute meinen Augen nicht: Der Flur platzte aus allen Nähten. Heerscharen von Müttern saßen auf den Bänken der Garderobe. Mit allerlei Styling- Utensilien und den guten Klamotten warteten sie aufgeregt auf ihren Einsatz. Der Tisch im Flur war mit diversen essbaren Kleinigkeiten und Getränken bestückt, offenbar von den Eltern mitgebracht. Fröhlich wurde ich begrüßt und die ersten Kinder kamen aus den Gruppen gelaufen. Ich versuchte, mir meinen Schock nicht anmerken zu lassen. Die Liste! Vielleicht hätte ich sie mir vorher doch mal anschauen sollen. Äußerlich gefasst nahm ich sie von der Wand und verschwand wieder im Büro. Die Liste war voll. Die Eltern hatten sich im Viertelstunden-Rhythmus eingetragen. Und um den Weg zur Kita nicht zweimal gehen zu müssen, warteten sie nun im Flur auf ihren Termin. Da hatte ich mir was Schönes eingebrockt. Ich schielte heimlich durch das kleine Bürofenster: Die Garderobe war kurzerhand zur Umkleide umfunktioniert worden. Die Eltern waren bestens organisiert. In einer Ecke wurde geföhnt und frisiert, in der anderen begutachtet und gecoacht, während andere es wiederum dem Fotografen gleichtun wollten und das Spektakel mit dem Handy festhielten. So artete der Fototermin zum Happening aus und die Partystimmung hielt noch bis nachmittags an. Nach getaner Arbeit verabschiedete sich der Fotograf – aber nicht, ohne sich noch zu bedanken: „Das haben Sie wunderbar organisiert. Eine super Foto-Session! Ich freue mich schon auf nächstes Mal.“
Wahrscheinlich wird er enttäuscht sein, der gute Mann. Denn nächstes Jahr wird alles ganz anders: ein ruhiger, stinknormaler Kita-Tag!
Ihre
Petra Mönter