Heute ist mir kurz das Blut in den Adern gefroren 11.06.2018
Als ich von meiner Mittagspause zurückkomme, läuft mir eine völlig panische Kollegin entgegen. Sie rudert mit den Armen und wirft mir Wortfetzen entgegen, deren Sinn ich kaum verstehe, da mir der Zusammenhang fehlt. Ich begreife lediglich so viel, dass ich schnellstens in die Turnhalle kommen soll und dass sie der Meinung ist, ich müsste unbedingt eine Säge mitbringen. Wofür zum Himmel brauche ich in der Turnhalle eine Säge? Dort angekommen erwarten mich ein hinter der Sprossenwand eingeklemmter Junge sowie ein Kollege und ein Praktikant, die am schreienden und weinenden Kind herumzerren. Drei Sekunden Schockstarre und die blitzartige Erkenntnis, dass keinerlei Chance besteht, das Kind auf normalem Weg zu befreien. Ich muss mich selbst eindringlich ermahnen: „Susanne, bleib jetzt ruhig!“ Die Situation erinnert mich ein wenig an brenzlige Momente bei meiner Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ich atme ganz tief durch und spreche so lange beruhigend mit dem Jungen, bis er nicht mehr weint. Ich erkläre ihm, dass wir ihn gleich herausholen werden, und gehe gedanklich die verschiedenen Möglichkeiten durch. Danach eile ich in den Werkraum und schnappe mir den großen Werkzeugkoffer. Zurück in der Turnhalle drücke ich den beiden Männern jeweils einen Schraubenschlüssel in die Hand. Einige Minuten später lösen sich die großen Schrauben und ich kann die Sprossenwand nach vorne ziehen. Ein erleichterter, freudiger Aufschrei und der Junge kommt unbeschadet frei. Das ist ja noch mal gutgegangen. Trotzdem ist es mir völlig unverständlich, wie so etwas passieren konnte – an einer sicherheitsgeprüften und extra für Kinder gefertigten Sprossenwand!
Zum Gespräch bitten 24.07.2018
So langsam wird es Zeit für meine Mitarbeiter*innengespräche. Inzwischen kenne ich meine Kolleg* innen recht gut und eine Vertrauensbasis ist vorhanden. Jetzt gilt es, ein Konzept zu entwerfen. 15 Mitarbeitende bedeutet: 15 Einladungen und 15 Gesprächstermine. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn der Kita-Betrieb währenddessen aufrechterhalten werden soll. So überlege ich mir ein anderes System und entwerfe eine Einladung für alle Mitarbeiter*innen mit einer Tabelle, in der jeder/jedem ein Datum zugeordnet wird, an dem das Gespräch stattfinden soll. In der Zeit von 9:00 bis 11:30 Uhr darf die jeweilige Person flexibel zu mir ins Büro kommen – je nachdem, wie es das Tagesprogramm bzw. die Situation in der Gruppe zulässt. Es funktioniert besser als gedacht und die Idee ist gut umsetzbar. Auch mein Fragebogen zur Protokollierung ist hilfreich. Die Fragen bieten eine gute Struktur, der geplante Zeitrahmen erweist sich als angemessen. Mehr als ein*e Mitarbeiter*in am Tag muss nicht sein – so kann man sich gut auf die Person konzentrieren und sich mit den zu besprechenden Themen auseinandersetzen. Mittlerweile bereitet es mir immer weniger Schwierigkeiten, klare Aussagen zu treffen und Rückmeldung zu geben. Ich scheue mich auch nicht mehr, Kritik zu äußern, und motiviere meine Mitarbeiter*innen dazu, mir ebenfalls Rückmeldung zu geben. Bisher ist das Feedback gut. Mir hilft es sehr, dass meine Mitarbeiter*innen wissen, was ich täglich als Leiterin leiste, und Verständnis dafür haben, dass ich viele Stunden im Büro verbringen muss, obwohl ich komplett in den Anstellungsschlüssel mit eingerechnet werde.
Und nun bitte unsere Leiterin nach vorne! 18.09. 2018
Heute findet meine erste Jahreshauptversammlung des Trägervereins statt. Vorstandsmitglieder, Kolleg*innen, der Pfarrer und Mitglieder des Vereins sind anwesend. Ein Blick auf die Tagesordnungspunkte, die auf der Leinwand erscheinen, lässt mich kurz stutzen. Unter Punkt 3 steht dort „Tätigkeitsbericht der Kita-Leitung“. Aber kein Problem, vermutlich wird der Träger etwas vorbereitet haben. Trotzdem wundert es mich schon, dass man mich nicht einmal gefragt hat, was meine Tätigkeiten waren. Die Vorsitzende begrüßt alle, die Kassiererin verliest den Kassenbericht, man informiert über die gute Zusammenarbeit mit mir (was ich natürlich gerne höre). Die Vorstandsvorsitzende hält ihren Vortrag und endet schließlich mit den Worten: „Und nun bitte ich unsere Kita-Leiterin für ihren Tätigkeitsbericht nach vorne.“ Waaas?! Alle Augen sind auf mich gerichtet. Panik und Entsetzen. Ich weiß nichts von einem Tätigkeitsbericht. Genau genommen weiß ich nicht einmal, was ein Tätigkeitsbericht überhaupt ist. Ob ich einfach flüchten sollte? Bringt ja nichts, irgendwas muss ich tun. Also stelle ich mich vor das versammelte Publikum und berichte von meiner Arbeit mit den Kindern, von unseren Festen, Gottesdiensten und von meinen ersten Erfahrungen mit dem Verwaltungsprogramm. Ich fühle mich fürchterlich. Ständig höre ich mich „ähm“ sagen, stottere teilweise, verliere den Faden, überlege zu lange und wiederhole mich. Mir wird heiß, ich schwitze. Ob ich im Gesicht schon rot anlaufe? Aber dann Applaus für den vermutlich kürzesten und merkwürdigsten Tätigkeitsbericht aller Zeiten. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. In Gedanken gehe ich noch mal alle Anrufe und E-Mails der letzten Wochen durch: Habe ich da irgendetwas übersehen? Als es schließlich zum gemütlichen Teil übergeht, schnappe ich mir die Verantwortlichen und frage freundlich, ob sie vielleicht etwas vergessen hätten. Peinlich berührt erzählt meine Chefin, Einladung und Tagesordnungspunkte wären im Gemeindeblättchen abgedruckt gewesen. Doch niemand hatte daran gedacht, dass ich 30 Kilometer entfernt wohne und deshalb nichts davon zu Gesicht bekommen hatte. Alle sehen es locker – ich hätte es doch gut gemacht. Natürlich sehe ich das ganz anders, da ich zugegebenermaßen eine Perfektionistin bin. Dennoch bemühe ich mich, es nicht so dramatisch zu sehen. Aber eines steht jetzt schon fest: Nächstes Jahr werde ich bestens vorbereitet sein!