Leute muss ich Ihnen mal eine ganz verrückte Sache verraten: Ich leite meine Kita mit diversen Gehirnen! Ja, Sie haben richtig gelesen! Vielleicht denken Sie jetzt spontan, es wäre schon viel gewonnen, wenn diese Frau wenigstens das eine Gehirn, das sie hat, gescheit benutzen würde. Doch lassen Sie mich erklären, wovon ich spreche: Manchmal muss ich ein Gehirn abschalten, damit ich mit einem anderen agieren kann.
Vor einiger Zeit bekamen wir vom Gesundheitsamt eine Broschüre zugeschickt: ein Musterhygieneplan für Kindertagesstätten, Umfang 200 Seiten. Inzwischen landen auf meinem Schreibtisch immer öfter Leitfäden, Vorgaben oder Pläne, an die ich mich zu halten habe. Wenn das so weitergeht, entwickle ich so langsam eine multiple Persönlichkeit: Gemäß den Anforderungen der Unfallkasse leite ich die „sichere Kita“. Für das Gesundheitsamt leite ich die hygienisch einwandfreie Kita. Und – nicht zu vergessen – obendrein leite ich dann auch noch eine Kita, in der die Kinder gebildet, erzogen und betreut werden sollen. Wie gut, dass ich geistig so flexibel bin, jedes Mal das eine Gehirn für das andere ausblenden zu können. Denn eine „Three-inone“- Kita, das funktioniert nun mal gar nicht. Und dabei spreche ich noch nicht einmal von all den anderen Anforderungen des Kita-Alltags: Konzeptionsarbeit, Qualitätsmanagement, Personalentwicklung, Sozialraumvernetzung, Öffentlichkeitsarbeit und, und, und … Denn zu einer professionellen Leitungstätigkeit gehört das ganz selbstverständlich dazu. Aber veranstalten Sie mal ein Kindergartenfest und halten dabei gleichzeitig alle geltenden Regelungen ein. Da kann man eigentlich nur verrückt werden.
Letztens feierten wir an einem Freitag nachmittag unser Kita-Fest im Wald. Die Eltern hatten sich in eine Liste eingetragen und so war ein wunderbares Wald- Buffet zu erwarten. An diesem Tag musste ich das Gesundheitsamt-Gehirn ausschalten. Denn anders wäre es gar nicht gegangen. Die für uns maßgebliche Broschüre schrieb vor, dass es in unmittelbarer Nähe Toiletten und eine Handwaschmöglichkeit mit kaltem und warmem Wasser sowie Einmal- Handtüchern geben müsse, nutzbar von allen Personen, die mit Nahrungsmitteln hantieren. Des Weiteren dürfe die Kühlkette der mitgebrachten Speisen nicht unterbrochen werden. Man stelle sich nur vor, ich hätte mein Veterinär-und-Lebensmittelaufsichtsamt- Gehirn nicht ausgeschaltet … Sonst hätte ich womöglich noch einen Bofrost-Wagen angemietet, um die ununterbrochene Kühlkette der Speisen zu garantieren, hätte die Feuerwehr um Bereitstellung von Wasser gebeten und aus der Kita die Wasserkocher mitgebracht. Außerdem hätte ich ein Zelt zum Schutz des Essens vor Witterungseinflüssen aufgestellt. Ja und glauben Sie im Ernst, ich hätte die Kin der im Wald spielen lassen? Dann hätten sie das Fingerfood ja mit dreckigen Händen an gefasst! Um die Nahrungsaufnahme hygienetechnisch abzusichern, hätten wir Einweggabeln dabeigehabt und … oh, Moment, da kommt mir gerade mein Umwelt- Gehirn in die Quere. Entschuldigung, aber gerade arbeiten bei mir zu viele Gehirne gleichzeitig. Jetzt komme ich gerade etwas durcheinander. Also, laut unserer Konzeption wollen wir ressourcenschonend und nachhaltig arbeiten. Deshalb hätten wir Waschbecken aufgestellt und dazu personenbezogene Stoffhandtüchern an einzelnen Haken aufgehängt, im Abstand von 40 Zentimetern. (Ich darf auf keinen Fall mein Lineal vergessen.)
Sie sehen, es ist alles gar nicht so einfach. Gut, dass ich an jenem Freitagnachmittag dann doch mein Pädagoginnen- Gehirn eingeschaltet hatte. Wir hatten viel Spaß, lernten ganzheitlich die Natur kennen und haben mit allen Sinnen den Wald erkundet. Sogar das Wetter spielte mit. Heute hat sich die Unfallkasse zur Begehung angemeldet. Gott sei Dank ist alles perfekt: Die Liste mit den Temperaturen hängt am Kühlschrank, das Essen der letzten zwei Wochen liegt gefroren und mit je zwei Proben à 100 g im Eisfach bereit … Um Gottes Willen, das falsche Gehirn. Jetzt muss ich aber wirklich los!
Ihre
Petra Mönter