Irgendwann stand auch bei uns die Frage im Raum, ob wir nicht ein Tier bzw. Tiere in der Einrichtung halten wollen. Ich vermute, dass die Idee nach unserem letzten Ausflug zum Bauernhof aufkam. Oder war es vielleicht doch das Haustierprojekt, in dessen Verlauf Max seine Berner Sennenhündin Ara vorgestellt hatte?
Wie dem auch sei: Von nun an diskutierten wir das Thema in Teamsitzungen und erörterten das Für und Wider: Wer versorgt die Tiere, wenn die Kita geschlossen ist? Hat immer jemand ein Auge darauf, dass die Tiere im Laufe der Zeit nicht liebevoll zu Tode gekuschelt werden? Welches Tier ist so robust, dass es den permanenten Lärmpegel, aber auch das unendliche Interesse der Kinder aushält? Wie viel zusätzliche Arbeit würde auf uns zukommen? Kann Tierhaltung in der Kita überhaupt artgerecht stattfinden? Überzeugt waren wir alle, dass schon die Kleinsten von Tieren profitieren würden: Werden doch durch den Kontakt zu ihnen Verantwortungsbewusstsein, Empathie und Sozialverhalten gefördert. Am Ende jedoch sprach sich unser Team mit großer Mehrheit gegen Tiere in der Kita aus. Und nun raten Sie mal, was wir vor einiger Zeit dann doch in der Kita beherbergt haben? Richtig, ein Tier!
Bestimmt denken Sie jetzt spontan an einen kuscheligen Hasen, ein Meerschweinchen oder einen Hund – weit gefehlt!
Unser Tier war uns zugelaufen. Draußen war es ihm wohl zu kalt und so hatte es sich klammheimlich in einen der Gruppenräume geschlichen. Kaum wurde das Häufchen Elend dort in einer Ecke entdeckt, zog es alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Fürsorge der Kinder rührte uns. Und obwohl wir selbst von diesem Wesen, das da in der Ecke kauerte, ganz und gar nicht entzückt waren, ließen wir uns von der Begeisterung anstecken. Für seine Spezies erschien es uns ungewöhnlich groß, ja geradezu riesenhaft. Zunächst bugsierten wir das Tier behutsam in einen Pappkarton, in den die Kinder lauter kleine Löcher gebohrt hatten, damit es Luft bekam. Dann berieten wir uns: Was sollte jetzt mit dem Tier geschehen? Einige Kinder waren dafür, es wieder nach draußen zu bringen. Andere hingegen befürchteten, dass es dort sterben müsse. Immerhin sei es ja wegen der Kälte zu uns hereingekommen. Eine spannende Diskussion begann.
Schließlich einigten sich die Kinder darauf, dem Tier für eine begrenzte Zeit Unterschlupf in der Kita zu gewähren und es wieder auszusetzen, sobald die Temperaturen draußen anstiegen. Erstaunlich schnell war ein Terrarium organisiert. „Herr Mann“ sollte das Tier heißen. Dieser Name fiel Tom ein, der felsenfest davon überzeugt war, dass es sich um ein männliches Tier handelte. Die anderen Kinder fanden das richtig und so wurde es fortan „Herr Mann“ gerufen. „Was fressen die denn?“, fragte Elsa, und schon zogen wir in die Bücherei, um uns in Tierbüchern schlau zu machen. Herr Mann wurde artgerecht gefüttert, es schien ihm gutzugehen. „Traurig, dass Herr Mann so allein ist“, sinnierte Hannah eines Tages. Daraufhin wollten die Kinder unbedingt im Garten eine „Frau Frau“ als Spielkameradin für ihn finden. Es keimte die leise Hoffnung, dass sich beide so gut verstehen würden, dass sie sogar Kinder bekämen. Es war eine aufregende Zeit, in der wir Wertschätzung für eine Spezies erlernten, die sonst – wird sie im Haus gefunden – im Staubsauger verschwindet, zerdrückt oder bestenfalls im Schraubglas nach draußen befördert wird.
„Herr Mann“ war nämlich eine Spinne. Irgendwann war er verschwunden, aber noch lange danach waren wir erstaunt, was uns dieser Achtbeiner so alles gelehrt hat. Auch ich selbst finde Spinnen inzwischen ganz erstaunlich. Obwohl: Bei mir zu Hause können sie gern draußen bleiben.
Ihre
Petra Mönter