In Rekordzeit ins Leitungsbüro (oder auch nicht)Leiten und leiten lassen - Szenen aus dem Kita-Chaos

Achtung, fertig, los! Mein täglicher Hindernislauf startet. Live aus der Kita. Die Challenge: auf direktem Weg das Leitungsbüro erreichen. Heute mit einer Besonderheit: Im Flur steht eine Pappkiste mit meinem Namen darauf. Motiviert schnappe ich sie mir und renne los.

Trotz jahrelangen Trainings stehen meine Chancen schlecht. Es ist ein Wettrennen, bei dem ich zwar keine Goldmedaille, aber dafür kostbare Arbeitszeit gewinnen kann. Meine Vorfreude, dass die Kita an diesem frühen Montagmorgen so gut wie leer ist, entpuppt sich als trügerische Vision. Die Erzieherin des Frühdiensts passt mich zielsicher ab und berichtet ausführlich, warum kein Ausflug mit den Kindern stattfinden kann und welche Gruppen unbesetzt sind. Vertretung um neun muss ich auch noch machen. Kein Problem! Ich schaffe fünf Schritte mit der Kiste. Was da wohl drin ist? „Hey, Melanie, hast du kurz Zeit?“ Ich mache drei Schritte zurück. Stefanie bittet darum, ihren Urlaubsantrag doch mal schnell anzuschauen. Sieben Schritte weiter, abbiegen: Ich hole Wasser und Gläser für ein Mitarbeitergespräch, das mir fast durchgerutscht wäre. Ich eile über den Flur, das Tablett mit den vollen Wassergläsern balancierend. Erste Ermüdungserscheinungen treten auf. Durchhalten, nur noch wenige Meter! Da kommen zwei unbekannte Männer auf mich zu. Ach ja, die Handwerker, die das kaputte Fenster in einem der Gruppenräume reparieren wollen. Als ich zum Teamzimmer zurückkomme, wartet der Mitarbeiter mit genervter Miene auf sein Gespräch. Inzwischen hat sich auch eine kleine Schlange an Hilfesuchenden gebildet. Ich war nur drei Minuten weg!

Als professionelle Kita-Athletin kläre ich alle Anliegen und führe das Mitarbeitergespräch in Rekordzeit. Jetzt sind es nur noch wenige Meter zum Leitungsbüro. Eltern! Die haben mal ganz kurz noch eine Frage. Alexander hat sich mit seinem besten Freund gestritten. Ob wir das klären können. Selbstverständlich. Ich schlichte, schaue mir nebenbei Kunstwerke an, schließe Jacken und beantworte schnelle Fragen zwischen Tür und Angel. Das gehört zu meiner Arbeit. Doch was würde ich dafür geben, nur ein paar Minuten in Ruhe zu arbeiten! Oder diese Kiste zu öffnen. Doch zuvor muss ich noch die Ameisenstraße versorgen, die seit diesem Morgen mitten durch unsere Kita führt. Es ist spät geworden, als ich endlich mit dem Karton das Leitungsbüro erreiche. Als ich die Türe öffne, stolpere ich über einen Toilettendeckel mit der Aufschrift „Kaputt“, den mir eine Kollegin wohl hinter die Tür gelegt hat. Die Kiste auf meinem Arm knallt auf den Boden und der Deckel springt auf. Rosaroter Glitzerstaub verteilt sich im Büro, benutztes Geschenkpapier rollt unter den Schreibtisch und eingetrocknete Tuschefässchen hüpfen wie Tischtennisbälle über den Boden.
Sieht ganz so aus, als hätte eine Familie zu Hause ausgemistet und die kostbaren und besonderen Materialien der Kita gespendet. Wie schön! Immerhin: Ich habe mein Ziel erreicht, jetzt bin ich in meinem Büro. Meine Bestzeit war das sicherlich nicht. Doch morgen ist ja auch noch ein Tag. Morgen geht es wieder an den Start.

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