Ruhige Zeiten im WaldschlösschenLeiten und leiten lassen - Szenen aus dem Kita-Chaos

Lärm, Überstunden, Zeitdruck, Personalmangel und Stapel unerledigter Aufgaben. Nein, ich arbeite nicht auf dem Bau. Ich bin Kita-Leiterin.

Ruhige Zeiten im Waldschlösschen
© AdiniMalibuBarbie - GettyImages;

Nach einem anstrengenden Tag, an dem ich zwei Stunden länger arbeiten musste, um einen erkrankten Kollegen zu vertreten, freue ich mich auf Entspannung und Ruhe. Vor allem Ruhe. Und hatte ich schon Ruhe gesagt? Also lasse ich mich zu Hause auf mein herrlich weiches Sofa fallen, lege endlich die Füße hoch und schnappe mir die Tageszeitung. Ich muss ja auf dem Laufenden bleiben. Ob ich mir die Stellenanzeigen ansehen soll? Eigentlich liebe ich meinen Job, aber heute Morgen habe ich im Spiegel mein erstes graues Haar entdeckt – dabei wird es wohl nicht bleiben, wenn es so weitergeht. Und siehe da, ich kann kaum glauben, was ich da lese: „Kita-Leitung für unsere Kita Waldschlösschen gesucht“. Waldschlösschen – das klingt für mich nach Vogelgezwitscher, glücklich im Freien spielenden Kindern, entspannten Kolleg:innen und natürlich viel Ruhe. Und entspanntes Arbeiten. Und Ruhe.
„Für unsere kleine, ruhig gelegene, zweigruppige Kita Waldschlösschen suchen wir ab sofort eine neue Leitung. Wir bieten Ihnen 50 Tage Urlaub im Jahr und die Garantie, dass Sie jederzeit alle Termine wahrnehmen können. Bei uns gibt es keinen Termin- oder Zeitdruck und viel Ruhe. Jeden Tag finden verschiedene Bildungsangebote für die Kinder statt, da alle Fachkräfte immer anwesend sind, wenn sie nicht gerade an einer Fortbildung teilnehmen. Selbstverständlich ist unsere Kita mit eigenem Ruheraumkonzept für die Fachkräfte immer aufgeräumt. Dabei kommt der Eltern- und Kolleg:innen-Kontakt niemals zu kurz. Bei uns sind Sie flexibel und kommen nur in Stress, wenn es darum geht, sich an unserer Kaffeetheke Ihr Lieblingsheißgetränk auszusuchen. Was dürfen wir Ihnen anbieten? Fairtrade-Arabica-Kaffee aus Costa Rica oder einen Darjeeling First Flush-Tee? Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann melden Sie sich direkt im Waldschlösschen. Wir haben Zeit für Sie. Ruhe – gleich dreimal kommt das Wort in der Stellenanzeige vor. Es muss Schicksal sein, dass ich nach meinem aufregenden Tag auf dieses Angebot gestoßen bin. Also greife ich sofort zum Handy und rufe die angegebene Nummer an. Sogleich ertönt eine schöne Melodie. Ob ich wohl in der Warteschleife bin? Kein Wunder, bei dieser Stellenanzeige werde ich nicht die einzige Interessentin sein. Wobei: So schön klingt die Melodie dann doch nicht. Und wenn ich es mir recht überlege, ist der Ton auch extrem laut.
Plötzlich schrecke ich hoch: Ich bin gar nicht in der Warteschleife. Mein Handy klingelt! Ich gehe dran und höre sofort die entsetzte Stimme meines Kollegen Ralf: „Wo bleibst du denn? Hier stehen Eltern und wollen was von dir, der Wasserhahn tropft und du musst um 10 Uhr in die Igelgruppe, weil Sina und Chan krank sind. Und hast du eigentlich schon den Sachbericht geschrieben?“ Kaum zu glauben. Ich muss gestern auf dem Sofa eingeschlafen sein. Die Zeitung? Liegt auf meinen Beinen. Das Waldschlösschen? Nur ein Traum. Ich mache mich auf den Weg und es folgt wieder ein Tag, an dem das Wort „Ruhe“ nur selten vorkommt. Aber so schlimm ist er auch wieder nicht. Ich habe nämlich mit einer Kollegin einen Lachanfall und in der Igelgruppe gibt's Kuchen zu Leos Geburtstag. Ob es das in diesem schnöseligen Waldschlösschen auch gegeben hätte? Bestimmt nicht!

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