„Vorurteile über Jüdinnen und Juden sind schon bei jungen Kindern vorhanden“Im Gespräch

Ein Forscherteam hat herausgefunden, dass es bereits in der Kita Antisemitismus gibt. Viele Erwachsene wissen aber davon gar nichts.

Sie haben sich für Ihr Forschungsprojekt einige Kitas genauer angesehen. Was ist Ihre Erkenntnis? Gibt es schon in Kitas Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden, also Antisemitismus?
Auf jeden Fall. Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Es ist daher nicht überraschend, dass Abwertungen und feindselige Haltungen gegenüber Menschen, die als jüdisch verstanden werden, auch in Kitas eine Rolle spielen. Negative Vorstellungen und Vorurteile über Jüdinnen und Juden sind schon bei jungen Kindern vorhanden. Erwachsene in den Kitas sind oft der Auffassung, dass Antisemitismus unter jungen Kindern noch keine Rolle spiele. Kinder wurden von den befragten Erwachsenen schlichtweg nicht mit Judenfeindschaft in Verbindung gebracht.

Wie haben Sie das herausgefunden?
Zusammen mit meinen Kolleginnen Saba-Nur Cheema und Yasmine Goldhorn haben wir in fünf Kindertageseinrichtungen einer deutschen Großstadt Interviews mit pädagogischen Fachkräften, Kita-Leitungen und Eltern durchgeführt. Zudem haben wir Beobachtungen und Gruppengespräche mit Kindern veranstaltet.

Wie äußert sich der von Ihnen beschrieben Antisemitismus?
Wir konnten feststellen, dass bereits 5-jährige Kinder Jüdinnen und Juden als solche erkennen, benennen und in einzelnen Fällen mit entsprechenden Zuschreibungen versehen. Interessant ist, dass es sich dabei offenbar um Wissen handelt, das den Kindern in den Medien, bei ihren Eltern, Geschwistern oder aber auch bei anderen Kindern begegnet. Dieses Wissen wird von den Kindern zum Teil vehement vertreten und verteidigt.

Welche Formen von Antisemitismus sind Ihnen unter den Kindern begegnet?
Es geht uns in unserer Forschung gar nicht so sehr um diese Frage, aber natürlich wurden auch Muster erkennbar. Zu nennen wären Handlungen, die auf israelbezogenen Antisemitismus verweisen. Auch verschwörungstheoretische Erzählungen und christlich begründete Judenfeindschaft sind uns begegnet.

Was müssen Kita-Leitungen tun, damit ihre Teammitglieder angemessen darauf reagieren können?
Zunächst einmal bräuchte es bei allen Beteiligten ein Bewusstsein dafür, dass Antisemitismus in Kindertagesstätten vorkommt. Auf der Einrichtungsebene können Kita-Leitungen Fortbildungen organisieren. Auch könnte eine eingearbeitete Fachkraft als Ansprechpartner:in für etwaige Fälle bestimmt werden. Zudem können sich Kita-Leitungen informieren, wo sie sich im konkreten Fall professionelle Hilfe holen können, wie etwa beim „Kompetenzzentrum für antisemitismuskritische Bildung und Forschung“. Auch können sich Kita-Leitungen für diversitätssensible Spielmaterialien in ihrer Einrichtung einsetzen. Generell ist ein enger Austausch mit Sorgeberechtigten angesagt, etwa bei Informationsveranstaltungen. Es muss im Interesse sowohl öffentlicher als auch freier Träger sein, Antisemitismusprävention in ihren Einrichtungen zu fördern und zu ermöglichen.

Und wie könnten Fachkräfte Antisemitismus thematisieren?
Zum Beispiel über Spielmaterialien. Kinderbücher, die Diversität illustrieren, oder Puppen, die Diversität repräsentieren, können Gesprächsarenen eröffnen. So kann mit den Kindern um Bedeutungen gerungen werden. Unsere Forschung zeigt, dass bereits junge Kinder in der Lage sind, sich gegenseitig zu korrigieren und zu widersprechen. Nicht immer ist das Eingreifen von pädagogischen Fachkräften notwendig. Dabei ist es bedeutsam, Kindern etwas zuzutrauen und mögliche Konflikte nicht zu unterdrücken, sondern zu lenken und ihnen nur wenn nötig zu widersprechen. Vor allem gilt es, sich mit betroffenen Kindern zu solidarisieren und Konflikte nicht als „Paradebeispiele“ vor anderen Kindern auszutragen.

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