Die Kita kann nicht alles richtenErziehung gelingt nur, wenn auch alle anderen Beteiligten ihre Verantwortung ernstnehmen

Beim Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre entsteht der Eindruck, dass Kitas heute fast alle Defizite in der Gesellschaft aufzufangen haben. Deshalb muss einiges im System neu gedacht werden, so der Autor.

Eine bunte Illustration zeigt vier Menschen, die sich gegenseitig unterstützen, eine große Treppe hinaufzusteigen.
© BRO Vector/ iStock

Erhalten Kinder zu Hause zu wenig Essen, soll die Kita-Verpflegung einspringen. Können Eltern unter Druck ihr krankes Kind nicht zu Hause pflegen, muss die Kita als Krankenstation herhalten. Das alles soll die Leitung neben allen anderen Erwartungen auch noch managen.

Bevor Erwartungen zu Enttäuschungen werden

Klar, Kinder müssen in der Kita essen können. Und ja, die Kita muss Sprache und benachteiligte Kinder fördern. Laut SGB VIII hat Kita die Aufgabe, Kinder zu selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu erziehen. Aber das kann sie nicht allein, sondern nur mit allen anderen Beteiligten zusammen schaffen.

Sie erfüllt diese Anforderung nur dann erfolgreich, wenn sie nicht mit anderen Aufgaben überfrachtet wird. Doch nicht nur die Leitungskräfte, sondern alle Verantwortlichen im System der Kindertagesbetreuung müssen klar benennen, was eine Kita leisten kann und was nicht. Es gilt, die Erwartungen von Eltern und Erziehungsberechtigten auf realistische Angebote zu beschränken. Als erste Kontaktperson einer Familie sollte die Leitung schon in den ersten Gesprächen die unterschiedlichen Erwartungen thematisieren.

Sorgen und Probleme der Familien landen in der Kita

Mehr denn je stehen Eltern und Familien heute unter Erwartungsdruck. Dazu nennt Schoener (vgl. Schoener 2024) eine Reihe Faktoren, die auf Eltern und Familien stärker einwirken als früher: Nicht selten sind Eltern mit der Alltagsorganisation überfordert. Wissen über Kindererziehung stammt immer weniger aus eigener Erfahrung oder speist sich aus Halbwissen und zweifelhaften Vorbildern. Da Elternschaft im Lebenslauf mittlerweile später anfängt, fallen Sorgen um den Arbeitsplatz, die Kindererziehung und möglicherweise pflegebedürftige Eltern immer öfter zusammen. Betreuungsausfälle und Zukunftsängste tun ihr Übriges.

All diese Faktoren bekommen unmittelbar auch Kitas und die Tagespflegepersonen zu spüren und verursachen bei ihnen zusätzlich Druck. Fach- und Leitungskräfte sind so stark wie nie als Beratende gefragt und müssen die Balance zwischen Empathie, Fachkompetenz und eigenen Ressourcen finden.

Der Sozialraum steht in der Verantwortung

„Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Dieser Satz bedeutet heute, dass Erziehung weder allein auf den Schultern der Eltern noch auf denen der Kita lasten darf. Dass Kinder selbstbestimmt, eigenverantwortlich und selbstständig werden, ist für die Zukunft einer ganzen Gesellschaft wichtig. Erziehung darf jedoch nicht fremdbestimmt durch Medien, Internet oder Wirtschaftsinteressen stattfinden. Ebenso dürfen dabei keine verantwortungslosen oder beziehungsunfähigen Menschen ohne Rücksicht gegenüber Mitmenschen und Umwelt herauskommen.

Leben in einer Gemeinschaft erfordert Konfliktfähigkeit sowie die Bereitschaft, eigene Interessen zugunsten gemeinsamer zurückzustellen. Zentral bleiben Recht und Pflicht der Eltern, ihr Kind zu erziehen, aber auch Einbindung des Sozialraums, der Verantwortung übernimmt. Für Kita-Leitungen bedeutet das, klar zu kommunizieren, wer die Verantwortung zum Beispiel für Rahmenbedingungen trägt. Zu professioneller Haltung gehört nun mal auch (bisweilen schmerzliche) Abgrenzung.

Im System sind alle Beteiligten gefragt

Institutionelle Kindertagesbetreuung wird von einer Verantwortungsgemeinschaft getragen. Zwar mag es entlastend erscheinen, die Verantwortung dem System oder den Verantwortlichen in ihm zuzuschieben, um selbst nichts verändern zu müssen. Doch Verantwortungsgemeinschaft bedeutet,

  1. das gemeinsame Ziel vor Augen zu haben,
  2. Träger und Grenzen der Verantwortung zu kennen,
  3. den eigenen Verantwortungsbereich auf das gemeinsame Ziel abzustimmen,
  4. mit anderen Verantwortlichen die Schnittstellen zu definieren,
  5. mit ihnen Lösungen zu finden und
  6. neue Erkenntnisse umzusetzen und zu evaluieren.

Jede Lebenswelt leistet ihre Sorgearbeit

Die Klagen einzelner Verantwortlicher lassen vermuten, dass alle hoffnungslos überfordert sind: Eltern, Kitas und Schulen. Es zeichnet sich ab, dass die Sorgetätigkeit in allen Lebensphasen neu zwischen professioneller Arbeit, freiwilligem Engagement und Familie aufgeteilt werden muss. Dafür müssen passende Modelle entworfen und ausprobiert werden sowie Rahmenbedingungen von der Politik und Wirtschaft kontinuierlich weiterentwickelt werden. Möglicherweise ist die Unterscheidung zwischen familienergänzend und -ersetzend gar nicht mehr zielführend. Angemessener wäre vielleicht, von verschiedenen Lebenswelten zu sprechen. Mit Blick auf Kleinstkinder handelt es sich bei Kita/Tagespflege und Familie um zwei Welten, die auf ihre je eigene Art einen Beitrag zu deren Persönlichkeitsentwicklung leisten. Neuverteilung von Sorgearbeit heißt deshalb nicht Aufsplittung in Förderung, Betreuung, Bildung und Erziehung, sondern Verschränkung der Orte und Ansätze.

Fazit

Angesichts wachsender Unzufriedenheit bei allen Beteiligten muss neu und deutlicher definiert werden, welchen Stellenwert in unserer Gesellschaft Kinder haben und wie die Sorge um sie neu zwischen Familien, Institutionen, Politik und Gesellschaft aufgeteilt werden muss. Ein „Weiter-so“ ist nicht zielführend. Leitungskräfte können für sich und ihr Team Handlungssicherheit schaffen, auch indem sie sich von überzogenen Erwartungen abgrenzen. Gleichzeitig können sie Eltern den Zugang zu anderen Einrichtungen und Verantwortlichen erschließen.

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