Frau Menz-Bächle, Sie arbeiten im Museums-pädagogischen Dienst der Staatsgalerie Stuttgart. Solche Dienste gibt es in der Zwischenzeit in allen größeren Museen. Sie werden von LehrerInnen, ErzieherInnen und zunehmend auch von Eltern genutzt. Worin sehen Sie die Hauptaufgabe der Museumspädagogik?
Die Grundaufgabe der Museumspädagogik ist es, Menschen mit Kunst bekannt zu machen, Berührungsängste abzubauen und einen Dialog mit dem Kunstwerk zu ermöglichen. Die KunstVermittlung versucht mit Kunstgesprächen, Führungen und Workshops unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Das Spektrum reicht von Seniorengruppen bis hin zu Angeboten für Kinder. Hier liegt ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit, da Kinder unsere künftigen Museums-besucher repräsentieren. Seit vielen Jahren bietet die KunstVermittlung ein eigenes Führungsprogramm für Kinder ab fünf Jahren an, das sich an den Bedürfnissen und der Entdeckungsfreude von kleinen Menschen orientiert. Themen wie "Traumbilder ... und selber malen" oder "Spaziergänge im Bild" ermöglichen den Einstieg in eine spannende Erlebnisreise in die Kunst, die die Kinder zu neuen Beobachtungen und Gesprächen über ihre Wahrnehmungen ermutigt.
Wie alt sind die Kinder, an die Sie sich richten?
Wir wenden uns an Kinder ab fünf Jahren. Wir wissen, dass je früher Kinder ins Museum kommen, desto eher kommen sie später als Erwachsene wieder. Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel erzählen. Vor den Sommerferien rief uns die Lehrerin aus einer sogenannten Brennpunktschule an und fragte, ob sie mit ihren Schülern zu uns kommen könne. Sie suche nach einem positiven Abschluss für das Schuljahr. Die Idee ins Museum zu gehen, stamme von einem Schüler, der nur schwer zu motivieren sei. Die Lehrerin berichtete, dass dieser Schüler begeistert von einem Besuch in der Staatsgalerie erzählte, den er schon im Kindergartenalter mit seiner Kindergartengruppe erlebt habe. Durch diese positive Erinnerung konnte er die ganze Schulklasse zu einem Besuch animieren.
Warum wenden Sie sich nicht an jüngere Kinder?
Das hängt mit der Fähigkeit der Kinder zusammen, eine Sache konzentriert über einen längeren Zeitraum zu verfolgen. Ab etwa fünf Jahren können Kinder einen Führungszyklus von ca. 30 - 40 Minuten gut durchhalten. Und sie können auch selbstverständlich die in einem Museum geltenden Regeln und Gebote berücksichtigen. Für jüngere Kinder ist ein Besuch in Begleitung ihrer Eltern sinnvoll, da sie individuell auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingehen können.
Können Sie uns ein Beispiel geben für ein museumspädagogisches Angebot der Staatsgalerie?
Die Ausstellung des italienischen Malers Gaspare Traversi, der sehr stark die Mimik seiner Mitmenschen zum Thema seiner Malerei machte, bewog uns, ein Angebot mit dem Titel "Ausdrucksvolle Gesichter" zu entwickeln.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde erfahren die Kinder etwas über den Maler und seine Zeit. Im Anschluss betrachten und entdecken wir gemeinsam drei bis vier Bilder mit ausdrucksstarken Gesichtern. Nach einem Moment der Ruhe, Stille vor diesen unbewegten Bildern - ganz anders als in unserem Alltag - sprudelt es bereits aus den Kindern heraus und unbekümmert können alle Beobachtungen geschildert werden.
Wir leiten das Gespräch der Kinder und weisen auf Besonderheiten in den Bildern hin. Einzelne Szenen können mit einfachen Mitteln nachgestellt und somit erlebbar werden. Mit Hilfe von Spiegeln erproben die Kinder unterschiedliche Gesichtsausdrücke, stellen traurige, lustige oder auch hässliche Posen nach. Wer jetzt noch eine Idee hat, welche Farbe zu welcher Pose passt, ist mittendrin im kreativen Umsetzungsprozess und kann dies praktisch ausprobieren.
Wie lange dauert ein solches Angebot?
In der Regel geht es ca. 75 bis 90 Minuten. Länger sollte es nicht sein.
Bieten Sie Kindern spezielle Ferienprogramme an?
Oh ja! Die Ferienzeit ist für unsere Arbeit sehr wichtig. Hier können sich Kinder für einzelne Workshops, die zweieinhalb Stunden dauern, anmelden. Wir wenden uns hier speziell an Kinder ab acht Jahren, die in der Schulzeit anderweitig verpflichtet sind. Themen sind dann zum Beispiel "Farbentheater" oder "Badezeit in der Kunst". Das praktisch-bildnerische Arbeiten nimmt in diesen Workshops einen weiten Raum ein.
Warum können Museumsbesuche für Kinder neben der reinen Auseinandersetzung mit der Kunst noch interessant sein?
Museumsbesuche eröffnen Kindern eine neue Welt. Museen sind Orte der Begegnung. Hier erleben Kinder, dass es spannend sein kann sich auf Neues einzulassen. Sie werden in ihrer Wahrnehmung sensibilisiert und bekommen viele Anregungen. Dies hilft ihnen dann auch außerhalb des Museums im Alltag weiter.
Können Sie uns darstellen, wie solche Museumsbesuche Kinder in ihrem Selbstwertgefühl stärken können?
Kinder erfahren bei uns viel Bestätigung. Sie erleben, dass sie ihrer Wahrnehmung trauen können und dass sie in ihren Äußerungen ernst genommen werden. Sie erfahren, dass sie einen unmittelbaren, spontanen Zugang zur Kunst haben können, was für Erwachsene oft nicht selbstverständlich ist.
Sind eigentlich die Eltern bei den Angeboten dabei oder legen Sie Wert darauf, dass die Kinder ganz für sich sind?
Bei jungen oder scheuen Kindern sind die Eltern im Hintergrund oft eine Hilfe, ansonsten ist es schön, wenn die Eltern die Zeit für einen eigenen Museumsbesuch nutzen können und die Kinder den nötigen Freiraum erhalten um kreativ zu sein und das Museum als außerschulischen Erlebnisort genießen zu können.
Gibt es Möglichkeiten für Eltern Museums-besuche mit ihren Kindern vorzubereiten?
Hier haben Eltern tatsächlich vielfältige Möglichkeiten. Man kann in Ruhe mit seinem Kind eine Kunstpostkarte betrachten, ohne dass in diesem Moment das Radio dudelt oder der Fernseher läuft, Eltern und Kind also in diesem Moment ihre ganze Aufmerksamkeit auf ein anderes Ausdrucksmittel richten. Man kann Farbveränderungen am Himmel beobachten oder Farbnamen erfinden, Naturgegenstände sammeln und zu interessanten "Objekten" arrangieren oder Musikklängen eine Farbe zuordnen. Die Liste ließe sich mühelos erweitern.
Frau Menz-Bächle, vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Gespräch führte Dietmar Böhm.