Schwimmen können - das bedeutet weit mehr als "Nicht ertrinken" oder "Sich im Wasser fortbewegen". Für Kinder stellt es einen Meilenstein in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung dar. Die Sportwissenschaftlerin Dr. Lilli Ahrendt ist Expertin in Sachen Kinderschwimmen und erklärt, was diesen Sport so wertvoll macht, wie ein guter Kurs aussieht und welche Rolle die Eltern spielen.
Was macht das Schwimmen für Kinder so besonders?
Wasser ist ein Medium der besonderen Art - tiefgründig im wahrsten Sinn des Wortes. Schwimmen lernen hat deshalb viel mit Mut zu tun und ist ein Schritt in die Welt der Erwachsenen: Kinder müssen Vertrauen haben, ein Risiko eingehen, Verantwortung zeigen und Vorsicht walten lassen - ähnlich wie im Straßenverkehr. Aber es ist noch mehr: Nirgends sonst ist man so ursprünglich dem Element ausgesetzt. Es ist nun mal nicht das Gleiche, ob ein Kind im Schneeanzug schaukelt, oder fast nackt ins kühle Wasser gleitet. Das ist ein Reiz für den ganzen Körper und ein wahres Sinnenerlebnis! Der Wechsel von Warm und Kalt ist auch gut für das Immunsystem. Kinder trainieren darüber hinaus ihre Atmung, wenn sie kräftig gegen den Wasserwiderstand ausatmen müssen. Das gesamte Herz-Kreislaufsystem, der Gleichgewichtssinn, die Grobmotorik und die Koordination sind gefordert. Arme, Beine, Kopf und Körper müssen sich im Zusammenspiel bewegen und dabei über Wasser bleiben. Wenn das alles klappt, gewinnt jedes Kind Selbstvertrauen, Stärke und Haltung.
Woran erkennt man einen guten Kurs?
Früher fand Schwimmunterricht von "außen" und "oben" statt, d.h. der Schwimmlehrer gab vom Beckenrand Anweisungen. Heute ist er gerade zu Beginn mit im Wasser dabei, quasi auf Augenhöhe des Kindes, und gibt ihm so Sicherheit und Vertrauen. Mehr als sechs bis acht Kinder sollte eine Gruppe übrigens nicht umfassen. Moderner Schwimmunterricht ist vielseitig und kreativ: Die Übungen sind immer als Spiel verpackt und wechseln oft ab. Mit einer bildhaften Sprache trifft man den kindlichen Nerv: "Jetzt machen wir die Seerobbe" bedeutet: Die Kinder klettern am Beckenrand aus dem Wasser. Der"Seestern" oder die"Seerose" ist eine Übung für den Anfang, bei der das Kind an der Oberfläche gleitet und erfährt, dass das Wasser es trägt. Und natürlich spricht man hier nicht mehr von "toter Mann"...
Wie ist der Unterricht aufgebaut?
Er beginnt im brusttiefen Wasser mit dem so genannten "Wasser-ABC": Fortbewegen, Atmen, Springen, Tauchen und Auftreiben sowie Gleiten. Wenn diese fünf Fertigkeiten gut klappen, wechselt man allmählich vom Flach- ins Tiefwasser, anfangs eventuell mit Schwimmhilfen. Während Kinder in den USA und Australien übrigens meist mit dem Kraulen starten, wird in Deutschland noch häufig das Brustschwimmen mit herausragendem Kopf vermittelt. Ängstliche Kinder mögen das Brustschwimmen, weil sie so ihren Kopf aus dem Wasser halten können. Eltern und Schwimmlehrer können ihr "Entchen" so gut sehen, das verschafft am Anfang beiden mehr Sicherheit. Die Beintechnik ist allerdings kompliziert, deshalb mischt der Schwimmanfänger gern die Brustschwimmbewegung der Arme mit der Kraulbewegung der Beine, das geht einfacher. Übergewichtigen Kindern fällt übrigens oft das Rückenschwimmen am leichtesten.
Was bevorzugen Sie?
Das Vielseitigkeitsprinzip: Man sollte beim Kind schauen, ob es besser mit dem Kraul-, Brust- oder Rückenschwimmen zurecht kommt. Die Kinder bringen bereits eine Vorstellung mit, wie man "richtig" schwimmt und darauf muss individuell aufgebaut werden. Für das Seepferdchen zählt letztlich, dass das Kind auf einer Strecke von 25 Metern sicher und angstfrei schwimmen kann, egal in welcher Technik.
Wichtig ist es aber auch, die kleinen Erfolge bereits kindgerecht sichtbar zu machen: Kinder sind sehr stolz, wenn sie berichten können: "Heute bin ich schon bis zum blauen Hütchen am Beckenrand geschwommen" - also beispielsweise sechs Meter. "Das nächste Mal schaffe ich es bis zum gelben!"
Können Eltern auch selbst das Schwimmen beibringen?
Theoretisch ja. Praktisch lieben Kinder aber das Üben in einer Gruppe mit Gleichaltrigen, mit denen sie spielen, einander nachahmen und sich vergleichen können: "Die Lisa schwimmt schneller als ich, aber der Felix springt noch nicht vom Beckenrand." Natürlich bleiben Eltern das große Vorbild, dem man nacheifern will. Wenn allerdings die Eltern selbst nicht so gern tauchen und schwimmen, dann ist eben ein Schwimmlehrer, der sein Hobby oft zum Beruf gemacht hat, eben doch genau der richtige Profi für das Schwimmenlernen.
Dürfen die Eltern im Kurs dabei sein?
Das ist eine Gretchenfrage. Eltern wollen gerne sehen, was im Kurs passiert. Andererseits stört ihre Anwesenheit nicht selten den Lernprozess. Ich schlage oft einen Kompromiss vor: Die Eltern dürfen in der ersten Stunde den Ablauf beobachten und kommen dann wieder zum Ende des Kurses, wo das Kind ihnen vorführen kann, was es schon kann. Dann dürfen sie ihr Kind ausgiebig loben und Begeisterung zeigen!
Die Fragen stellte Simone Richter.