Es war alles haarklein besprochen: wenn der Zug auf dem Bahnhof ankommt, steigen wir aus. Jedes Kind greift sich Koffer und Kuscheltier, die beiden Kleinen an meiner Hand, die beiden Großen dicht daneben. Wir wollen uns im Gedränge schließlich nicht aus den Augen verlieren. Jedenfalls nicht bevor Papa aufgetaucht ist. Dann aber gleich richtig: eine ganze Woche sollen sie bei ihm bleiben. Sieben Tage oder achtmal schlafen, wenn wieder Montag ist, hole ich euch wieder ab, die ganzen Herbstferien - für jedes Alter passend habe ich versucht, diesen unübersichtlichen Zeitraum umzurechnen. Und doch weint der Dreijährige einige Minuten später, als ich mich verabschieden will, wie aus allen Wolken gefallen: "Mama, warum gehst Du jetzt weg?"
Weil jetzt Papa da ist. Seit einem halben Jahr sind wir eine Wetterhäuschenfamilie - immer ist einer weg. Sie können beide Eltern zusammen nicht mehr haben; aber was für die Eltern nach Lage der Dinge das Beste ist, gerät für die Kinder leicht zum Fiasko. Der Versuch, sich als Partner zu trennen, als Eltern jedoch zusammenzubleiben, ist aller Ehren wert und gleicht dem Versuch, sich zu waschen, ohne nass zu werden.
Die Übergabe - nicht umsonst beschwört der Ausdruck, den wir für das Scharnier jeder schrecklich künstlichen Besuchsregelung gefunden haben, wenig anheimelnde Bilder herauf, die aus finsteren Milieus stammen: Druck, unter den man sich wechselseitig setzt, Lösegeld, Faustpfand, ein ausgeklügeltes Timing sind die Versatzstücke kniffliger Situationen, in der beträchtliche Gefahr mitschwingt, weil einer dem anderen nicht über den Weg trauen kann.
Die Übergabe-Situation, in der die Kinder dann von einer Hand in die andere gehen, wird leicht zur Nagelprobe auch der allerbesten Vorsätze. Wie unter der Lupe betrachtet, führt sie allen Beteiligten in schmerzhafter Deutlichkeit vor Augen, wie es gerade jetzt um die Familie steht. Gelingt es den Ex-Partnern sich freundlich, gar kollegial zu nähern? Kann man gar den abholenden Vater auf eine Tasse Kaffee hereinbitten, um dem wortkargen Austausch der Eckdaten, Uhrzeiten, Termine die Schärfe zu nehmen? Oder ist man immer noch darauf angewiesen, die Übergabe auf neutralem Gebiet ohne direkten Feindkontakt, sprich: ich bring sie in die Schule, du holst sie ab, zu gestalten? Es hängt viel davon ab, ob man in Bezug auf die Kinder zusammenarbeiten kann, obwohl man sich vielleicht ja gerade deshalb getrennt hat, weil man diesen Menschen am liebsten auf den Mond schießen würde, ohne Rückfahrtkarte versteht sich.
Immer versucht man, alles richtig zu machen, hat am Abend vorher vielleicht die Zähne zusammengebissen und mit dem Kind gemeinsam überlegt, welches Kuscheltier mitkommt, was in den Koffer gepackt wird. Die ersten Versuche, dem Kind zu zeigen, dass man mit dem Besuch beim anderen einverstanden ist, wirken noch reichlich verkrampft. Aber brauchen sie nicht die Versicherung, dass es schon in Ordnung ist, die Zeit beim anderen zu genießen? Eltern, die sich trennen, sind zweifellos verpflichtet, in den sauren Apfel zu beißen und Rücksicht auf die Gefühle ihrer Kinder zu nehmen. Ich habe mir viel Mühe gegeben: "Papa freut sich schon mächtig auf euch," das ging ja noch. "Bestimmt macht ihr viele schöne Sachen zusammen", auch gut. Schwieriger wird "Ich freue mich auch, wenn ihr jetzt endlich Papas neue Freundin kennen lernt," und "sie ist bestimmt nett und freut sich auch schon auf euch" - eine schöne Umschreibung für "Dieser Mistkerl ist mit seiner Freundin auf und davon, und in den Ferien verwöhnt er die Kinder nach Strich und Faden, während ich mich jeden Tag mit ihnen rumplagen muss."
Wenn zwei sich trennen, empfindet immer einer der beiden die Situation als himmelschreiende Ungerechtigkeit. Wenn man dem anderen am liebsten ein paar Wahrheiten über den stressigen Alltag mit einem oder mehreren Kindern ins Gesicht schreien möchte, tröstet die Erkenntnis, dass es dem anderen genauso geht, nicht wirklich. Aber es hilft ja nichts: Exemplarische Zurückhaltung ist gefragt - spätestens dann, wenn das Kind verstört, aggressiv oder sonst wie verdreht von seinem Besuch zurückkommt. Ha, ist das etwa nicht der Beweis dafür, dass dem Kind der Kontakt zum Vater, zur Mutter schadet? Immer mit der Ruhe: Mit jedem Besuch schmerzen die Wunden der Trennung aufs neue, das kostet Kinder viel Kraft. Und ihre Eltern auch - besonders im Moment der Übergabe können sorgsam verborgene Gefühle sich erneut verknoten. Auch weil das Band der gemeinsamen Kinder, das uns ein Leben lang miteinander verknüpft, mit einem Mal so klar und deutlich zu spüren ist: selbst wenn wir nie wieder miteinander reden, verbindet uns das gemeinsame Schweigen. Ob wir wollen oder nicht - wir können immer das Beste daraus machen, auch wenn das manchmal nicht mehr heißt, als sich das Schlechte zu verkneifen.