Claudia Possi (48) ist verantwortliche Referentin für den Bereich Alleinerziehende im Bistum Augsburg, das sich vom Allgäu bis zur Donauniederung erstreckt. Seit vielen Jahren führt sie Seminare und Freizeiten mit Alleinerziehenden durch. Wir befragten die Expertin.
Was fällt Ihnen in Ihrer Arbeit mit Betroffenen besonders auf?
Seit rund fünf Jahren beobachte ich einen deutlichen Wandel. Als ich vor fast 14 Jahren mit meiner Arbeit begann, war es für die Betroffenen noch möglich, durch Sparsamkeit und Fleiß ihre Existenz zu sichern. Heute kommt es zu regelrechten Abstürzen in die Armut. Die Euroumstellung und die steigenden Energiekosten, Hartz IV mit der Veränderung der staatlichen Sozialleistungen haben die Existenzsicherung meiner Meinung nach deutlich erschwert. Manche Behörden agieren gnadenlos. Frauen müssen wegen weniger Quadratmeter, die die ihnen zustehende Wohnungsgröße überschreitet, ihr soziales Umfeld verlassen. Es gibt Fälle, da stehen mir die Haare zu Berge. Alleinerziehende besitzen oft keine Alterssicherung, weil sie sie für den täglichen Lebensunterhalt einsetzen müssen. Sie können sich kein Auto leisten. Das ist besonders eine Erschwernis, wenn die Kinder chronisch krank oder behindert sind, und die Mütter sie zu Therapien fahren müssen. Die Alleinerziehenden sind eine seismographische Personengruppe. An ihnen kann man ablesen, was anderen Menschen an sozialem Abstieg in einigen Jahren bevorstehen kann.
Was können Sie als kirchliche Beratungsstelle leisten?
Frauen, die nach einer Trennung praktisch vor dem Nichts stehen, sind inzwischen leider keine Einzelfälle mehr. Dann müssen wir sehen, wie wir Spendentöpfe anzapfen. Das dauert leider, denn es ist notwendig, Anträge auszufüllen und Belege beizubringen. Gleichzeitig benötigen diese Frauen in der Regel psychische Hilfe, für die eigentlich andere Stellen zuständig sind. Weil es auch dort seit einiger Zeit Einsparmaßnahmen gibt, springe ich auch schon mal mit einer Einzelberatung ein. Zum Glück ist ja nicht jede Lebenssituation so dramatisch. Oft hilft schon ein ganz konkreter Tipp weiter, wo bekomme ich gute gebrauchte Möbel, habe ich Anspruch auf Wohngeld, wo finde ich einen geeigneten Therapeuten für mein verstörtes Kind? Es gibt immer noch viele Angebote. Durch gute Kontakte zu vielen Gemeinden im Bistum weiß ich, wer, wo, was anbietet. Diese Vernetzung untereinander ist für alle in der Frauenarbeit tätigen Menschen ganz wichtig. Darüber hinaus bieten wir seit vielen Jahren Gruppenabende, Tages- und Wochenendseminare sowie eine jährliche Freizeit für Alleinerziehende und ihre Kinder an. So können wir Alleinerziehende in ganz unterschiedlichen Phasen begleitend unterstützen.
Wozu gerade Seminare nur für Alleinerziehende?
Alleinerziehende müssen ihren Alltag zwischen Existenzsicherung und Kindern aufteilen. Oft wissen sie kaum noch, wo ihnen der Kopf steht. Ziel der Seminare ist es, den Frauen den Rücken freizuhalten, um endlich befreit von allen Pflichten, etwas zu Ende denken zu können. Deshalb gehört grundsätzlich ein eigenes Kinderprogramm dazu. Wir schaffen Freiräume und eine vertrauensvolle Grundatmosphäre in geeigneten Tagungsräumen mit Unterkünften. Unsere Themenangebote orientieren sich zum Teil am Jahreszyklus. Gerade jetzt in der 'heimeligen' Adventszeit, die mitunter schmerzlich daran erinnert, keine 'intakte' Familie mehr zu sein, kann ein Seminar ein Raum sein, sich neue Zugänge und Rituale zu schenken. Das heißt, wir geben die Impulse, das Gespräch mit der Entwicklung neuer Perspektiven ergibt sich immer von selbst. Zum Programm gehört auch in der Regel eine spirituelle Einheit, die aber nicht voraussetzt, katholisch zu sein. Unsere Angebote stehen allen Frauen offen. Viele nehmen auch öfter teil. Sie setzen auf diese Weise, wie mir eine Teilnehmerin mal sagte, ihr Leben wie ein Puzzle neu zusammen.
Sie sprechen immer nur von Frauen, nehmen auch Männern teil?
Bis vor zwei Jahren gab es immer auch ein oder zwei Männer in den Seminaren. Offensichtlich organisieren sich Männer, die ja ohnehin sehr viel seltener alleinerziehend sind, inzwischen anders.
Besteht nicht die Gefahr, dass einen die Geschichten der anderen noch weiter runterziehen?
Das verhindert eine gute Gesprächsleitung. Es kommt doch immer auf die Blickweise an. Unsere Arbeit ist ganz darauf ausgerichtet, die eigenen Ressourcen, die persönlichen Stärken ins Blickfeld zu rücken. Mir ist das und das passiert. Jetzt muss ich gucken, wie ich das Beste daraus machen kann. Was ging schief, aber was ist auch gut an der neuen Lebenssituation. Weil jeder aus der Gruppe etwas von sich einbringt, entsteht eine überaus kreative Situation. Einmal veranstalteten wir ein Seminar zum Thema ‚Scherben bringen Glück'. Jede Frau sollte etwas mitbringen, was während der Trennung zerbrach. Wir haben aus diesen Dingen etwas Neues entwickelt und dabei entstand eine sehr positive Stimmung. Wir haben viel gelacht und tolle Ideen umgesetzt. Es ist sehr beglückend, dies mitzuerleben.
Trägt diese Stimmung denn bis in den Alltag hinein?
Ein Junge sagte mir neulich nach einem Wochenende, es war wie ein Treffen in einer großen, lieben Verwandtschaft. Ja, es ist tatsächlich so, dass Wahlverwandtschaften entstehen, Gemeinschaften, die über das Seminar hinaus auch im Alltag tragen. Netzwerke entstehen! Da verrät man sich etwa gegenseitig, wo es dies und das günstig gibt. Die Seminare sind übrigens auch ein Übungsfeld in Sachen eigener und gegenseitiger Wertschätzung und Achtung. Wer erlebt, wie wohltuend es ist, nicht ständig zu schimpfen, pfleglich miteinander und mit sich selbst umzugehen, lässt sich davon anstecken.
Welche Themen sind Alleinerziehenden besonders wichtig?
Zum einen geht es um die Existenzsicherung. Die berufliche Situation ist für viele Frauen extrem schwierig, da es kaum gut bezahlte Teilzeitstellen gibt, schon gar nicht solche, in der die Frauen auch ihre Qualifikation einbringen können. Das finde ich schon sehr bedrückend. Arm zu sein, trotz guter Berufsausbildung, Motivation und Leistungsbereitschaft. Das geht an die Würde des Menschen und hier muss sich gesellschaftlich etwas ändern.
Zum anderen sind es Erziehungsprobleme. Bei Alleinerziehenden mit nur einem Kind ist die Beziehung oft sehr intensiv und wird schwierig, wenn sich problematische Muster einschleichen. Sind Geschwister da, gleichen die verschiedenen Temperamente manches aus, ist der Blick der Mütter nicht so verengt auf das eine Kind. Deshalb finde ich gut, dass sich in unseren Angeboten Einzelkinder als Teil einer großen Gemeinschaft erleben können.
Ein Thema, das alle sehr beschäftigt, ist die gemeinsame Elternschaft mit dem Ex-Partner. Fast alle Frauen, die ich kennengelernt habe, sind bereit, an sich zu arbeiten, damit der Vater den Kindern erhalten bleibt. Aber, wenn der Vater sich nicht kümmern will, erleben sie sich als machtlos. Oder noch schlimmer, die Kinder erfahren, die Lieblosigkeit, die der Partner der Mutter selbst gegenüber an den Tag legte, am eigenen Leib. Da laufen wirklich schlimme Dinge ab, wenn Kinder mit den Alkohlexzessen ihrer Väter konfrontiert werden, oder an jedem Besuchswochenende miterleben, der Vater hat wieder eine neue Freundin. Es gibt Fälle, da halte ich es für besser, den Kontakt abzubrechen.
Was ist mit den Männern los?
Männer können, so mein Eindruck, Verantwortungen, die sie eingegangen sind, abspalten. Dieses Problem haben aber nicht nur Alleinerziehende mit ihren Ex-Partnern.. Wie wissen aus unserer Frauenarbeit, in vielen, ganz normalen Familien übernehmen Frauen allein die gesamte Erziehungsarbeit, den Haushalt und sind dazu erwerbstätig. Sie sind quasi alleinerziehend.
Sehnen sich Ihrer Einschätzung nach Alleinerziehende trotz schlechter Erfahrungen nach einer neuen Partnerschaft?
Unser Thema "Wie backe ich mir einen Mann?" war jedenfalls sehr gefragt. Es sprach auch Frauen an, die sonst nicht unsere Angebot in Anspruch nehmen. Ja, die Sehnsucht besteht, - natürlich! Dieser Aspekt gehört für die meisten Menschen zu einem erfüllten Leben. Wenn Frauen sich nach einer schweren Enttäuschung nicht selbst verändern, besteht aber leider die Gefahr einer Wiederholung. Nach ein paar Jahren finden sie sich in derselben furchtbaren Situation wieder, etwa mit einem gewalttätigen und süchtigen Partner. Meine Botschaft lautet deshalb: Du bist die Sendestation. Du strahlst aus. Wer seine alten Themen in die neue Partnerschaft mitnimmt, läuft Gefahr, in dieselben verhängnisvollen Strukturen hineinzugeraten. Auch wer es nicht schafft, von seinen romantischen Idealvorstellungen über Ehe und Familie abzurücken und ein realistisches Bild von einer Lebensgemeinschaft zu entwerfen, tut sich in der Regel schwer. Die zurückliegende Trennung erlebten diese Frauen als Verlust ihrer eigenen Werte, als persönliche Lebensniederlage. Wer jedoch mit Erwartung, jetzt muss alles perfekt werden, an eine neue Partnerschaft herangeht, wird wahrscheinlich wieder enttäuscht. Den Weg über das Internet einen neuen Partner kennenzulernen, halte ich für problematisch. Viele Frauen surfen abends, wenn die Kinder im Bett sind, in den diversen Partnerbörsen, weil sie sonst keine Gelegenheit haben, jemanden kennenzulernen. Da ist ein gesundes Misstrauen wichtig, um sich nicht plötzlich in einer demütigenden Situation wiederzufinden.
Das Interview führte Susanne Lindau.