"Was, du gibst dein Kind schon mit einem Jahr in die Krippe? Wie wird es sich da wohl entwickeln..." "Wieso kommst du zu nichts? Meine Kinder halten sich an die Regeln und unsere Wochenpläne funktionieren!" "Tiefkühlpizza? Na ja, wir sind ganz auf Biogemüse umgestiegen, selber kochen macht doch Spaß!"
Kommen Ihnen diese oder ähnliche Sätze bekannt vor? Vielleicht haben Sie sie nicht nur gehört, sondern auch schon mal selbst geäußert? Das wäre verständlich, denn schließlich haben Sie einen Ruf zu verteidigen: den der perfekten Mutter! Das bedeutet, die Fürsorge selbst zu sein, und dabei noch bestens organisiert, erfolgreich und attraktiv.
Rollenbild mit Vergangenheit
Aber wer stellt eigentlich diese Ansprüche, die so umsetzbar sind wie die Quadratur des Kreises? Haben wir das "der Gesellschaft" zu verdanken oder machen wir uns den Druck selbst? Die Antwort lautet: sowohl als auch! Als Erklärung hilft zunächst ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Industrialisierung und Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft ab dem 18. Jahrhundert brachten es mit sich, dass die Erwerbsarbeit dem Mann zugeschrieben wurde. Frauen hatten sich nahezu ausschließlich um das Haus und die Kinder zu kümmern. Dieser Prozess ging einher mit einer Idealisierung des Mutterbildes. Mütter galten als die besten Erzieherinnen ihrer Kinder, ausgestattet mit "Mutterinstinkt" und der Gabe zum Verzicht.
Inzwischen hat sich unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt, die traditionelle Vorstellung einer Vollzeitmutter hält sich jedoch hartnäckig. Das althergebrachte Modell wird inzwischen von neuen Leitbildern flankiert:
- der Supermutter, die spielend Kinder, Karriere, Küche und Partnerschaft vereinbart
- der Teilzeitmutter, die der Kinder wegen beruflich zurücksteckt und - wenn es zeitlich passt - stundenweise wieder einsteigt
- der "neuen" Mutter, die in der Familie Selbstverwirklichung sucht
Und schließlich sind da noch die Alleinerziehenden und wenig begüterten Frauen, die aus existenzieller Notwendigkeit alles unter einen Hut bringen müssen - egal wie.
Mütter im Zwiespalt
Viele Rollen - viel Auswahl. Doch wofür sich Mütter auch entscheiden, fast immer entsteht mit Blick auf die anderen Modelle ein Gefühl der Unzulänglichkeit: Wäre ich ausgeruhter, wenn ich nicht auch noch ins Büro hetzen müsste? Verblöde ich, wenn ich nur noch im Sandkasten hocke? Sind meine Kinder unausgeglichen, weil ich zu viel an mich denke? Und die Umwelt stößt ins gleiche Horn: Mütter wüssten angeblich von Natur aus, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben. Gleichzeitig geben unzählige tatsächliche und selbst ernannte Experten Ratschläge, wie es wirklich geht. Und wenn mal etwas nicht so glatt läuft, wer ist dann schuld? Klar, die Mütter! Zweites Beispiel: Ohne Kinder und demzufolge auch ohne Mütter steht die Zukunft unserer Gesellschaft auf dem Spiel, heißt es. Aber die Wertschätzung und Anerkennung dessen, was Mütter leisten, ist nach wie vor gering. In dieser Situation der äußeren und inneren Verunsicherung retten sich viele Mütter in Vorabverteidigung, Rechtfertigung und Abgrenzung - anstatt ihren oft berechtigten Frust offen anzusprechen oder zuzugeben, dass sie die Dinge nicht immer perfekt im Griff haben.
Entlastung annehmen - auch von den Vätern
Dabei wäre viel mehr Gelassenheit möglich, wenn der oft unreflektierten Kritik und dem eigenen schlechten Gewissen folgende anerkannte Expertenmeinung in Sachen Kinderbetreuung entgegengesetzt würde: Für ein Kind ist es optimal, Beziehungen zu haben, die stabil, verlässlich und liebevoll sind. Unerheblich ist, ob ein Kind in den ersten Jahren hauptsächlich von der Mutter bereut wird, oder ob diese sich die Aufgabe mit dem Vater, der Tagesmutter, Erzieherinnen oder dem Au-pair teilt. Das ist doch entlastend, oder? Und vor allem kommen hier auch die anderen in den Blick, zum Beispiel die Väter.
Dass die Rolle der Väter bei der Kindererziehung nicht zu unterschätzen ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Wenn sich Männer auf die Betreuung ihrer Kinder einlassen, bekommt der Perfektionismus oft eine Auszeit. Warum fällt das den Vätern leichter? Vermutlich, weil ihnen keine "Mütterpolizei" und kein Rollenklischee im Nacken sitzt. Im Gegenteil: Meistens ist die Freude groß, wenn Väter sich überhaupt um die Kinder kümmern. Und weil sie im Beruf häufig hundertfünfzigprozentig sein müssen, genießen sie es, mit den Kindern mal fünf gerade sein lassen zu können.
Abschied von einem Phantom
Spätestens beim Blick hinter so manche Familienkulisse merkt man: Die Supermama gibt es nicht. Irgendwo steckt immer Sand im Getriebe, oder es läuft nur deswegen glatt, weil es ein Netz von Helfern gibt. Höchste Zeit also, damit aufzuhören, sich selbst und andere wegen eines Phantoms unter Druck zu setzen. Diese Kräfte sind an anderer Stelle besser eingesetzt. Und es wäre doch zu schade, wenn wir uns durch falschen Perfektionismus die Freude an dem fröhlichen, herausfordernden und manchmal anarchischen Zusammenleben mit Kindern verderben lassen.