Ehe in der Krise: In Deutschland scheitert jede dritte Partnerschaft - in Großstädten wie München, Hamburg oder Berlin fast jede zweite. Am härtesten davon betroffen sind die, die am wenigsten dafür können: Rund 2 Millionen Kinder wachsen derzeit in "Eineltern-Familien" auf. Damit ist jedes 7. Kind in Deutschland ein Scheidungskind. Was können nun Eltern tun, um ihren Kindern zu helfen, die schwere Zeit der Trennung zu verarbeiten und sich mit dem neuen Lebensumstand "geschiedene Eltern" zu arrangieren? Wie können Wut, Angst und Enttäuschung überwunden werden? Welche Beratungs-Möglichkeiten gibt es bei Verhaltensstörungen, Ess- und Lernproblemen?
Kinder bis zu drei Jahren bewältigen die Trennung ihrer Eltern am leichtesten
Die Fachliteratur ist sich einig: Kinder bis zu drei Jahren bewältigen die Trennung ihrer Eltern am leichtesten, weil die Bindung an den hauptsächlich betreuenden Elternteil - meist ist es die Mutter - noch stark dominiert. Aber die 4- bis 12 jährigen - und das ist die Mehrzahl der Kids, die eine Scheidung verdauen muss - haben es schwer, weil sie beide Elternteile brauchen, um soziales Verhalten zu lernen. Leichter wird es dann wieder in der Pubertät, weil der Nachwuchs sich in dieser Zeit ohnehin allmählich vom Elternhaus löst und sein eigenes Lebensumfeld aufbaut. Fest steht: Kaum ein Kind will die Scheidung der Eltern, die meisten sehnen sich noch viele Jahre nach den früheren Familienzeiten zurück, auch wenn diese objektiv alles andere als rosig waren.
Die Zeit vor und nach der Trennung
Der Trennung geht oft eine längere Zeit des Streits und der Konflikte voraus, die schließlich zum Schock des Auszugs eines Elternteils, meist des Vaters, führt. Die ersten zwei Jahre danach werden Krisenperiode genannt, in der die betroffenen Kinder mit Angst und Wut reagieren. Am besten kann man ihnen helfen, indem die Eltern sich trotz aller eigenen emotionalen Probleme bemühen, ihren Kindern so viel gefühlsmäßige Unterstützung zu geben wie möglich und vor allem weiterhin für eine verlässliche, tägliche Routine sorgen. Das ist in Anbetracht der heftigen Gefühle, mit der eine Trennung für die Partner in der Regel einhergeht, eine große Herausforderung.
Die Kinder offen trauern lassen
Kinder können es nur sehr schwer akzeptieren, wenn ein Elternteil auszieht und sie "verlässt". Die Sicherheit ihrer Welt, in der die beiden Eltern die Säulen bildeten, wird zutiefst erschüttert. Die Trennung von einem Elternteil schmerzt und bedeutet einen schweren Verlust, ja, für manche ein Trauma.
Eltern sollten deshalb - wenn es geht, gemeinsam; in den meisten Fällen wird das nicht möglich sein - versuchen, offen mit dem Kind darüber zu sprechen, nichts schön zu reden, sondern ihm die Möglichkeit zu geben, angemessen zu trauern und damit den Schock zu verarbeiten. Man sollte nie vergessen, dass Kinder dazu neigen, sich die Schuld an der Trennung der Eltern zu geben („Wenn sie sich nicht so viel wegen meiner schlechten Noten gestritten hätten, wäre das nicht passiert"). Einem Kind kann ausdrücklich gesagt werden, dass der Grund der Trennung allein bei Mama und Papa liegt.
Scheidungskinder
Im statistischen Vergleich zeigen Scheidungskinder gegenüber Kindern aus mehr oder weniger intakten Familien einige Auffälligkeiten: Ihre Selbstsicherheit scheint beeinträchtigt, sie sind anfälliger für seelische Störungen wie Depressionen und neigen weit stärker als andere später selbst dazu, sich scheiden zu lassen. Beziehungsprobleme, Angst vor einer Heirat, Angst vor der Elternschaft können die Folgen der Trennung ihrer Eltern sein. Oft neigen diese Menschen als Erwachsene aber auch dazu, normale Lebensprobleme auf das Scheidungserlebnis als Kind zurückzuführen. Ohne Zweifel fördert dieses Erleben aber Angst vor Nähe und Hingabe („wenn ich mich wirklich auf jemanden einlasse, wird er mich verlassen, wie meine Mutter verlassen worden ist"). Auch das Vertrauen in andere Menschen wurde erschüttert.
Onkel Dad
Wenn geschiedene Eltern wieder neue Partner haben, kommt oft trotz aller Bemühungen keine wirklich tiefe Beziehung mehr zum getrennt lebenden Vater, zur anderswo lebenden Mutter zustande. "Onkel Dad" kann dann oft seine Liebe nicht anders ausdrücken als mit Geld oder Geschenken. Hier sollte unbedingt gegengesteuert werden: getrennt lebende Eltern sollten sich darüber im klaren sein, dass nichts eine Beziehung so sehr stützt und erhält wie regelmäßige Zuwendung, gemeinsam verbrachte Zeit.
Wenn die Kinder bei beiden leiblichen Elternteilen mit neuen Partnern zurecht kommen müssen, kompliziert sich ihr Leben erneut. Die Kinder müssen jeweils neue Beziehungen zu den Stiefelternteilen und eventuellen Stiefgeschwistern aufbauen, sich an die neue Konstellation gewöhnen. Dadurch kommen neue Verhaltensweisen und oft Umzug und Umschulung ins Spiel, die erneute Anpassungsprobleme mit sich bringen.
Finanzielle Auswirkungen
Scheidung bedeutet für die meisten Familien auch materielle Probleme. Es müssen von nun an zwei Wohnsitze finanziert werden, Steuervorteile fallen weg, es gibt zwei Haushalte und doppelt so viele Rechnungen. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass von nun an beide Elternteile (Vollzeit) arbeiten (müssen). Die Folge: Das Kind sieht beide Elternteile weniger oft, es hat weniger Taschengeld zur Verfügung, es kommt nach Hause und niemand ist da, es muss mehr im Haushalt mithelfen.
Zu früh erwachsen?
Viele heranwachsende Scheidungskinder neigen deshalb dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen, als ihrem Alter angemessen ist. Sie sind nachweislich oft selbstständiger und entscheidungsfreudiger als ihre Altersgenossen. Das hat aber auch seine Schattenseiten: Später beklagen sie oft den frühen Verlust ihrer Kindheit, weil z.B.besonders Söhne sich dazu aufgerufen fühlen, den fehlenden "Mann im Haus" zu ersetzen. In Gesprächsgruppen mit Scheidungskindern stellte sich heraus, dass diese nur sehr schwer über ihre Probleme sprechen können, weil sie sich im Grunde für die Scheidung ihrer Eltern schämen.
Identität als Junge oder Mädchen
Psychologen haben festgestellt, dass manche Scheidungskinder Probleme mit ihrer Geschlechtsidentität haben. Jungen, weil ihnen das männliche Vorbild fehlt, Mädchen, weil ihr Selbstwert nicht genug von einem liebevollen Vater bestätigt wurde. Auch fehlt das Vorbild einer zärtlichen Partnerschaft der Eltern, in der Sexualität mitschwingt.
Mediation
Eltern in Trennungssituationen sollten, ungeachtet der schwierigen Situation, in der sie sich selbst befinden, unter allen Umständen versuchen, ihrem Kind einen guten Kontakt zum nicht mehr täglich anwesenden Elternteil zu ermöglichen. Häufige Besuche und Telefonate können viele der Verlassenheitsängste der Kids abfedern und ihnen zeigen, dass „Papa uns nicht wirklich verlassen hat, sondern sich nur mit Mutti nicht mehr versteht".
Mediation ist hier die zeitgemäße Lösung: Schon während der Trennungsphase kann dadurch die Verhärtung der Fronten vermieden und ein Klima geschaffen werden, in der die Eltern auch emotional Eltern bleiben können. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Reform des Familienrechts 1998 dafür gesorgt, dass das gemeinsame Sorgerecht der Eltern nach der Scheidung die Regel ist. Aber nur in einem menschlich akzeptablen Klima kann wirkliche Verständigung statt Hass und Rache gedeihen. Deshalb haben sich zahlreiche Anwälte und auch Vertreter der Kirchen und Wohlfahrtsverbände als Mediatoren darauf spezialisiert, Eltern während Scheidung und Trennung zu einem möglichst einvernehmlichen, fairen Auseinandergehen zu verhelfen. Denn je weniger die Kinder einem Konflikt zwischen den Eltern ausgesetzt sind, umso besser kann die Anpassung an die neuen Lebensumstände gelingen.
Hier finden Sie Hilfe:
Bei Erziehungsproblemen aller Art, bei seelischen oder körperlichen Auffälligkeiten der Kinder gibt es heutzutage in jeder Gemeinde oder Stadt Anlaufstellen, wo man sich Rat und Hilfe holen kann. So bestehen im Rahmen der Kirchen Selbsthilfegruppen für Alleinerziehende, die Jugendämter unterhalten Stellen, die sich mit den Problemen von Scheidungskindern befassen und Erziehungsberatung bieten. Professionelle Hilfe finden Sie auch bei "Pro Familia", Caritas und Diakonie an ihrem Wohnort. Ebenso bei den Psychosozialen Diensten der Gemeinden und Städte.