"Nächstes Jahr schenken wir uns einfach mal nichts!" - Wer's glaubt, wird selig. Dem mutigen Vorstoß in Richtung konsumfreier Weihnachten mit echter Besinnung auf die wahren Werte geht sein klägliches Scheitern im vorigen Jahr voraus. Und schon gerät sie wieder ins Abseits, die Weihnachtsbotschaft, während wir mit unstetem Blick auf dicken Füßen durch die Einkaufsstraßen eilen. Der Kopf ist voll von Marken, Preisen und möglichen Bezugsquellen all der schönen Dinge, die wir den Kindern zugedacht haben. Weihnachtsgedudel allüberall, die Finger eingeschnürt von den Schlaufen der Einkaufstaschen, kämpfen wir uns voran. Die Reihe grellroter Kunststoffweihnachtsmänner an der Front des Kaufhauses grinst ungerührt auf uns herab. Warum nur können wir es nicht lassen, uns jedes Jahr in den hemmungslosen Konsum zu stürzen?
Geschenke ohne Grenzen
Der Weg unter den Tannenbaum ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Was als himmlisches Fest der Liebe und des Lichts angepeilt war, endet dann unversehens doch wieder hier unten auf der Erde. Kein Wunder: Schlechtes Gewissen macht gute Geschäfte, Einkaufshektik schlaucht, Vorbereitungsstress bringt schlechte Laune und enttäuschte Erwartungen sorgen für reichlich Zündstoff. Dabei war doch alles so gut gemeint, von der blitzblanken Wohnung bis zum gut gefüllten Kühlschrank, von der ausgeklügelten Besuchsdiplomatie bei Eltern und Schwiegereltern bis zum Kraftakt mit der Kreditkarte.
Sicher, es spricht viel Vernunft gegen die Anschaffung der gewünschten Spiele für die X-Box, des modernen Flachbildschirms fürs Kinderzimmer und der hippen Designer-Jeans für einen modebewussten Dreikäsehoch. Andererseits sollen sie sich doch freuen, die Kleinen! Und, mal ehrlich, für ein glückliches leuchtendes Kindergesicht würden wir doch alles tun, oder? Dass sie mit einem blankpolierten Apfel und einem dicken Kuss nicht zufrieden sind - geschenkt. Also gehen wir shoppen, bis die Kreditkarte Blasen wirft, erstehen die rosa Traumponys mit Lurexmähne gleich herdenweise, oder überreichen brav all die üppigen Arrange-
ments, die den kleinen Liebhabern des Piratenhandwerks, des Landlebens und der Feuerwehrzunft das Herz höher schlagen lassen sollen.
Und ums Herz geht es ja vor allem in diesem ganzen Trubel: Einen als bekannt vorausgesetzten Herzenswunsch nicht erfüllt zu haben, kommt dem Tatbestand seelischer Grausamkeit schon ziemlich nahe. Schließlich hat das Kind ja schon ziemlich genau an dem Tag, an dem die Freibäder schließen und bei Edeka die Zimtsterne in die Regale geräumt werden, damit angefangen, einen Wunschzettel zu verfassen.
Sich Zeit füreinander nehmen
Und während uns schon ganz blümerant wird bei dieser ganzen Wünscherei, geht das Eigentliche verloren: Weihnachten ist für Kinder da - nicht für Karstadt, nicht für Kreditkartenanbieter und nicht für die Konjunkturbelebung.
Die Weihnachtszeit bietet so viele gute Gelegenheiten, die Seele zu streicheln: Vorlesen, Spielen, Zuhören, Liebe und Aufmerksamkeit schenken. Das größte Vergnügen für die allermeisten Kinder besteht darin, ihre beiden Eltern um sich zu haben, ausgeruhte, freundliche, interessierte und zugewandte Eltern am besten, die sich die Zeit nehmen, die sie im Alltag zwischen Job und Familie nicht haben. Wann ist die Familie schon mal ohne Pause drei Tage lang zusammen? Verschenken wir uns selbst, für einen überschaubaren Zeitraum, dafür aber ganz. Dabei muss man nicht mit ganz leeren Händen dastehen. Nichts ist nichts, aber weniger ist mehr. Erinnern wir uns daran, warum es mehr Spaß macht, die Plätzchen zusammen zu backen als sie zu kaufen: Die Hauptsache ist nicht das Materielle, sondern das, was mit dem Materiellen mitgeliefert wird.