Marcel hat den Weihnachtsmann gesehen. Gemütlich dick und riesig groß stand er als Dekoration in der Spielzeugabteilung des Kaufhauses, sein rotes Gesicht lachte aus dem weißen Bart heraus. Marcel war von diesem überdimensionierten Kerl schwer beeindruckt, seine Augen hingen an dem roten Mantel und dem fröhlichen Gesicht. Nur widerwillig ließ er sich von seiner Mutter weiterziehen. Und seit diesem Tag im Advent hat er nur einen Wunsch: Den großen Weihnachtsmann möchte er haben.
Zu Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat ...
Drei Wünsche haben Märchenhelden oft frei, und diese Wünsche wollen klug gewählt werden, sonst geht es einem wie des Fischers Frau, deren Unersättlichkeit sie zurück in die elende Hütte warf. Oder wie dem armen alten Ehepaar in dem Märchen "Die drei Wünsche" aus Johann Peter Hebels "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes": Die Frau verbraucht unbedacht den ersten Wunsch der guten Fee für eine Bratwurst zu den Bratkartoffeln, ihr Mann wünscht ihr daraufhin aus Ärger selbige Bratwurst an die Nase, und der letzte Wunsch geht dahin für das Wegwünschen der Wurst aus dem Gesicht der geplagten Frau. Wünschen will also gelernt sein, und auch Erwachsene haben damit ihre Schwierigkeiten. Zwar wünschen wir uns keine Bratwurst wie in Johann Peter Hebels Märchen, denn die können wir bequem im Supermarkt kaufen. Aber das neue Auto, die Ferienreise, die Gucci-Handtasche oder das Notebook - schön wär's ...
Strohfeuerwünsche und Herzenswünsche
Und die Kinder? Sind sie fernseherfahren, kommen die Wünsche - besonders jetzt vor Weihnachten - per Bildschirm ins Zimmer. Psychologisch ausgetüftelt auf den Weg geschickt finden all die Puppen und Spiele und Schnickschnack-Utensilien ihren Weg ins Zentrum der Begehrlichkeit. Da kann es dann passieren, dass ein Wunschzettel große Ähnlichkeit mit einem Bestellschein hat. Und die braven Eltern laufen und kaufen, soweit das Portemonnaie sie trägt. Das Kinderzimmer könnte gut zehn Quadratmeter mehr haben nach der Wunsch- und Schenkinflation der Weihnachtstage, denn nicht nur die Eltern wollten Kinderaugen leuchten sehen, sondern auch die Großeltern, Tanten, Onkel, Freunde. Das meiste davon könnte eigentlich gleich aussortiert werden, denn dass sein Spielwert gleich null ist, haben die Kinder schnell gemerkt. Der Spaß am Wünschen, Bekommen, Auspacken war riesig - und das Wünschen hat damit seinen Zweck erfüllt. Aber ist das der eigentliche Zweck des Wünschens und Schenkens?
Dass Kinder damit überfordert sind, das immense Angebot von Spielzeug, Klamotten & Co. nüchtern zu sichten und dann daraus eine weise Auswahl zu treffen, liegt auf der Hand. Strohfeuerwünsche von Herzenswünschen zu trennen will gelernt sein. Ein gutes Messverfahren für die Intensität von Kinderwünschen ist zum einen die Dauer und Beharrlichkeit, mit der sich ein Kind für etwas begeistert, zum andern die Frage, ob das Gewünschte zur Persönlichkeit des Kindes passt. Redet es schon seit Wochen vom neuen Outfit für die Puppe, mit der es so gern spielt? Dann scheint das zur Kategorie Herzenswünsche zu gehören. Ist es ein begeisterter Forscher und tut nichts lieber als Dinge auseinanderzunehmen, um deren Wesen und Funktion auf die Spur zu kommen? Dann ist der gewünschte Entdecker-Kasten genau das Richtige. Ist es ein Pferde-Fan und liebt seit Monaten Anhänger, Schmusekissen, Ketten und Bildchen, wenn nur ein Pferd darauf abgebildet ist? Dann ist das Begehren der Bettwäsche mit den Fohlen darauf ein echter Herzenswunsch.
Schenken heißt Freude bereiten
Wenn Sie der Meinung sind, dass das eine oder andere, was ihr Kind sich wünscht, nicht so recht in Ihr Erziehungskonzept passt oder Ihnen generell "unpädagogisch" erscheint - was dann? Dem Kind durch ein hartes "Nein" die Freude verhageln? Drücken Sie ein Auge zu. Ihr Kind wird es überleben, auch mal mit pädagogisch zweifelhaftem Spielzeug zu spielen. Oft wird sogar ein Spielzeug, das man bislang nur beim Freund benutzen durfte und das dadurch den Nimbus des Unerreichbaren hatte, schnell langweilig, wenn es im eigenen Kinderzimmer liegt. Richtiges Schenken ist nicht einfacher als richtiges Wünschen: Es soll den Beschenkten im Blickfeld haben und nicht die eigenen Vorlieben. Und wenn das Kind mit großen Augen vor jedem Schaufenster stehen bleibt, hinter dem dieses grässliche sprechende Plastik-Plüsch-Ungetüm ausgestellt ist, dann kaufen Sie es ihm, wenn es Ihr Budget erlaubt. Schenken heißt Freude bereiten. Wer weiß, vielleicht wird das Plastik-Plüsch-Monster sogar Bestandteil von fantasievollen Spielen. Dann hat das Geschenk seinen Zweck erreicht. Wo Ihre Grenze liegt, wenn es um Waffen und ähnliches geht, wissen Sie selbst. Wenn Ihr Kind einen Wunsch nach Spielzeug äußert, das Ihnen bedenklich erscheint und bei dem Sie befürchten, dass es ihm schaden könnte, dann erklären Sie Ihrem Kind, warum es das nicht bekommen kann. Ob ein solches Spielzeug Schaden anrichten kann, hängt auch von der Persönlichkeit Ihres Kindes ab. Ein ausgeglichenes, freundliches Kind wird durch ein Laserschwert nicht zum Gewalttäter.
Und was ist mit Marcel, der sich den riesigen Weihnachtsmann gewünscht hatte? Abends, nach der Gute-Nacht-Geschichte, blieb die Mutter noch ein wenig auf der Bettkante sitzen und sprach mit ihrem Sohn über Wünsche, die manchmal eben auch unerfüllbar sind. Sie erzählte von ihren eigenen Wünschen und dass sie es manchmal schade findet, dieses oder jenes nicht haben zu können. Marcel nickte, aber sein Mund verzog sich und die Augen füllten sich mit Tränen. An Heiligabend, kurz vor Geschäftsschluss, hatte die Mutter in der Stadt noch etwas zu erledigen: Sie sprach mit dem Abteilungsleiter des Kaufhauses und schwatzte ihm tatsächlich den Riesen-Weihnachtsmann ab. Seitdem wohnt er im Kinderzimmer, in der Höhe passt er gerade eben. Ein in der Tat großes Symbol für Wünsche und Geschenke, die aus dem Herzen kommen.
kizz Info
Schenktipps
- Versuchen Sie, die schnellen, oberflächlichen Wünsche Ihrer Kinder von den echten Wünschen zu unterscheiden. Echte Wünsche sind es wert, erfüllt zu werden.
- Erwarten Sie von Ihrem Kind nicht, dass seine Wünsche "vernünftig" sind. Die Einflüsse durch Medien und Freunde sind immens, und vieles ist eben höchst verlockend.
- Lachen Sie ihr Kind nicht aus, wenn es sich etwas Unsinniges oder Unmögliches wünscht. Die Gedanken sind frei - und auch die Wünsche.
- Drücken Sie ein Auge zu, wenn der Wunsch etwas betrifft, das Ihnen selbst nicht besonders gut gefällt. Ein echtes Geschenk wird aus der Sicht des Beschenkten ausgewählt.