Alle machen alles falsch. Außer mir. Ich mache alles richtig. Ich ziehe meinen Kindern im April keine Strumpfhosen mehr an. Ich lasse sie sogar manchmal ohne Unterhemd gehen. Ich ernähre sie gesund. Aber ich übertreibe es auch nicht mit Bio-Bio-Zeugs. Im Sommer dürfen sie barfuß ins Meer, auch wenn da mal ein spitzer Stein lauert. Ich führe kein striktes Anti-Zucker-Regiment. Aber ich kaufe natürlich keine gesüßten Tees. Wenn ich dagegen an andere Frauen denke. Unfassbar. Die Szenen, die ich da erlebe. Die groben pädagogischen Verfehlungen!
Bevor ich das erste Mal Mutter wurde, hat man mich auf alles möglich vorbereitet. Ab jetzt hast du Verantwortung für einen anderen Menschen, für immer. Du wirst jahrelang nicht durchschlafen, jahrzehntelang nicht ausschlafen. Dein Partyleben ist zu Ende,
deine Freiheit sowieso, deine Karriere wird gar nicht erst losgehen. Das alles hat man mir gesagt. Was mir niemand gesagt hat: Dass mit dem Tag der Geburt ein neues Areal im Gehirn aktiviert wird. Dass ich mich ab sofort mit allen anderen Müttern dieser Welt vergleichen werde. Dass alle Mütter das tun. Immer heimlich beobachten: Wie macht die es, und wie macht es jene?
Und immer kommen wir dabei zu dem Schluss: Die spinnen, die anderen. Wie die ihre Kinder verwöhnen. Oder vernachlässigen. Schlecht erziehen oder falsch ernähren. Oder unmöglich anziehen. Oder bei Randale im Sandkasten zu spät einschreiten. Oder zu früh.
Oder die falsche Obstsorte dabeihaben. Oder die falsche Meinung zum Thema Impfen vertreten. Oder. Oder.
Mütter sind die dogmatischsten, verbohrtesten, hyperkritischsten Wesen, die ich kenne. Es sind schon Frauenfreundschaften zerbrochen an der Frage, ob man Möhrenbrei im Glas kaufen darf oder die Möhre selbst pürieren muss. Ob man sich abends zum Einschlafen mit ins Kinderbett legt oder es sein lässt. Ob Babysitter der größte Segen für Elternbeziehungen oder die schlimmste Zumutung für die kindliche Seele sind.
Kein Außenstehender kann auch nur den Hauch eines Unterschieds zwischen unseren fürsorglichen Mittelschichterziehungsstilen
ausmachen. Wir dagegen verbeißen uns in jede Nuance. Wir verschwenden unsere Energie darauf, uns gegenseitig für grottenschlechte Mütter zu halten. Wir fällen ständig vernichtende Urteile übereinander. Obwohl wir doch alle im gleichen schwankenden Boot sitzen.
Wir alle jonglieren mit Alltag und Beruf und Kindern und Haushalt. Und uns verbindet noch etwas: Wir sind alle unsicher. Wir alle haben Angst zu scheitern.
Mädels, wir sollten uns locker machen. Die eine macht es so, die andere anders. Die meisten kriegen ihre Kinder dennoch ziemlich gut groß. Und wenn wir weniger Zeit mit missgünstigem Belauern vergeuden würden, dann könnten wir uns bei dieser irrsinnigen Lebensherausforderung sogar noch gegenseitig zu Hilfe kommen. Und ich meine jetzt nicht mit herablassenden Ernährungsratschlägen.