Ben beobachtet seine Umwelt mit wachem Blick, sprechen möchte der Anderthalbjährige allerdings nicht. Seine gleichaltrige Freundin Anna hingegen plappert ausgiebig, wann immer sich eine Gelegenheit ergibt.
Die Sprachentwicklung bei Kindern verläuft sehr unterschiedlich, und häufig sind Jungen dabei etwas langsamer als Mädchen. Es ist ganz natürlich, dass Eltern ihre Kinder aufmerksam beobachten und ihre Entwicklung mit der Gleichaltriger vergleichen. Doch Grund zur Sorge geben Unterschiede nur selten: Die einzelnen Schritte auf dem Weg des Spracherwerbs sind bei nahezu allen Kindern identisch. Zu welchem Zeitpunkt sie jedoch erfolgen, kann im Einzelfall sehr voneinander abweichen. Manche Kinder beobachten lieber, als aktiv mit Sprache zu experimentieren, und lernen durch Zuhören. Andere teilen sich schon sehr früh mit und sprechen bereits vor dem ersten Geburtstag einige Wörter.
Sprechen beginnt mit Lallen
Wenn ein Kind die Welt entdeckt, gehört das Bilden von Lauten und Tönen dazu. Ungefähr ab dem zweiten Lebensmonat probiert ein Kind aus, welche Geräusche es mit seinem Mund machen kann. Etwa mit einem halben Jahr beginnt es, mit Tönen und Lauten zu kommunizieren, und mit circa einem Jahr spricht es seine ersten Wörter. Ab dem zweiten Lebensjahr explodiert der kindliche Wortschatz. Wie schnell dieser sich erweitert, hängt nicht zuletzt von den Anregungen ab, die ein Kind durch seine Umgebung erfährt. Mit zwei Jahren beherrscht es Zwei-Wort-Sätze wie „Papa spielen“ und mit drei Jahren sollte es einfache Sätze wie „Sarah will Schokolade“ korrekt bilden können. Danach verfeinert das Kind seine sprachlichen Fähigkeiten durch verschiedene Strategien, jedes in seinem individuellen Tempo. Nicht nur die jeweilige Persönlichkeit, sondern auch das Umfeld eines Kindes hat großen Einfluss auf die
Sprachentwicklung. Zweisprachig aufwachsende Kinder schweigen häufig länger, Kinder mit älteren Geschwistern sprechen oft früh.
So lernen Kinder sprechen
- Kinder verwenden Wörter zuerst allgemein und bezeichnen zum Beispiel alle Tiere als Hund („Wauwau“). Nach einiger Zeit kommen weitere Tiernamen hinzu und die Kinder sind in der Lage, die Unterschiede zwischen den Tieren auch sprachlich zu benennen.
- Bei der Anwendung sprachlicher und grammatikalischer Regeln, kommt es oft zu lustigen Analogien und originellen Wortkreationen, zum Beispiel „Propelle“ für „Libelle“.
- Kinder haben immer wieder Lieblingswörter oder -sätze, die sie häufig wiederholen, weil ihnen der Klang oder die Reaktion ihrer Umgebung gut gefällt.
- Die Fragephase tritt bei allen Kindern auf. Indem die Kinder fragen, fordern sie unsere Aufmerksamkeit ein und zeigen ihre Neugierde auf die Welt und ihr Bedürfnis nach Kommunikation.
Gut vorbereitet aufs schulische Lernen
Vorschulkinder sprechen in der Regel schon deutlich und sind gut zu verstehen. Sie haben einen großen Wortschatz und können Pronomen richtig anwenden (mein Auto, dein Ball, unsere Pizza). Schwierigkeiten können noch beim Aussprechen von Zischlauten (s, z, sch) und komplizierten Konsonantenverbindungen (kl, gl, dr) bestehen.
Bei der Einschulung sollten Kinder grammatikalisch korrekte Sätze bilden können und alle muttersprachlichen Laute beherrschen. Hat ein Kind bei der Einschulung mit bestimmten Lauten noch Probleme, ist eine Förderung notwendig. Darauf wird der Kinderarzt bei
der U 9 (mit ca. fünf Jahren) besonders achten und gegebenenfalls eine logopädische Behandlung empfehlen. Diese wird in der Regel von der Krankenkasse übernommen – und sie lohnt sich. Kinder mit guten sprachlichen Fähigkeiten haben deutliche Vorteile in der Schule. Sie sind nicht nur besser im Lesen und Schreiben, sondern haben in allen Unterrichtsfächern nachweisbar größere Erfolgschancen.
Wo steht mein Kind?
Sie können sich als Eltern selbst einen Eindruck davon verschaffen, wie es um die Sprachfähigkeit Ihres Kindes bestellt ist. Dabei helfen die folgenden kleinen „Übungen“, die Ihr Kind bis zur Einschulung beherrschen sollte:
- Farben: Legen Sie Stifte in den Farben Rot, Gelb, Grün, Blau, Braun, Orange auf den Tisch. Kann Ihr Kind die Farben alle benennen?
- Zählen: Legen Sie sechs Gegenstände auf den Tisch (Stifte, Murmeln o.ä.), kann Ihr Kind sie korrekt zählen?
- Gegenstände benennen: Ist Ihr Kind dazu in der Lage, 15 Dinge aus dem Raum (zum Beispiel Stuhl, Tisch, Buch, Schrank) korrekt zu bezeichnen?
- Aufträge ausführen: Kann Ihr Kind diese vier Anweisungen ausführen? „Lege den Stift in die Schachtel“, „Male ein Kind mit einem Ball“, „Gehe zum Tisch und hole das Buch“, „Öffne das Buch“.
- Bild beschreiben: Wählen Sie ein Bild aus, auf dem möglichst viele Einzelheiten dargestellt sind. Bitten Sie Ihr Kind zu beschreiben, was es sieht. Kann Ihr Kind seine Beobachtungen detailliert ausdrücken?
- Gespräch führen: Fordern Sie Ihr Kind auf zu erzählen, was es im Kindergarten gerne macht, mit wem es spielt, was es schon alles kann. Bildet Ihr Kind vollständige Sätze, benutzt es passende Worte und kann es seine Beobachtungen verständlich ausdrücken?
Wenn Sie die meisten dieser Fragen mit Ja beantworten können, ist Ihr Kind auf die Herausforderungen der Schule gut vorbereitet.
Was sich reimt, tut gut! Sprache im Alltag fördern
- Kinder lernen sprechen im Gespräch. Reden Sie viel mit Ihrem Kind, von seinem ersten Lebenstag an!
- Kinder lieben Reime, Lieder, Gedichte und Quatschverse. Bauen Sie diese in den Alltag ein, wann immer es sich anbietet, und wecken Sie bei Ihrem Kind die Lust am Spielen und Experimentieren mit Sprache.
- Sprechen Sie mit Ihrem Kind deutlich und wiederholen Sie öfter, kommentieren Sie im Alltag, was Sie gerade machen: „So, jetzt stelle ich die Suppe auf den Tisch“.
- Vermeiden Sie direkte Verbesserungen („Das heißt …“ oder „Sag mal …“). Wenn Ihr Kind einen Fehler macht, korrigieren Sie diesen, indem Sie das Gesagte korrekt wiederholen. Wenn Ihr Kind zum Beispiel „Hund getrinkt“ sagt, erwidern Sie: „Ja genau, der Hund hat Wasser getrunken, er war ganz schön durstig.“
- Nutzen Sie Gesprächsanlässe, fragen Sie Ihr Kind, was es im Kindergarten erlebt hat, oder plaudern Sie auf dem Weg zum Einkaufen über den Käfer auf der Mauer.
- Hören Sie Ihrem Kind geduldig zu, auch wenn es etwas umständlich erzählt, das stärkt sein Selbstvertrauen.
- Schauen Sie mit Ihrem Kind regelmäßig gemeinsam Bilderbücher an und lesen Sie ihm vor.
- Ihr sprachliches Vorbild zählt! Wenn Sie in ganzen und korrekten Sätzen mit Ihrem Kind sprechen, wird es sich daran orientieren.