Mia und Lisa pinseln mit viel blauer und grüner Farbe Wellen auf einen Bogen Papier. Philipp sitzt daneben und schaut zu. „Willst du mitmachen?“, fragt Lisa. Philipp freut sich. „Ich kann gut Fische malen“, sagt er. Seinem Freund Erkan fällt ein, dass er noch Meeres-Sticker hat, die gut dazu passen würden. So entsteht ein tolles Unterwasserbild. Und mehr als das: Die Kinder haben gelernt, dass sie zusammen mehr erreichen können als allein.
Ihr Verhalten zeugt von Sozialkompetenz. Der Begriff umfasst ein ganzes Bündel an Elementen: Neben Teamwork sind das auch Toleranz und Kritikfähigkeit sowie das Vermögen, Konflikte auszutragen, ohne dass einer der Beteiligten Schaden nimmt. Eine Schlüsselrolle dabei spielt die Empathie. Darunter versteht man das Vermögen, die Gefühle anderer Menschen anhand Mimik und
Gestik zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren – auch ohne ein Gespräch zu führen. Lisa hat intuitiv gespürt, dass Philipp gerne mitmachen möchte. „Unsere soziale Kompetenz hängt von diesem Einfühlungsvermögen ab“, schreibt Stephan Valentin in seinem Buch Ichlinge: Warum unsere Kinder keine Teamplayer sind. Kinder seien immer weniger dazu in der Lage, sich erfolgreich in eine Gruppe zu integrieren, hat der Kinderpsychologe beobachtet. Unsere Gesellschaft ist von Wettbewerb und
Individualisierung geprägt, oft geht es mehr um Leistung als um das Wohlergehen des anderen. Leider übersehen wir dabei, dass auch Erfolge in der Schule und später im Beruf stark von emotionalen und sozialen Fähigkeiten abhängen.
Unser Handeln zählt
Ein Grund mehr für Eltern, soziales Verhalten bei ihren Kindern zu unterstützen. Den größten Beitrag leisten sie dabei durch ihr eigenes Verhalten, sagt Jörg Maywald, Soziologe und Leiter des interdisziplinären Netzwerkes Deutsche Liga für das Kind. „Gerade im Bereich der Sozialkompetenz orientieren sich Kinder weniger daran, was die Eltern sagen, sondern daran, wie sie handeln. Das Vorbild ist entscheidend.“ Das heißt: Wenn Papa und Mama respektvoll miteinander umgehen und sich anderen gegenüber hilfsbereit zeigen, ist das mehr wert als tausend Worte.
Dazu gehört auch eine gewaltfreie Kommunikation auf Augenhöhe – nicht nur zwischen Mama und Papa, sondern auch zwischen Eltern und Kindern. Sätze wie „Du bist so ein Tollpatsch!“ oder „Nie hörst du zu!“ kritisieren das Kind selbst und nicht sein Verhalten. Das erzeugt Unsicherheit und Selbstzweifel – keine gute Basis, um unbefangen auf andere Menschen zuzugehen.
Feinfühlige Eltern haben gute Chancen, eine sichere, enge Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. Das bedeutet, dass die Eltern schon die Signale ihres Babys richtig und angemessen interpretieren, es beispielsweise nicht lange weinen oder schreien lassen. Damit legen sie einen wichtigen Grundstein für dessen späteres Sozialverhalten. Nur wer erlebt hat, dass seine Bedürfnisse und Befindlichkeiten gut und richtig eingeschätzt wurden, kann sich später in anderen Beziehungen auch einfühlsam verhalten.
Sicher gebundenen Kindern fällt es auch leichter, mit Rückschlägen umzugehen. Neben Empathie spielt nämlich noch eine andere Eigenschaft eine wichtige Rolle für sozial kompetentes Verhalten: Frustrationstoleranz. Schließlich ist das Zusammensein mit anderen durchaus auch mit Enttäuschungen verbunden. In der Gruppe muss man manchmal zurückstecken und anderen das Feld überlassen.
Möglichst wenig einmischen
Eltern sollten daher Konflikte zulassen und nicht sofort einschreiten, wenn Kinder sich streiten, es sei denn, es ist Gewalt im Spiel. „Nur in schwierigen Situationen brauchen Kinder Unterstützung“, sagt Jörg Maywald. Wenn sie etwa noch zu klein sind, um ihre Wünsche sprachlich auszudrücken, und ihre Interessen deshalb körperlich durchsetzen. Oder wenn ein Kind außerhalb der
Gruppe steht und gerne mitspielen möchte, aber zu schüchtern ist. Hier reicht es oft schon, wenn Papa oder Mama ihr Kind begleiten und Rückendeckung geben.
kizz Elterntipp
Tipps für Teamplayer
- Über Gefühle sprechen. Überlegen Sie mit dem Kind, was man tun könnte, um einem anderen Kind zu helfen, wenn es weint oder traurig aussieht.
- Rituale pflegen. Mahlzeiten mit der ganzen Familie oder Ausflüge mit Freunden zeigen Kindern, dass viele Dinge zusammen mehr Spaß machen als alleine.
- Kindern Zeit lassen. Lassen Sie auch kleinen Kindern Zeit, ihre Gedanken auszudrücken – auch wenn das manchmal lange dauert. Sie sollen die Erfahrung machen, dass die Eltern ihnen wirklich zuhören.
- Kooperation in den Alltag einbauen. Becher auf den Tisch stellen oder mit dem Kinderbesen fegen können schon die Kleinsten.
Schritt für Schritt mehr Miteinander
- Bereits Säuglinge treten in soziale Interaktion, indem sie die Mimik ihres Gegenübers imitieren.
- Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr verhalten sich Kinder „prosozial“: Lara reicht der weinenden Lucie ihr Kuscheltier, weil ihr das in solchen Situationen auch immer hilft.
- Mit vier Jahren sind Kinder in der Lage, nachzufühlen, was in einem anderen Menschen emotional vorgeht, und können entscheiden, ob und wie sie helfen wollen.
- Der nächste große Sprung erfolgt dann im Grundschulalter: Dann können Kinder schon kleine Verhandlungen führen oder gemeinsame Aktionen absprechen.
kizz Interview
Spielen fördert die Sozialkompetenz
kizz sprach mit Prof. Dr. phil. Jörg Maywald, Soziologe und Leiter der Deutschen Liga für das Kind
Welche Rolle spielt der Kindergarten bei der Entwicklung von Sozialkompetenz?
Er spielt eine bedeutende Rolle. Nicht nur weil Kinder da auf viele andere Kinder und Erwachsene treffen und so lernen, dass Menschen unterschiedlich sind. Auch weil der Kindergarten ein Ort ist, wo sie spielen und herumtoben können.
Warum ist das so wichtig?
Spielen fördert soziales Verhalten, allein schon deshalb, weil sich die Beteiligten auf Regeln einlassen müssen. Kinder lernen beim Spielen, Konflikte auszutragen und Kompromisse zu schließen.
Manche Kinder bekommen zu Hause kein einfühlsames Verhalten vorgelebt. Können Fachkräfte das ausgleichen?
Eine gute Erzieherin kann für Kinder mit ungünstigen Bedingungen ein Segen sein. Wir dürfen die kompensatorischen Möglichkeiten allerdings auch nicht überschätzen. Es sind immer noch die Eltern, die den größten Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder haben.
Sie haben das Lernprogramm Kindergarten Plus entwickelt, worum geht es dabei?
Hintergrund waren die vielen Studien, unter anderem PISA, in denen deutsche Kinder nicht so gut abgeschnitten haben. Genauere Untersuchungen haben gezeigt, dass sie kognitiv durchaus in der Lage wären, die erforderlichen Leistungen zu bringen. Aber sie schaffen es nicht, weil sie sich schlecht konzentrieren können oder mit anderen Kindern oder dem Lehrer nicht zurechtkommen. Dieses sozial-emotionale Lernen wird oft vernachlässigt. Da wollten wir ansetzen.
Wie sehen denn Übungen aus dem Programm aus?
Wir haben zum Beispiel einen Holzrahmen, durch den Kinder ihr Gesicht zeigen und verschiedene Gefühle spielen können. Das
kann man dann fotografieren oder als Ratespiel gestalten. Oder wir spielen mit Handpuppen eine Geschichte vor: Die eine Puppe freut sich auf die Schule, der anderen ist angst und bange. Daraus machen dann die Kinder ein kleines Theaterstück und sprechen darüber, wie sie sich die Schule vorstellen. Gefördert und gestärkt werden soll auch die Kompetenz der Kinder, sich in einer Gruppe zu behaupten, Grenzen zu setzen und mit Konflikten angemessen umzugehen.