Die Invasion muss unmittelbar bevorstehen, Freunde haben mich gewarnt: Jedi-Ritter werden demnächst unsere Wohnung mit Lichtschwertern entern. Falls wir Glück haben. Wenn's blöd läuft, kommen wir wohl nicht um Prinzessin Lillifee und die Filly-Pferde herum.
Die Auswahl der Charakteren ist groß, die aus Büchern, Filmen oder Zeichentrickserien ins Kinderzimmer vordringen und Eltern in den Kampf gegen eine Lawine von Merchandisingprodukten zwingen. Eine Frühstücksbox ohne Lieblingsheld? Geht gar nicht, finden viele Kinder - während sich Eltern fragen, was eigentlich so faszinierend ist an Darth Vader, Spider-Man oder Lillifee.
„Kinder fangen mit zwei bis drei Jahren an, sich mit Figuren zu identifizieren, die klar zu erkennende Rollen verkörpern“, sagt Dr. Norbert Neuß, Professor für Kindheitspädagogik an der Uni Gießen. Sie beschreiben ihre Helden oft als „lieb, witzig, mutig und hilfsbereit“ – sie erkennen in ihnen Eigenschaften, die sie selbst gerne haben wollen. Studien zeigen, dass bestimmte
Heldentypen besonders beliebt sind: Neben dem kindlichen Freund gibt es den überlegenen Retter, den listigen Kämpfer, den ewigen, aber witzigen Verlierer wie Donald Duck oder den grausamen Angreifer: „Kinder finden es auch mal toll, sich in eine allmächtige Figur hineinzuversetzen“, sagt Neuß.
In ihren eindeutigen, überzeichneten Rollen sind moderne Medienhelden manchen Märchenfiguren ähnlich – und haben eine ähnliche Funktion: Indem die Kinder Geschichten nacherleben, können sie sich mit „emotionalen Entwicklungsaufgaben“ beschäftigen, die sich ihnen im Kindergartenalter stellen: groß werden, Dinge alleine schaffen, Fremdheit erfahren, Freundschaften schließen und Geschlechterrollen einnehmen, erklärt Norbert Neuß. Kindergartenkinder erleben Heldengeschichten
emotional stark mit. Wenn sie fernsehen, zappeln sie vielleicht auf dem Sofa herum, oder sie erzählen und spielen eine Geschichte immer wieder nach. „Sie werden hineingesogen und können sich nur schwer distanzieren“, sagt Norbert Neuß. Das könne problematisch sein, aber auch eine Chance: wenn die Kinder in der Lage sind, die Erfahrungen zu verarbeiten. Neuß berichtet von einem Jungen, den der Tod des Vaters im Zeichentrickfilm Der König der Löwen so stark beschäftigte, dass er anschließend im Spiel seine Mutter immer wieder von einem Küchenstuhl – der Klippe – springen ließ, um sie daraufhin mit seiner eigenen „Schnauze“ anzustoßen und so, anders als in der Geschichte, wieder zum Leben zu erwecken. „Das Kind hat etwas verstanden, das es aber nicht möchte – und auf seine eigene Weise verarbeitet. Es wäre ganz falsch, das zu unterdrücken.“
Dass allerdings eine rosafarbene Elfenprinzessin mit befliegbarem Kleiderschrank ein eher schwieriges Vorbild sein kann, findet auch Neuß: „Kinder gucken sich auch problematische Aspekte ab.“ Das gelte zum Beispiel für klischeehafte Geschlechterrollen. Wie diese wirken, hat die Historikerin Dominique Grisard von der Uni Basel untersucht. „Die sinnliche, emotionale Bindung von Mädchen an die Farbe Rosa setzt sehr früh ein. Das war nicht immer so“, sagt sie. Mädchen würden heute oft schon als Baby von ihrer Umgebung bestärkt, weiche, rosafarbene Dinge zu mögen.
Kinder bauen eine emotionale Verbindung zu den Figuren auf
Seit einigen Jahren nutzen Hersteller von Medienfiguren für Mädchen Farbe und Materialien intensiv zur Verkaufsförderung – und versehen deren Rollen mit traditionell weiblichen Eigenschaften: „Lillifee sorgt sich vor allem lieb um ihre vielen Tiere und macht sich schön für Feenbälle“, sagt Grisard, „das prägt die Mädchen durch ihre emotionale Verbindung mit der Figur.“ Ähnlich funktioniere es auch bei Jungen – etwa mit starken Kämpfern in Blau und Rot oder Silber.
Was also tun mit den geflügelten rosa Pferdchen oder mit Luke Skywalker im Kinderzimmer? Sie nicht einfach ablehnen, sagt Norbert Neuß, sondern genau hinschauen, den Kindern beim Verarbeiten helfen – und darauf achten, dass Klischees im Alltag gebrochen werden: „Das elterliche Vorbild hat langfristig immer noch die stärkere Wirkung, auch wenn es den Eltern nicht so vorkommt.“ Wir können der nahenden Invasion also doch gelassen entgegen sehen.
Who is Who im Kinderzimmer
Yoda und Jedi
George Lucas’ Science-Fiction-Epos Star Wars ist kein Stoff für Kindergartenkinder. Die Figuren daraus haben aber einen hohen Heldenfaktor, auch ohne dass Kinder die Filme kennen. Gigantisches Merchandising: von Sammelkarten über Schlafanzüge und Bademäntel bis zur Lego Star Wars-Reihe und – natürlich – dem Lichtschwert mit Farbwechsel und Soundeffekt.
Kinder lieben: Laserschwerter und Raumschiffe.
Eltern nervt: Die Batterien vom Laserschwert sind so schnell leer.
Lillifee
Lillifee ist Fee und Prinzessin, sie kann fliegen und zaubern, kümmert sich um Tiere und Pflanzen in ihrem Feenreich und ist vor allem: rosa. Zahlreiche Lillifee- Produkte bis hin zu Backmischungen und Früchtetee sind ebenfalls an dieser Farbe zu erkennen.
Kinder lieben: viele Tiere und viel Glitzer.
Eltern nervt: Lillifee ist völlig platt und kein gutes Rollenbild.
Spider-Man
Der klassische Held mit Superkräften stammt aus einer Marvel-Comicserie der 1960er-Jahre. Spider-Man ist die Geheimidentität
des schüchternen Peter Parker.
Kinder lieben: die Spinnennetz-Optik.
Eltern nervt: Trotz Spinnenangst muss es unbedingt das Spider-Man-Kostüm sein.
Pippi Langstrumpf
Die bekannteste Figur aus der Feder Astrid Lindgrens ist das stärkste Mädchen der Welt und lebt ganz ohne Erwachsene in ihrer Villa Kunterbunt.
Kinder lieben: Pippis Stärke und Unabhängigkeit
Eltern nervt: Sie ist vorlaut und angeberisch.
Bob der Baumeister
„Yo, wir schaffen das!“ Bob und sein Team kümmern sich um alles, was in der Gemeinde Bobhausen anfällt.
Kinder lieben: die sprechenden Baufahrzeuge.
Eltern nervt: der Obama-Spruch.
Conni
In ihren Geschichten erlebt Conni Klawitter mit der roten Schleife im Haar alles, was einem Mädchen im Familienalltag so passiert. Am Ende ist jedes Problem gelöst und immer alles gut.
Kinder lieben: Conni schafft alles.
Eltern nervt: Das traditionelle Familienmodell und die übertrieben gute Laune.
Biene Maja
Die Figur aus den Romanen des deutschen Schriftstellers Waldemar Bonsels wurde vor allem durch die Zeichentrickserie aus den 70er-Jahren bekannt. 2014 erschien die Honigbiene computeranimiert und verschlankt im Kino.
Kinder lieben: Maja ist mutig.
Eltern nervt: Maja ist ganz schön vorlaut und ihr Freund Willi so weinerlich.
kizz sprach mit Michael Witt, Erzieher im Integrativen Kindergarten Plumpaquatsch in Löhne, Frühpädagoge und freiberuflicher Referent
„Aufgreifen, was die Kinder beschäftigt“
Herr Witt, was werden Sie tun, wenn an Karneval die Hälfte der Kinder mit Laserschwertern den Kindergarten stürmt?
Das war bei uns tatsächlich schon so. Schwerter sind im Alltag eigentlich verboten, wenn sie an Karneval zum Kostüm gehören, dürfen die Kinder sie mitbringen. Wir haben aber auch weichere Materialien, mit denen sie dann richtig kämpfen können.
Sie gehen also auf die Heldenfiguren ein?
Es ist wichtig, das aufzugreifen, was die Kinder beschäftigt – das können wir ja nicht ignorieren oder sagen, spielt jetzt
bitte etwa anderes, das uns Erziehern vielleicht besser gefällt. Die Kinder wollen oft auch erzählen, was sie zum Beispiel im
Fernsehen gesehen haben, um es zu verarbeiten und ihre eigene Rolle zu finden.
Wie reagieren Sie konkret?
Wir nutzen das Interesse der Kinder, indem wir Anknüpfungspunkte schaffen. Zum Beispiel bei der Sprachförderung: Kinder, die sonst wenig sprechen, erzählen aufgeregt und in ganzen Sätzen Geschichten aus Star Wars. Oder Jungs, die vor allem Fußball spielen wollen, fangen an, Raumschiffe zu basteln. Und ein Kind, das nicht über eine schmale Bank balancieren will, traut sich vielleicht doch, wenn es ein Laserschwert in der Hand hält und die Bank eine Brücke in die Raumstation ist.
Was empfehlen Sie genervten Eltern?
Ganz davor bewahren lassen sich die Kinder nicht, spätestens der beste Kumpel weiß Bescheid. Deshalb würde ich sagen: Schaut Euch ausgewählte Sachen gemeinsam mit den Kindern an – und sprecht darüber.