Egal ob Straßenmusik durch die Innenstadt schallt, eine Hochzeit gefeiert wird oder Papa im Wohnzimmer die Boxen aufdreht: Wenn irgendwo Musik gespielt wird, sind Kinder die ersten, die anfangen zu tanzen. Ganz ohne Hemmungen hopsen die Kinder herum, fassen sich an den Händen, lachen, drehen sich im Takt und lassen sich von den Klängen mitreißen.
Mit diesem Spaß an der Musik kommen wir offenbar bereits auf die Welt. Der Schweizer Psychologie-Professor Dr. Marcel Zentner stellte in einer Studie fest, dass schon Babys über ein Rhythmusgefühl verfügen. Gemeinsam mit finnischen Kollegen spielte er 120 Kindern im Alter zwischen fünf und 24 Monaten Musik vor und filmte deren Reaktionen. Egal ob Säugling oder Kleinkind – „die meisten haben sich tatsächlich rhythmisch bewegt“, berichtet Zentner.
Dabei nahmen die Kinder Takt und Rhythmus äußerst genau auf. Die Wissenschaftler beobachteten, dass die Kleinen sich bei schneller Musik rascher bewegten als bei langsamer. Und – hier kommt die Straßenmusik wieder ins Spiel – es bedarf nicht unbedingt eines komplexen musikalischen Werkes, um die Tanzfreude der Kleinen zu wecken: Selbst ein Metronom, das nur in einem
bestimmten Takt klickt, verfehlt seine Wirkung nicht. In der Studie hatte es den gleichen Effekt wie ein sinfonisches Werk von Mozart.
Rhythmus und Sprache
Der sprichwörtliche „Rhythmus, bei dem man mitmuss“ bestimmt schon das Heranwachsen eines Embryos im Bauch. Dort sind der Herzschlag oder die Atemgeräusche der Mutter ständig präsent. Aber auch gleichmäßige Bewegungen beim Laufen übertragen sich
auf das Ungeborene.
In den ersten Lebensjahren haben Kinder viel Freude an rhythmische Spielen, die einen wichtigen Beitrag bei der Sprachvermittlung leisten. Ob Lieder wie „Wir klatschen in die Hände“ inklusive dazugehörender Bewegungen oder der Klassiker „Hoppe, hoppe Reiter“ – rhythmisierte Sprache kombiniert mit Bewegungen entlockt ihnen fast immer eine lautes Jauchzen und ein begeistertes „Noch maaaal!“.
Kinder, denen solche Erfahrungen fehlen, können später offenbar Schwierigkeiten beim Erlernen von Lesen und Schreiben bekommen. Die Hirnforscherin Usha Goswami, Professorin an der Universität Cambridge fand in einer breiten internationalen Studie heraus, dass Legastheniker über ein geringeres Rhythmusgefühl als andere Menschen verfügen. Goswami vermutet deshalb,
dass die Betroffenen den Sprachrhythmus schlecht erkennen können. Ob aber im Umkehrschluss regelmäßige Rhythmusübungen einer späteren Lese-Rechtschreibschwäche vorbeugen können, ist bisher nicht bewiesen.
Klatschen, singen, trommeln
Um die Schulung des Rhythmusgefühls geht es auch in den meisten der musikalischen Frühförderkurse, zum Beispiel im Musikgarten Obstfeld. Leiterin Cordelia Obstfeld will aus den Vier- und Fünfjährigen, die an diesem Samstagvormittag in das Gemeindehaus einer Kirche in Bonn-Bad Godesberg gekommen sind, keine Virtuosen an einem Musikinstrument machen. Stattdessen sitzt sie mit den Kindern im Kreis auf dem Boden und singt mit ihnen Lieder zur Gitarre. Die Kinder klopfen dabei auf Klangfröschen einen Rhythmus im Vier-Viertel-Takt.
„Es geht darum, die Musik ins Herz zu bekommen, die Klänge zu hören und im Rhythmus fester zu werden“, sagt Obstfeld. Instrumente werden in diesem Alter noch nicht unterrichtet. „Wir wollen vor allem die Freude an der Musik wecken.“ Dazu ist nicht unbedingt ein Kurs nötig. Wer lärmresistente Nachbarn hat, kann auch mit seinen Kindern selbst singen und dazu mit zwei Topfdeckeln einen Rhythmus schlagen. „Nur leider kennen viele Erwachsene keine Kinderlieder mehr“, bedauert die Musikpädagogin.
Ausdruck von Lebensfreude
Auf den Spaß am Rhythmus verweist auch Wolfgang Tietze, langjähriger Professor für Erziehung in der frühen Kindheit an der Freien Universität Berlin. „Musikalische Frühbildung ist ein wichtiger Aspekt, um das Ausdrucksgeschehen bei Kindern zu fördern. Und Kinder drücken sich sehr gern aus“, sagt Tietze. Das gilt nicht nur für das Singen, sondern zum Beispiel auch für Verse, die in manchen Kindergärten zu verschiedenen Anlässen mit einem rhythmischen Klatschen gesprochen werden.
Die Freude am Tanzen hat Marcel Zentner während seiner Studie bereits bei den Allerkleinsten beobachtet. Während die Kinder mit Armen oder Beinen im Rhythmus wippten, strahlten sie über das ganze Gesicht. „Die Kinder, die sich nicht bewegten, lächelten auch nicht“, berichtet der Psychologe. Seine Empfehlung: Rhythmusinstrumente gehören schon deshalb ins Kinderzimmer,
weil sie die Lebensfreude wecken. Es muss nicht gleich die teure Trommel aus dem Musikfachgeschäft sein. Rasseln, einfache Schütteleier oder ein Topf mit Holzlöffel reichen dafür auch.