Adele und Lena spielen einträchtig in der Puppenecke. Die beiden Vierjährigen sind ein ein ge spieltes Team und verbringen viel Zeit miteinander. Noch am Vormittag hatte Adele nach einem Streit mit Nachdruck verkündet: „Lena ist nicht mehr meine Freundin“. Eine gute Stunde später ist der Konflikt längst vergessen. „Lena und Adele streiten sich immer wieder mal, aber eigentlich machen sie ganz viel zusammen“, beschreibt Erzieherin Mareike Schlott aus der Berliner Kita Regenbogen das Verhältnis der beiden Mädchen. „Sie basteln beide gerne, und draußen im Garten sitzen sie oft unter unserem Spielhäuschen und backen Sandkuchen.“
Was Kinder verbindet
Für eine enge Beziehung im Kindergartenalter sind gemeinsamen Interessen schon eine solide Basis. „Kinder haben eine etwas andere Vorstellung von Freundschaft als Erwachsene“, erklärt Diplom-Psychologe Andreas Engel von der Erziehungsberatungsstelle Hof. „Für sie ist ein Freund jemand, mit dem man zusammen spielt.“ Ob die gegenseitige Verbundenheit auch in einem Monat noch hält, darüber denken Kinder nicht nach. Die Freundschaften sind in diesem Alter noch loser und die Spielpartner werden häufiger gewechselt. Trotzdem können Kinder bereits abgestufte Sympathiegefühle entwickeln: Spielgefährten, mit denen man sich schnell einig ist, kommen da naturgemäß besser weg als die, mit denen es dauernd Streit gibt.
Partner auf Augenhöhe
„Das Interesse an anderen Kindern gehört zur Erforschung der Welt“, sagt Engel. Deshalb brauchen die Kleinen Gelegenheiten,
um mit Gleichaltrigen zu spielen. Mit ihnen lernen sie, ihre Interessen zu vertreten, Konflikte zu lösen, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen – alles wichtige soziale Kompetenzen. Während Eltern die Kontaktaufnahme ihres Nachwuchses auf dem Spielplatz noch beobachten können, sind sie im Kindergarten außen vor. Aber auch die Betreuerinnen und Betreuer dort mischen sich in die
Entwicklung von Freundschaften wenig ein. „Das ergibt sich meist ganz von allein“, sagt Erzieherin Schlott. Die meisten Angebote für Spiel und Bildung sind generell auf gemeinsame Erlebnisse ausgerichtet. „Dadurch finden sich die Kinder ganz von selbst.“
Ohnehin seien spezielle Aufforderungen wie „Such dir doch mal einen Freund“ meist wirkungslos, warnt Psychologe Engel. „Die Entwicklung von Freundschaft braucht Freiheit vor Steuerung. Kinder müssen ihre Erfahrungen mit vielen unterschiedlichen
Gleichaltrigen machen.“ Allerdings – mit der Unterschiedlichkeit ist es nicht so einfach. Denn schon Kinder haben vor allem Freunde aus der gleichen sozialen Schicht, sagt Rita Braches-Chyrek. Die Professorin für Sozialpädagogik an der Universität Bamberg sieht die Ursache bei den Eltern. „Das hängt einfach damit zusammen, dass Mütter oder Väter aus ähnlichen Milieus auch
ähnliche Interessen bei ihren Kindern fördern“, sagt die Wissenschaftlerin. Im frühkindlichen Musikkurs etwa trifft eben vor allem der Nachwuchs aus der Mittelschicht zusammen. Eltern aus sozial tieferen Schichten fehlt dafür oft das Geld – oder sie haben andere Vorlieben. Zumindest die Kita könnte ein Ort sein, an dem Kinder aus unterschiedlichen Familien noch zusammentreffen. Doch die Abgrenzung ist auch hier im Gange. „Bei Eltern aus der Mittelschicht werden private Betreuungseinrichtungen immer beliebter“, stellt Braches-Chyrek fest.
Kindern Zeit lassen
Bei aller Zurückhaltung achten die Erzieherinnen der Kita Regenbogen dennoch darauf, dass niemand ausgegrenzt wird oder sich immer wieder zurückzieht. „Wenn uns auffällt, dass sich ein Kind über Wochen abkapselt, suchen wir das Gespräch mit den Eltern“, betont Schlott. Dann wird gemeinsam nach der Ursache geforscht, warum ein Kind nicht ins Spiel mit anderen findet. Andererseits gibt es keinen Grund zur Beunruhigung, wenn das eigene Kind nicht gleich auf alle Gleichaltrigen zustürmt. Jedes Kind steigt nach dem morgendlichen Abschied von den Eltern anders in den Kitaalltag ein, berichtet Schlott: „Wir haben immer Kinder, die erst eine Weile brauchen, bis sie ins gemeinsame Spiel finden. Das gilt es zu respektieren.“ Entwicklungspsychologen sehen als Ursache dafür das unterschiedliche Temperament – und das ist angeboren.
Das wirkt sich auch darauf aus, ob Kinder viele Spielgefährten haben oder am liebsten mit einigen ausgewählten Freunden spielen. „Da würde ich mir als Elternteil wenig Gedanken machen“, rät Sozialpädagogin Braches-Chyrek. Manche Erwachsenen pflegen ebenfalls nur wenige Freundschaften, während andere sich mit einem großem Freundeskreis wohlfühlen. Und das Verhalten der Eltern prägt auch die Kinder. „Wer aus einem offenen Haus mit vielen Gästen kommt, wird auch als Kind mehr Kontakte zu anderen haben“, sagt Psychologe Engel. Ob das auch für das weitere Leben gilt, ist allerdings nicht sicher: So wie manche Kinder später laufen lernen als andere, brauchen manche auch mehr Zeit für ihre soziale Entwicklung.
kizz sprach mit Erziehungsberater Andreas Engel, Diplom-Psychologe bei der Familienberatung Hof und stellvertretender Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke)
Jedes Kind hat sein eigenes Tempo
Was können Eltern tun, damit ihr Kind Freunde findet?
Wichtig sind Kontaktmöglichkeiten zu anderen Kindern. Das kann in der Kita sein oder auf dem Spielplatz. Auch mit ihrem Verhalten prägen Eltern ihre Kinder. Es wirkt sich zum Beispiel aus, ob Mütter und Väter auf dem Spielplatz ihren Nachwuchs seine eigenen Erfahrungen machen lassen oder bei Streit immer gleich eingreifen. Das Vorbild der Eltern ist für die Kinder enorm wichtig.
Sollen Eltern eingreifen, wenn ihr Kind oft allein ist?
Man kann öfter andere Eltern mit gleichaltrigen Kindern besuchen. Oder man geht etwas häufiger auf den Spielplatz, weil man dort gerne mit anderen Müttern und Vätern redet. So fördert man indirekt auch die Kontakte des Kindes. Und man sollte herausfinden, ob das Kind aus anderen Gründen am Schürzenzipfel der Eltern hängt. Familiäre Probleme führen manchmal dazu, dass
sich Kinder nicht offen und frei fühlen, um Beziehungen zu anderen Kindern aufzunehmen.
Hilft es im Kindergartenalter, das Kind direkt auf das Thema anzusprechen?
Prinzipiell geht es darum, die Verschieden heit von Kindern und das unterschiedliche Entwicklungstempo jedes einzelnen zu akzeptieren. Es bringt nichts, dem Kind die eigenen Vorstellungen überzustülpen und zu sagen: Du solltest mehr unter Kinder gehen, andere haben schon Freunde. Sonst kommt beim Kind die verunsichernde Botschaft an: So wie du bist, gefällst du uns nicht.