Ähnlichkeiten sind nicht immer genetisch bedingtGanz der Papa!

Wenn Kinder ihren Eltern ähnlich sind haben nicht nur die Gene damit zu tun ...

Ganz der Papa
Kinder schauen sich Eigenschaften gerne bei ihren Eltern ab © iStock

Finn ist Fußballfan. Er ist sogar Mitglied seines Lieblingsvereins, des FC Bayern München. Allerdings weiß Finn davon gar nichts. Er weiß noch nicht einmal, was Fußball ist, denn Finn ist erst drei Wochen alt. Wenige Tage nach seiner Geburt hat sein Vater Stefan ihn beim FC Bayern angemeldet. Stefan war das sehr wichtig, weil auch er Mitglied des Clubs ist. Später, wenn Finn laufen kann und seinen ersten Bayern-Schal zum Geburtstag bekommen hat, werden sie zusammen ins Stadion gehen und ihren Verein anfeuern – darauf freut sich Stefan schon heute.

Keine Frage: Wir Eltern finden es toll, wenn unsere Kinder zumindest ein bisschen so werden wie wir. Wir freuen uns, wenn sie unsere Vorlieben teilen; wir sind stolz, wenn sie uns ähneln und in mancher Hinsicht in unsere Fußstapfen treten. Bereits unmittelbar nach der Geburt eines Kindes schauen Eltern ganz genau, ob sie sich wiederentdecken in ihrem Nachwuchs: Sind die Augen nicht wie bei Mama? Und schau mal die Hände – wie Papas, nur in Klein! Solche äußerlichen Ähnlichkeiten sind natürlich kein Zufall, sondern genetisch bedingt. Ein Kind trägt das Erbgut beider Eltern in sich und deshalb ist es auch wahrscheinlich, dass es in dem einen oder anderen körperlichen Merkmal seiner Mutter und seinem Vater sehr ähnelt.

Ähnlichkeit macht glücklich

Doch warum freuen wir uns darüber eigentlich so sehr? Die Antwort liefert die Evolution: Seit es Menschen gibt, haben wir das Bedürfnis, uns zu reproduzieren, also unsere Gene weiterzugeben. Dies dient dem Arterhalt. Hätten wir ihn nicht, gäbe es schon lange keine Menschen mehr. Wer nun feststellt, dass sein Kind ihm ähnelt, hat sozusagen den Beweis vor Augen, dass das Weitergeben seiner Gene gelungen ist. Mit anderen Worten: Zu sehen, dass man sich erfolgreich reproduziert hat, macht stolz und glücklich.

Ähnlichkeiten können aber nicht nur körperlich sein. Wenn Kinder älter werden, zeigen sich immer deutlicher Temperament, Charakter, besondere Fähigkeiten und Vorlieben. Wie steht es damit? Wird die Persönlichkeit genauso vererbt wie die Augenfarbe oder die Form der Hände? „Bei vielen Persönlichkeitsmerkmalen spielen auch die Gene eine Rolle“, sagt Professor Julius Kuhl, Psychologe und Persönlichkeitsforscher an der Universität Osnabrück. „Auch Intelligenz und Talente, Musikalität zum Beispiel, können zu einem gewissen Teil vererbt werden. Allerdings gibt es keine genetische Komponente, deren Umsetzung in Verhalten oder Leistung nicht letztlich auch von Umweltbedingungen abhängig ist. Nur weil Gene im Spiel sind, heißt das noch lange nicht, dass etwas unumstößlich feststeht.“ Die Tatsache beispielsweise, dass schüchterne Kinder oft auch schüchterne Eltern haben, muss also nicht genetisch bedingt sein – die Kinder könnten sich die Zurückhaltung auch bei ihren Eltern abgeschaut haben.

Psychologen nennen dieses Phänomen „Lernen am Modell“. Dabei übernehmen Kinder instinktiv das, was sie bei ihren engsten Bezugspersonen, ihren Vorbildern, immer wieder wahrnehmen: typische Gesten, Einstellungen, Gefühle, Charaktermerkmale. So kommt es, dass man manchmal Vater und Sohn schon von Weitem am identischen Gang erkennt. Auch kindliche Reaktionen bei Stress oder im Streit ähneln oft denen ihrer Eltern. Was genau sich unsere Kinder von uns abgucken und in ihr eigenes Verhaltensrepertoire übernehmen, können wir allerdings kaum beeinflussen, denn wir steuern unser Verhalten meist nicht bewusst.

Unser Vorbild wirkt

Das gilt auch für Eigenschaften, die wir an uns selbst nicht so mögen. Die einen neigen vielleicht zur Unordnung, die anderen haben Angst vor Spinnen oder brausen im Streit schnell auf – das kann man nicht einfach abstellen. Und weil diese Dinge eben auch zu uns gehören, kann es sein, dass unser Nachwuchs sie sich abguckt. An Karl Valentins scherzhafter Bemerkung „Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.“ ist also eine Menge dran. Doch wir sollten nicht zu streng sein mit uns selbst: Erstens ist niemand perfekt, zweitens gibt es nicht nur ein einziges Vorbild im Leben eines Kindes.

Wenn es so weit ist, wird Finn, der kleine Bayern-Fan, die Stadionbesuche wahrscheinlich genauso genießen wie sein Vater. Möglicherweise ist das Fußballspiel dabei gar nicht so wichtig. Die Begeisterung aber, die Vater und Sohn verbindet, und das gemeinsame Erlebnis werden Finn große Freude machen. Freilich kann sich auch herausstellen, dass Finn trotz aller Bemühungen überhaupt nichts mit Fußball anfangen kann. Die Kunst bestehe darin, dies anzuerkennen und zu akzeptieren, sagt Professor Kuhl. „Das fällt manchmal ganz schön schwer, aber man muss seinem Kind zubilligen, dass es in dem einen oder anderen Punkt eben völlig anders ist.“ Ähnlichkeiten sind etwas Wunderbares, Unterschiede genauso. Individualität nehmen wir schließlich auch für uns selbst in Anspruch. Besonders, wenn es um unsere Eltern geht: Den Satz „Du bist wie deine Mutter“ hört wohl niemand gern, mancher empfindet ihn sogar als Beleidigung. Auch wenn wir unsere Eltern lieben, ihre Kopie möchten wir nicht sein, sondern eine eigene Persönlichkeit. Deshalb sollten wir auch unseren Kindern Einzigartigkeit zugestehen.

Sehen wir die Sache also möglichst locker: Machen wir unseren Kindern Angebote, zeigen wir ihnen, was uns wichtig ist, aber erwarten wir nicht, dass sie so werden wie wir. Dabei ist manchmal Fingerspitzengefühl gefragt. Wer genau hinschaut, erkennt, wo sein Kind gerade steht, und kann seine Bedürfnisse, sein Temperament und seine Talente unterstützend begleiten. Und wenn uns unsere Kinder immer mal wieder den Spiegel vorhalten – nehmen wir es mit Humor.

kizz sprach mit Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP) in München

„Wir brauchen Unterschiede“

Werden unsere Kinder so wie wir?

Na ja, wir sehen auch ein ganzes Stück weit, was wir sehen wollen. Das zeigt folgende Geschichte: Ein früherer Kollege von mir hat drei Kinder, zwei leibliche Töchter und einen adoptierten Sohn. Der Junge hat braunes Haar und braune Augen, genau wie mein Kollege. Seine Töchter hingegen sind blond. Und so kam es immer wieder vor, dass meine Kollege „ganz der Papa“ hörte, sobald er mit seinem Adoptivsohn auftauchte.

Warum suchen wir so sehr nach Ähnlichkeiten?

Unsere Welt ist kompliziert, deshalb sehnen wir uns nach einfachen Strukturen. Wir versuchen, die Menschen, mit denen wir zu tun haben, einzuordnen. Ähnlichkeiten sind für uns ein Gerüst, an dem wir uns entlanghangeln. Weil wir uns schnell orientieren wollen, entsteht zum Beispiel der Reflex, dass wir alles, was uns fremd ist, erst einmal mit Skepsis betrachten.

Bedeutet das, dass wir unsere Kinder skeptisch sehen, wenn sie anders sind als wir?

Das ist zwar etwas drastisch formuliert, aber grundsätzlich besteht die Gefahr. Ich rate Eltern, sich auf die Stärken ihres Kindes zu konzentrieren und nicht so sehr auf das, was nicht ins Schema passt. Wir brauchen Unterschiede, denn es wäre ja furchtbar, wenn alle gleich reagierten und handelten. Meine Tochter konnte sich zum Beispiel schon als kleines Kind auf eine Bühne stellen und anderen etwas vorsingen. Mein Sohn hingegen hat mit drei Jahren gesagt: „Mama, versprich mir, dass ich das nie machen muss!“ Das habe ich ihm auch versprochen. Wer auf eine Bühne will, soll auf eine Bühne gehen, wer das nicht möchte, muss auch nicht. Wir brauchen schüchterne Kinder und draufgängerische – Temperamentsunterschiede sind eine Bereicherung für alle.

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