Marius ist vier Jahre alt, als er begreift, dass das Fleisch auf seinem Teller ein Babyschaf ist. Er weint. Seine kleine
Schwester Rosanna zuckt die Schultern. „Ist trotzdem lecker“, sagt sie. Margareta, die Älteste, erklärt: „Ja, das ist traurig. Aber es ist ein Bio-Lamm.“ Manche Kinder sind echte Pragmatiker. Andere wollen aus Mitgefühl kein Fleisch mehr essen. Tiere zu töten, irritiert sie. Tiere, das sind die Helden ihrer Bilderbücher. Einen Franz von Hahn oder ein Schwein Waldemar töten und
essen? Undenkbar. Darum haben sie viele Fragen. Als Rosanna, Marius und Margareta fünf, sieben und zwölf Jahre alt sind, wollen sie es genau wissen: Ist es okay, dass ein Tier stirbt, damit wir es essen? Wie wird es getötet?
Kinder werfen moralische Fragen auf
Familientherapeutin und Gesundheitsberaterin Edith Gätjen rät dazu, mit Kindern in einer nüchternen Sprache über das Thema zu reden: „Ich kann sagen, die Tiere werden so getötet, dass es schlimm für sie ist. Ich muss nicht erzählen, dass den Hühnern die Schnäbel abgehackt werden. Ich würde Vierjährigen auch keine Filme darüber zeigen.“ Gätjen weiß aus Gesprächen mit Familien, dass es Eltern oft schwerfällt, den richtigen Ton zu treffen. Denn manch ein leidenschaftlicher Fleischesser sehe in
seinem Kind das personifizierte schlechte Gewissen. So ging es auch dem amerikanischen Autor Jonathan Safran Foer, der in seinem Buch Tiere essen schreibt: „Kinder konfrontieren uns mit unseren Paradoxien und Heucheleien.“ Foer sieht in den kindlichen Fragen eine Chance für Eltern, das eigene Verhalten zu hinterfragen: „Mein Sohn hat mich nicht nur dazu gebracht, darüber nachzudenken, was für ein essendes Tier ich bin, sondern er hat mich durch Scham zu diesem Nachdenken gebracht.“ In Tiere essen untersucht Foer die Ursachen und Folgen moderner Massentierhaltung.
Nicht nur für sie selbst, auch für die Entwicklung der Kinder spielt es eine Rolle, wie sensibel Eltern auf das Thema
eingehen und ihr eigenes Verhalten reflektieren. „Wenn ein Kind Mitgefühl für Tiere aufbringt und die Eltern sagen: ‚Ach, das ist nicht so schlimm‘, dann wird das Kind sein Gefühl infrage stellen“, erklärt Gätjen. Reden Eltern dagegen offen auch über eigene Schwächen oder Widersprüche, helfe das den Kindern, zu mitfühlenden Menschen heranzuwachsen.
Leckeres Essen ohne Fleisch
Mutter Anna Luz de León isst gern Fleisch. Aber sie bemüht sich, ihren Konsum zu reduzieren: „Wir als Gesellschaft müssen weg von der Massentierhaltung. Es ist nicht richtig, dass wir so einen hohen Fleischverbrauch pro Kopf haben. Das Problem ist die Einstellung, dass 500 Gramm Rinderhack nur 3,49 Euro kosten dürfen.“ Die de Leóns starten ein vegetarisches Experiment: Sie wollen höchstens zweimal pro Woche Fleisch essen und komplett auf Wurst verzichten. Mutter Anna bloggt auf berlinmittemom.com über die Fortschritte des Experiments. „Das ist eine gute Idee“, lobt Gätjen. „Es geht beim Vegetarismus nicht nur darum, etwas
wegzulassen. Wichtig sind schmackhafte Alternativen. Wenn ich einen tollen Auflauf mache oder einen Getreidebratling, vermisst keiner die Wurst.“ Mit Unterstützung von Ernährungswissenschaftler Dr. Markus Keller hat Gätjen deshalb Das genial vegetarische
Familienkochbuch geschrieben: 240 Seiten Rezepte und Empfehlungen.
Bald nach Beginn des Experiments stellt Marius fest: „Ich hab ganz doll Sehnsucht nach Wurstbrot.“ Anders Schwester Margareta und Vater Markus. Sie wollen Vegetarier werden. „Insgesamt ist unser Fleischkonsum geschrumpft“, freut sich die Mutter.
Sorgen wegen eines Mangels brauchen Eltern sich laut Ernährungwissenschaftler Keller nicht zu machen, im Gegenteil: „Was die Entwicklung betrifft, stehen vegetarische Kinder ihren Altersgenossen in nichts nach. Die Versorgung mit vielen Nährstoffen ist sogar günstiger.“ Keller nennt hier Vitamin C, Beta-Carotin, Magnesium und Folsäure. Etwas kritischer sei die Versorgung mit Eisen und Zink. Die müsse durch eisen- und zinkhaltige Lebensmittel ausgeglichen werden. Kindern anstelle des Fleisches vermehrt Milch und Eier zu geben, sei jedoch nicht die richtige Empfehlung. „Wer tierische Lebensmittel ganz meidet, muss außerdem Vitamin B12 supplementieren“, sagt Keller.
In der DONALD-Studie haben Forscher der Universität Bonn Hinweise darauf gefunden, dass der Verzehr von tierischem Eiweiß einen früheren Eintritt in die Pubertät bewirkt. Um konkrete Empfehlungen daraus ableiten zu können, sind laut Ökotrophologin
Dr. Anette Buyken jedoch weitere Studien nötig. „Dennoch ist es sicher wünschenswert, öfter Hülsenfrüchte statt Milch oder Fleisch zu essen“, sagt Buyken.
kizz sprach mit Dr. Markus Keller, Ernährungswissenschaftler und Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE) in Gießen
Global gesehen haben wir keine Alternative zum Vegetarismus
Was spricht für eine Ernährung ohne Fleisch?
Ich sage mal umgekehrt: Es gibt fast keine Argumente für Fleischkonsum. Global betrachtet haben wir langfristig keine andere Wahl als eine vegetarische Ernährung. Wir haben nicht die Flächen, um Futtermittel anzubauen. Und ein großes Problem ist die Wasserknappheit: Um ein Kilo Rindfl eisch zu produzieren, brauchen wir etwa 15 000 Liter Wasser.
Wie sieht die Fleischproduktion in Deutschland aus?
Industrialisierte Landwirtschaft ist hier Standard. Das geht nicht anders, um pro Kopf 60 Kilo Fleisch im Jahr zu erzeugen. In riesigen Mastanlagen werden massiv Antibiotika eingesetzt. Das führt zu entsprechenden Umweltschäden. Ich sage: Wenn Fleisch, dann ökologisch erzeugt, und zurück zum Sonntagsbraten.
Welche Ernährung befürworten Sie für Kinder?
Eine vegetarische Ernährung mit einem kleinen Anteil an Milchprodukten. Wir wissen heute, dass das Ernährungsverhalten in der frühen Kindheit geprägt wird. Je früher man mit einer vegetarischen oder veganen Ernährung anfängt, umso günstiger ist das für das spätere Leben, was das Risiko chronischer Krankheiten betrifft.
Die meisten Ernährungsinstitute sind mit solchen Empfehlungen vorsichtig ...
Es ist ein Wandel im Gange. Vor wenigen Jahren war vegetarische Ernährung für Kinder ein No-Go. Inzwischen ist sie anerkannt, wobei die Institute hier noch vorsichtig sind. Anders in den USA: Die dortige Vereinigung der Kinderärzte sagt klar, dass eine vegetarische oder vegane Ernährung für alle Altersgruppen möglich ist.