Dass ich von nun an nicht mehr allein über meinen Körper bestimmen würde, ahnte ich schon, als mir das erste Mal von innen gegen die Rippen geboxt wurde. Aua!
Es war nur der erste Vorgeschmack auf mein neues Leben ohne Privat- und Intimsphäre. Bei mir werden seit Jahren Telefonate abgehört und E-Mails mitgelesen, meine Konsumgewohnheiten werden überwacht, mein Süßigkeitenverzehr sowieso. Allerdings sind an
dieser Spähaffäre weder Google noch die NSA schuld, sondern lediglich diese jungen Menschen, die bei mir zu Hause wohnen und deren Namen ich nicht in Zeitschriften schreibe, weil das wiederum ihre Privatsphäre verletzen würde. Mir war schnell klar, dass sie mich auf eine Art im Griff haben, wie sonst niemand auf dieser Welt. Ich erinnere mich an eine Situation kurz nach der
Geburt, als ein minikleines Wesen es lautstark ablehnte, alleine in seinem Bettchen liegen zu bleiben, während Mama sich nur eben frisch macht. Das Ende vom Lied: Ich stand unter der Dusche und hielt tapfer Blickkontakt mit dem 53 Zentimeter großen
Chefaufpasser neben mir, der gemütlich in seiner Babywippe lag und mir interessiert auf die B…, äh: Beine starrte.
Seitdem weiß ich, dass Kinder das Konzept Badezimmer grundsätzlich nicht verstehen. Warum wollen die Großen da ungestört alleine rein, was soll das? Warum so ein Aufhebens wegen dem bisschen Pipi oder Kacka? Kann man doch gemeinsam erledigen und am
besten noch zusammen das Ergebnis inspizieren, oder?
Abgesehen davon ist das Badezimmer für Kinder auch eine Art lustiger Zoo. Ein Ort, an dem man die komische Gattung „erwachsener Mensch“ neugierig unter die Lupe nehmen, auf Körperteile zeigen und sich über Haarwuchs wundern kann. Ich fühle mich dadurch schon lange nicht mehr in meiner Würde herabgesetzt Welche Würde? Als ich mich zum ersten Mal vor einem Dreijährigen für meine Tamponbenutzung rechtfertigen musste, ist sie mir wohl abhandengekommen. Oder war es damals, als irgendein quengelndes Kleinkind sich partout immer genau dann auf meinen Schoß setzen wollte, wenn ich mich gerade mal auf dem Klo niedergelassen hatte?
Bis heute muss ich nur ins Bad gehen, leise bis drei zählen, schon erschallt der Ruf durch die Wohnung: „Mama? Wo bist du?“ „Im Bad“, antworte ich. „Maaammmaaa!?“ Es hilft nichts, ich muss zurückschreien: „Leute, ich sitz auf dem Klo-ho!“ Und dann folgt mein kleiner halbherziger Wutausbruch, den die Kinder längst im Chor mitsprechen können: „Kann man nicht mal eine Minute
seine Ruhe haben?“
Ein Elterntier erträgt vieles lange und stoisch, aber irgendwann doch nicht mehr alles. Zum Glück sind die Privatsphäre-
Einstellungen von Bädern nicht ganz so kompliziert wie die von sozialen Netzwerken. Neulich habe ich den Aufstand geprobt: „So, meine Lieben, Mama geht jetzt baden – und schließt ab!“ Fassungslosigkeit, Stille. Natürlich nicht lange. Während das heiße Wasser auf mich plätscherte, hing der Jüngste rüttelnd an der Klinke. Aber das war mir egal. Mein Bauch gehört jetzt wieder mir, dachte ich trotzig. Und dann habe ich die Augen zugemacht und bin untergetaucht.