Bis vor zwei Jahren hatte Alexandra Dewan* einen verantwortungsvollen Job als Projektmanagerin in einer großen Berliner Gesundheitseinrichtung. Sie betreute wissenschaftliche Publikationen und koordinierte internationale Projekte. Heute trägt die 42-Jährige Blutdruckwerte von Patienten in eine Datenbank ein. Wie kommt es, dass eine Frau mit langjähriger Berufserfahrung,
akademisch gebildet und zweisprachig aufgewachsen, in einem Job landet, der weit unter ihrer Qualifikation liegt? Ganz einfach: Dewan hat ein Kind bekommen – und wollte nach der Babypause zwar wieder zurück in ihren geliebten Job, aber nicht mehr in Vollzeit. Dafür hatte ihre Chefin kein Verständnis. Wer soll die ganze Arbeit machen? Was, wenn das Kind krank wird? Sie stellte jemand Neues ein – und Dewan aufs Abstellgleis.
Karriereknick trifft Frauen
So wie Alexandra Dewan geht es vielen Frauen, die nach der Geburt ihres Kindes weniger arbeiten wollen: Kind da, Job weg. Gerade für diejenigen, die auf dem Weg nach oben sind oder bereits verantwortliche Positionen haben, ist die Rückkehr in den Beruf oft eine Enttäuschung. „Wir sind weit entfernt von einer Arbeitskultur, die honoriert, dass man sich Zeit für die Familie nehmen will“, sagt die Karriereberaterin Jutta Schwarz, die in Hamburg berufstätige Mütter coacht. Viele Frauen versuchten in den alten Job zurückzukehren und seien total frustriert, weil die Unternehmen sie so schlecht unterstützen. „Frauen müssen Strategien entwickeln und dafür kämpfen, interessante Aufgaben zu bekommen, auch wenn sie von einer Vollzeitstelle auf 20 Stunden reduzieren“, sagt Schwarz. „Ich empfehle meinen Klientinnen, ihren Vorgesetzen bereits vor der Babypause ganz konkrete
Vorschläge zu machen, wie man das organisieren kann.“
Europäische Vorbilder
Leider sind heute nur wenige Unternehmen in Deutschland bereit, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten. Etwa Jobsharing, Homeoffice oder Wertguthaben (Arbeitnehmer sparen Zeit oder Entgelt an und finanzieren damit berufliche Auszeiten). Anderswo ist man schon weiter: In den Niederlanden darf seit Kurzem jeder, der will, zu Hause arbeiten. In Schweden gibt es keine Team-Besprechung nach 16:30 Uhr, weil es üblich ist, dass Väter und Mütter dann ihre Kinder vom Kindergarten abholen. Und wer Freitagabend Überstunden schrubbt, gilt als uncool.
Hierzulande hingegen sind es immer noch mehrheitlich die Frauen, die berufl ich zurückstecken, wenn die Kinder kommen. Lediglich bei einem Viertel aller Eltern haben beide Partner in etwa die gleiche Arbeitszeit, wie eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) herausfand. Aber Teilzeitjobs haben ihre Tücken. Viele sind in Branchen mit schlechtem Verdienst angesiedelt, etwa in Pflege berufen, im Einzelhandel oder im Gastgewerbe, oft genug sind es Minijobs mit nicht mehr als 450 Euro Einkommen im Monat.
Teilzeit als Armutsrisiko
Wer seine Arbeitszeit reduziert, verzichtet nicht nur auf Einkommen und Karriere, sondern auch auf Altersbe züge. Frauen erhalten in Deutschland nur die Hälfte der durchschnittlichen Rente von Männern. In kaum einem anderen Mitgliedsland ist das Rentengefälle zwischen den Geschlechtern größer, kritisiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD). Dazu kommt der Klebeeffekt: „Wer nur 50 Prozent arbeitet, hat es unheimlich schwer, da wieder rauszukommen“, sagt Nicole Beste-Fopma, Chefredakteurin von LOB, einer Online- Zeitschrift für berufstätige Mütter und Väter. Wer den Karriereknick nach der Babypause umschiffen will, sollte nicht zu lange warten und während der Abwesenheit Kontakt zum Arbeitgeber halten, rät sie (siehe Interview).
Macht der Traditionen
Auch wenn der Ausbau von Kindertagesstätten insbesondere in den ländlichen Regionen nur schleppend vorangeht, spielt laut IAB-Studie mangelnde Kinderbetreuung bei der Frage, ob sich Frauen für Teil- oder Vollzeitjob entscheiden, inzwischen nur eine untergeordnete Rolle. Das hat auch Beraterin Jutta Schwarz beobachtet. „Natürlich muss man pragmatische Lösungen finden“, sagt sie. Wenn beide Eltern arbeiten, ist man auf Unterstützung angewiesen. Hilfreich sind auch ein solides Netzwerk aus Müttern und Vätern oder Verwandten, bei denen man das Kind unterbringen kann, und ein verlässlicher Babysitter. Schwerer wiege, dass viele Mütter immer noch Zweifel und Schuldgefühle haben, wenn sie arbeiten gehen. „Wir vergessen oft, wie stark hierzulande die Traditionen wirken“, sagt Schwarz. Das Verständnis der Mutterrolle sei immer noch sehr konservativ, insbesondere in den alten
Bundesländern. „In Städten wie München oder Hamburg wird man oft noch schräg angeguckt, wenn man sein Kind mit einem Jahr in die Kita gibt.“
Dazu kommt ein Steuer- und Sozialsystem, das traditionelle Arbeitsmuster verschärft und nicht abmildert. Ehegattensplitting
und Betreuungsgeld sorgen zwar für mehr Geld in der Haushaltskasse, halten aber Frauen von der Erwerbstätigkeit ab. „Viele Frauen sagen, es lohnt sich für mich nicht, arbeiten zu gehen, weil die Kinderbetreuung so viel Geld kostet, dass für mich nur noch ein Taschengeld übrig bleibt“, erzählt Schwarz. Aber warum die Kosten für Kita und Babysitter nur vom Einkommen der Frauen abziehen? Väter profitieren von der Kinderbetreuung doch genauso, also sollte in dieser Rechnung vom Gesamteinkommen der Familie ausgegangen werden.
Notwendige Pionierarbeit
„Wir dürfen beim Thema Vereinbarkeit nicht vergessen, dass wir alle Pioniere sind – auch die Väter. Vor ein paar Jahrzehnten
hatten wir noch die klassische Rollenverteilung, und auch die Erziehung mit ihren autoritären Strukturen lief anders“, sagt die Beraterin. Bis sich das ändert, müssen Frauen (und Männer) weiter unbequem bleiben, auf ihre Rechte pochen und lautstark Forderungen stellen. Das bedeutet auch, Konfrontationen und Konflikte auszuhalten – was wiederum Frauen oft schwerfällt.
Alexandra Dewan verhandelt gerade zum x-ten Mal mit ihrer Chefin – bis jetzt noch ohne Ergebnis, sagt sie. Am Telefon klingt sie müde. Sie hat ein Angebot von einer internationalen Firma bekommen. Dort hätte man keine Bedenken, ihr als Mutter Verantwortung zu übertragen. Sie überlegt noch, ob sie annehmen soll.
„Die Deutschen verändern sich sehr langsam“, sagt Karrierecoach Jutta Schwarz. „Aber wenn sie es machen, machen sie es gründlich. Das gibt mir Hoffnung. Auf Dauer gibt es keinen Weg zurück.“
kizz Info
Zahlen und Fakten
Die Teilzeitquote von Frauen hat sich seit der Wiedervereinigung verdoppelt. Letztes Jahr betrug ihr Anteil 58 Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil von teilzeitbeschäftigten Männern lag bei 20 Prozent. Bei Frauen entscheidet insbesondere die familiäre Situation, ob und in welchem Umfang sie beschäftigt sind. Dagegen beeinflusst die Familiengründung das Erwerbsverhalten von Männern kaum.
kizz sprach mit Nicole Beste-Fopma, Chefredakeurin und Herausgeberin von LOB – Die Zeitschrift für berufstätige Mütter und Väter
„Die 32-Stunden-Woche ist optimal“
Viele berufstätige Eltern wollen mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Aber die Arbeitszeit zu reduzieren, führt oft in
eine Sackgasse. Es kommt darauf an, wie stark man seine Arbeitszeit reduziert. Eine 50-Prozent-Stelle ist in der Tat nicht so günstig. Aber mit einer 30- oder 32-Stunden-Woche kann man Job und Kinder ganz gut stemmen. Optimal ist es, wenn beide Eltern in reduzierter Vollzeit arbeiten.
Das ist leider die Ausnahme. Deutschland gilt als Land, in dem Karriere erst nach 18 Uhr gemacht wird. Wir müssen endlich weg von diesem Anwesenheitsmythos. Viele Chefs meinen, wenn jemand nicht permanent am Schreibtisch sitzt, macht er keinen guten
Job. Leistung sollte nicht an der am Arbeitsplatz verbrachten Zeit gemessen werden, sondern am Ergebnis.
Wie sieht eine familienfreundliche Personalpolitik aus? Lebensphasenorientiert und flexibel. Mitarbeiter sollten die Möglichkeit haben, zwischen Teil- und Vollzeit zu wechseln, etwa dann, wenn die Kinder klein sind oder wenn Pflegefälle zu versorgen sind. Das heißt, dass ich mal für eine Zeit lang Stunden reduzieren kann, aber dann wieder aufstocke.