Herrlicher Nachmittag, wir sitzen vor einer beliebten Eisdiele. Mein Sohn und sein Freund fachsimpeln über ihre Eissorten. Heute ist die Wahl auf Mango und Lakritz gefallen, beides nicht schlecht. Aber beim nächsten Mal wollen sie „Schlumpf“ testen. Und dann noch Erdbeere, Schokolade, Walnuss, Zitrone … Hier schaltet sich ein anderer kleiner Eisesser ein, deutlich jünger, vermutlich noch keine vier. Er ist sichtlich aufgewühlt. „Aber so viel Eis darf man gar nicht essen! Da ist doch ganz viel Fett und Zucker drin!“ Kurzes, irritiertes Innehalten der beiden Vorschuljungs, dann verständnisloses Schulterzucken. Was ist denn das für ein komischer Einwand?
Wessen Weisheit es wohl war, die da aus dem Kindermund sprach? Manchen kindlichen Formulierungen merkt man sofort an, dass sie von einem Erwachsenen stammen: „Das ist schlecht für die Zähne.“ oder „Man soll nichts vom Boden aufheben, da sind Bakterien dran.“ Wie oft muss man solche Sätze einem kleinen Kind vorbeten, bevor es die – aus seiner Sicht – unverständlichen
Worthülsen wiederholt? Und wie lange dauert es, bis sie von außen nach innen sickern? Bis daraus Handlungsmaximen werden, die auch dann noch wirken, wenn kein Erwachsener in Sicht ist?
Eltern wiederholen sich. Manchmal minütlich. Dabei hat man doch genau das gehasst bei den eigenen Eltern, dieses Hängende-Schallplatte-Syndrom. Jetzt leiern wir die immer gleichen Sätze runter. Hände waschen, nicht mit dem Essen spielen, nicht auf die Kreuzung rennen. Der Satz, den meine Kinder in ihren ersten Lebensjahren ungefähr drei Millionen Mal gehört haben, lautet:
Nicht schubsen, sondern ei machen. Wahlweise auch: Nicht hauen, sondern ei machen. Nicht kratzen / beißen / in die Augen pieken / an den Haaren ziehen. Sondern ei machen!
Was für ein bescheuerter Satz. Aber ich hatte leider keinen besseren parat. Kinder sind, das wissen wir alle, nicht zimperlich: Da hat einer meinen Roller angefasst? Gut, dann schubs ich ihn halt weg. Da drängelt einer auf der Rutsche hinter mir? Dann lasse ich mir demonstrativ alle Zeit der Welt, bis ich runterrutsche. Und wenn er mich haut, weil ich ihn zur Weißglut gebracht habe, kann ich ihm immer noch die Fingernägel ins Gesicht rammen. Und dabei lautstark beteuern: „Er hat angefangen!“
Eltern ist das alles meistens total peinlich. Sie würden so gerne mit ihren wohlerzogenen Kindern prahlen. Ihren Engelchen. Die freiwillig teilen und immer geduldig und vernünftig sind. Mini- Dalai-Lamas, die lächelnd bei all ihren Mitmenschen ei machen, vorher aber unaufgefordert ihre Hände gewaschen und ihre klebrigen Münder abgewischt haben.
Jetzt aber bitte mal kurz der Gegencheck: Man stelle sich solche Traumkinder vor. Gruselig! Wir würden sie erst sorgenvoll beäugen und dann zum Psychologen schleppen. Die wenigsten Kleinkinder haben den Ehrgeiz, Vorzeigepüppchen ihrer Eltern zu sein.
Egal, was wir sagen: Sie würden ihren Besitz immer mit allen Mitteln verteidigen. Außerdem würden sie immer lieber fünf Kugeln Eis bestellen statt einer. Hand aufs Herz: So ist es halt. Und so muss es auch sein.