Aufgeregt rennt David seiner Mutter entgegen. „Ich bin jetzt ein Schuki!“, ruft der bald Sechsjährige. Schukis, Schulkinder, werden in der nordrhein-westfälischen Kita Pusteblume die Kinder im letzten Kindergartenjahr genannt. Auch wenn sie noch nicht ganz zutrifft, macht die Bezeichnung deutlich, dass es sich um eine besondere Phase handelt. Wie genau diese aussieht und wie Kita, Eltern und LehrerInnen den Übergang in den neuen Lebensabschnitt Schule gemeinsam gestalten, erfährt Davids Mutter von seiner Erzieherin.
Das letzte Kindergartenjahr
In den meisten Kitas treffen sich die Vorschulkinder einmal wöchentlich in einer extra Gruppe. Was in dieser Gruppe auf dem Programm steht, variiert von Einrichtung zu Einrichtung. In der Regel finden gemeinsame Unternehmungen wie zum Beispiel Ausflüge in die Natur, Besuche von Museen, der örtlichen Bücherei oder der Feuerwehr statt. Außerdem wird im Rahmen dieser Gruppe der Kontakt zur Grundschule gesucht. Manchmal kommen Kooperationslehrer regelmäßig in den Kindergarten und besuchen die Vorschulgruppe. Fast immer findet ein Besuch der Grundschule statt, bei dem die Kinder das Gebäude, die Klassenräume, Schulkinder und Lehrer kennenlernen können.
Viele gemeinsame Aktivitäten haben das Ziel, die Selbstständigkeit der Kinder zu fördern und ihre sozialen Kompetenzen zu stärken. Auf vielfältige Weise setzen die zukünftigen Schulkinder sich so mit dem Übergang in die Schule und ihrer neuen Rolle auseinander. Sie teilen ihre Vorfreude, dürfen aber auch Unsicherheiten und Ängste verbalisieren und sich Schritt für Schritt auf den Abschied von der Kindergartenzeit vorbereiten. Wichtig für die Gestaltung dieses Übergangs ist die Kooperation von Kita, Elternhaus und Schule. Wenn diese eng zusammenarbeiten, können Kinder – und auch Eltern – die Anpassungsleistung, die mit dem Schuleintritt verbunden ist, am besten bewältigen.
Viele Eltern beschäftigt im letzten Kindergartenjahr die Frage, was von ihrem Kind in der Schule erwartet wird und ob es diesen Erwartungen gewachsen sein wird. Im Gegensatz zu früher geht man heute nicht mehr von einem festgelegten Kompetenzkatalog aus, den alle Kinder erfüllen müssen.
Sozialkompetenz stärken
Viele Voraussetzungen für das Lernen in der Schule haben Kinder im Kindergarten erworben – Auskunft darüber kann die ErzieherIn geben. Eine wichtige Rolle beim Übergang in die Schule spielen die sozialen Fähigkeiten des Kindes: Wie verhält sich ein Kind in einer Lerngruppe? Kann es Kontakte zu anderen Kindern aufbauen? Ist es in der Lage, seine Bedürfnisse zu erkennen und zu formulieren? Wie verhält es sich bei Konflikten? Elternhaus und Kindergarten können Vorschulkinder besonders in diesen Kompetenzen unterstützen. Zudem ist es wichtig, dass Vorschulkinder Problemlösekompetenzen besitzen und ein Interesse an Zahlen und Mengen sowie an Buchstaben entwickeln. Dass die Vorkenntnisse von Kindern hier sehr variieren, sollte Eltern nach Ansicht
des Schulpsychologen Bernd Deseniß nicht beunruhigen: „Die Entwicklung von Kindern verläuft nicht linear und nicht bei allen Kinder gleich“, betont der Mitarbeiter der Niedersächsischen Landesschulbehörde. „In der ersten Klasse der Grundschule werden allen Kindern individuelle Möglichkeiten der Förderung angeboten.“ Von institutioneller Seite finden vor dem Eintritt in die Schule zwei Untersuchungen statt: Eine ärztliche Untersuchung durch das Gesundheitsamt und ein Termin bei der Anmeldung in der Schule im Frühjahr vor der Einschulung, bei dem in der Regel eine Lehrkraft und eventuell auch die Schulleitung ein intensives Gespräch mit dem Kind und den Eltern führen.
Auch Eltern werden eingeschult
Auch für Eltern ist die Zeit vor der Einschulung ihres Kindes aufregend. Nach vielen Jahren treten Väter und Mütter erstmals wieder in Kontakt mit der Institution Schule, was Erinnerungen an die eigene Schulzeit weckt – und oft auch Unsicherheiten auslöst (siehe Kasten).
Eltern sollten sich bewusst machen, dass sie beim Übergang ihres Kindes eine wichtige Rolle spielen: Sie unterstützen ihr Kind, wenn sie die Vorfreude, den Stolz und die Neugier mit ihm teilen, aber auch Ängste des Kindes ernst nehmen und mit ihm
darüber sprechen. Schön ist es, wenn Eltern mit ihrem Kind gemeinsam die zukünftige Schule kennenlernen und es beim Aufbau neuer Beziehungen – zur neuen Lehrkraft und zu den zukünftigen Mitschülerinnen und Mitschülern – unterstützen.
Zum Schulkind werden Kinder nicht von heute auf morgen. Der Weg dahin gelingt am besten, wenn Kindergarten, Schule und Elternhaus die Herausforderung gemeinsam annehmen und Schritt für Schritt daran wachsen.
kizz Info
Herausforderungen
... für die Kinder
- Die eigene Identität verändern („Ich bin jetzt ein Schulkind“)
- Neue Rollenanforderungen als Schulkind meistern
- Starke Emotionen bewältigen (Freude, Stolz, Stress, Angst)
- Sich auf veränderte Anforderungen und Lerninhalte einstellen
- Sich von der Kita, den Kindern und ErzieherInnen verabschieden
- Neue Kontakte aufbauen, zum Beispiel zur LehrerIn und zu den Mitschülern
- Ein neues Umfeld (Räume, Wege …) kennenlernen
- Sich in schwierigen Situationen aktiv Hilfe suchen und diese annehmen
... für die Eltern
- Die eigene Identität verändern („Ich bin jetzt Mutter eines Schulkindes“)
- Neue Rollenanforderungen meistern, zum Beispiel Hausaufgabenbetreuung
- Starke Emotionen bewältigen (Stolz, Freude, Stress, Angst)
- Verlust von Kontrolle über das Kind bewältigen
- Sich von der Kita und den ErzieherInnen verabschieden
- Vertrauen zur Lehrkraft aufbauen
- Beziehungen zu anderen Schuleltern aufbauen
- Sich auf einen neuen Tages-, Wochenund Jahresablauf einstellen
- Eventuell neue Betreuung für das Kind organisieren (nachmittags, in den Ferien)
- Sich in die Elterngruppe der Schulklasse und der Schule einbringen
- Sich als Teil der Gemeinschaft der Schulkind-Eltern fühlen („Wir-Gefühl“)