Die meisten tun es zu Hause im Bett oder auf dem Sofa. In der Städtischen Kita Landwasser in Freiburg dagegen gehört Lesen auch an ungewöhnlichen Orten zum Programm. „Wir bieten überall Bücher an, damit die Kinder sie schon früh als selbstverständlich wahrnehmen“, sagt Erzieherin Christa Iuga. Ein Korb mit Büchern kommt immer mit in den Garten. Die Kita hat einen hohen Migrantenanteil und jedes Kind einen anderen Sprachstand. Daher funktioniere die klassische Vorlesesituation mit zwanzig Kindern, die vor einer Fachkraft sitzen, nicht. Stattdessen setzt das Team auf kleinere Lesegruppen und das Interesse
der Kinder. Die treten häufig von sich aus mit einem Buch an die Erzieher heran. „Die Kinder suchen über die Bücher den sprachlichen Kontakt mit der Erzieherin und lassen sich dann von ihr die Welt erklären“, sagt Iuga. Das darf auch schon einmal auf der Plattform eines Klettergerüsts oder im Gebüsch sein.
Die Welt erklären: Das können Bücher, und sie bieten noch viel mehr. Das Betrachten von Bilderbüchern regt Kreativität und Fantasie an, schult die Wahrnehmung und schafft damit die Grundlage für Medienkompetenz. Denn wer schon früh geübt darin ist, Bilder zu entschlüsseln, kommt mit der Bilderflut aus TV und Internet später besser zurecht. Vorlesen ist darüber hinaus äußerst wichtig für die Entwicklung der Sprache – und der Persönlichkeit. „Eltern, die vorlesen, fördern nachhaltig kognitive, emotionale und soziale Kompetenzen. Außerdem bereichert und entlastet das Vorlesen den familiären Alltag und stärkt die Bindung zwischen Eltern und Kindern“, sagt Dr. Simone Ehmig von der Stiftung Lesen. Dadurch werde auch die Freude am späteren eigenen Lesen befördert. Doch in 31 Prozent der Familien mit Kindern im Vorlesealter wird selten oder gar nicht vorgelesen. Dies ergab eine Studie der Stiftung, die mit Programmen wie Lesestart - Drei Meilensteine für das Lesen und zahlreichen Aktionen wie dem
Bundesweiten Vorlesetag auf die Bedeutung des Vorlesens hinweist. „Kindern, denen Eltern nur selten oder gar nicht vorlesen, fehlen wichtige Impulse für eine gute ganzheitliche Entwicklung“, sagt Ehmig. Dies wirke sich auch auf den Erfolg im Berufsleben und die gesellschaftliche Teilhabe aus.
Kinder lieben Bücher
Dabei müssen Kinder im Kita-Alter noch gar nicht zum Lesen animiert werden, sie sind ohnehin fasziniert von Büchern und Geschichten. „Sobald ein Erwachsener sich mit einem Buch hinsetzt, kommen die Kinder an – egal, in welcher Sprache vorgelesen wird“, berichtet Erzieherin Iuga. Dieses Grundinteresse können Eltern bereits bei der Auswahl der Bücher unterstützen, indem sie etwa auf die Vorlieben ihres Kindes achten und weniger auf ihre eigenen Maßstäbe.
„Das gute Buch gibt es nicht“, behauptet Claus-Peter Jepsen. Der Inhaber der Kinder- und Jugendbuchhandlung Fundevogel in Freiburg fragt genau nach, wenn Eltern ihn um eine Empfehlung bitten: Wie alt ist das Kind? Was sind seine Interessen? Was liest es noch? „Für uns steht der Wunsch der Kinder im Vordergrund, wir sind keine Zensoren“, sagt der Medienpädagoge, der sich
schon während seines Studiums auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisierte. Während die Kinderbuchabteilungen der großen Buchhandelsketten langsam zu Spielwarengeschäften mutieren, bietet er in seinem Laden ein breites Sortiment an Büchern in kleinen Mengen an, um die individuellen Bedürfnisse der jungen Leser zu berücksichtigen. Ein Buch müsse der jeweiligen Situation eines Kindes und seiner Entwicklung entsprechen und nicht dem Geschmack der Eltern. „Kinder sind sowieso viel kritischer als Erwachsene“, meint Jepsen.
Lesen und reden
Schon Bilderbücher greifen die unterschiedlichen Interessen von Kindern auf. Zeigen Stoff- und Pappbilderbücher für die Kleinsten noch Alltagsgegenstände, so zeichnen sich die erzählenden Bilderbücher für die Älteren zunehmend durch komplexe Geschichten und eine große Themenvielfalt aus: Bücher etwa über Geschwister, Tod, Freundschaft, Scheidung oder Schüchternheit
können die Kinder in ihrer aktuellen Lebenssituation abholen. Sie bieten ihnen die Möglichkeit, sich mit den Figuren zu identifizieren, und erlauben den vorlesenden Eltern zu erfahren, was sie gerade beschäftigt. „Im Idealfall wird das Vorlesen zum unverzichtbaren täglichen Ritual, auf das sich Kinder und Eltern gleichermaßen freuen. Es schafft Gesprächsanlässe zu alltäglichen, aber auch grundlegenden Themen, involviert Eltern und Kinder in einen kontinuierlichen Austausch und bietet Raum für Themen, die sonst im Alltag keinen Platz finden oder schwer an- und auszusprechen sind. Somit lernen Kinder von klein auf, mit ihren Eltern ihre Probleme, Sorgen und Konflikte über die Geschichten zu verarbeiten“, erklärt Simone Ehmig.
Kleiner Aufwand, große Wirkung also. Neben all den positiven Aspekten des (Vor)Lesens sollte einer nicht vergessen werden: Bücher eröffnen Welten. Je früher Kinder dies dank ihrer Eltern erleben dürfen, umso bereicherter werden sie – zu Lesern – heranwachsen.
kizz Info
Orientierungshilfe für den Bilderbuchkauf
- Der Inhalt sollte dem Alter und den Interessen des Kindes entsprechen.
- Für Kinder bis circa 2 Jahre eignen sich robuste Pappbilderbücher mit schlichten Darstellungen.
- Danach sind Bücher mit kleinen Geschichten möglich, die mit zunehmendem Alter der Kinder komplexer werden können (Themenbilderbücher).
- Die Kinder sollten sich mit den Hauptfiguren identifizieren können.
- Die Illustrationen sollten ansprechend sein und zum genauen Hinsehen auffordern; manche Kinder mögen durchaus Bilder, die Erwachsenen zu abstrakt erscheinen.
- Schön ist es, wenn Kinder unterschiedliche Illustrationsstile kennenlernen dürfen.
- Die Texte sollten kindgerecht sein und den Inhalt der Bilder aufgreifen. Wiederholungen und Reime laden besonders zum Nachsprechen ein.
- Rollenklischees (Vater arbeitet, Mutter kümmert sich um den Haushalt) möglichst vermeiden oder ausreichend Bücher mit Gegenmodellen anbieten.