Eltern-Kind-BeziehungDie Kraft des Kuschelns

Wenn Haut sanft auf Haut trifft, entsteht etwas Magisches. Die Berührung erzeugt Gefühle von Nähe, Vertrauen und Sicherheit. Vor allem zwischen Eltern und Kindern

Die Kraft des Kuschelns
Die familiäre Nähe stärkt das Urvertrauen und wirkt beruhigend © Erin Lester - gettyimages

Eltern denken gar nicht darüber nach, sondern tun es instinktiv: Von Anfang an suchen wir engen Körperkontakt zu unserem Kind. Den Säugling tragen wir an uns geschmiegt, wir streicheln ihn beim Wickeln und wiegen ihn, um ihm beim Einschlafen zu helfen. Später halten wir beim Spazierengehen die Hand unseres Kindes, umarmen es zur Begrüßung, massieren ihm den Rücken oder toben miteinander. Ganz egal in welchem Alter, eine liebevolle Berührung ist etwas Wunderbares, das Kuscheln innerhalb der Familie ist durch nichts zu ersetzen.

Das sieht auch die Wissenschaft so. „Die Biologie hat schon mehrfach bewiesen: Eine gesunde Entwicklung des Menschen ist ohne Körperkontakt nicht vorstellbar“, sagt der Psychologe Martin Grunwald, der als Leiter des Haptik-Forschungslabors an der Universität Leipzig den Tastsinn erforscht. „Alle Säuger, also auch wir Menschen, sind auf regelmäßigen und liebevollen physischen Kontakt zu ihren Artgenossen angewiesen. Das ist ein Naturgesetz, anders geht es gar nicht.“ Streicheleinheiten sind genauso wichtig wie Nahrung. Beides brauchen wir in ausreichender Menge, um uns gesund zu entwickeln. Das Kuscheln ist demnach gar kein Luxus. Es ist viel mehr als eine Extraportion Glück, nämlich ein Grundbedürfnis, oder, wie Grunwald es ausdrückt, ein „Lebensmittel“.

Doch wie wirkt dieses „Lebensmittel“ eigentlich? Was passiert beim Kuscheln mit dem Körper? Martin Grunwald erklärt: „Eine als angenehm empfundene Berührung führt zur Ausschüttung des Hormons Oxytocin, das wiederum eine Kaskade biochemischer Prozesse auslöst: Der Blutdruck und die Pulsfrequenz sinken, die Muskeln entspannen sich, der Anteil des Stresshormons Cortisol im Blut nimmt ab.“ Dieses körpereigene Entspannungsprogramm sorgt für eine enge Bindung zwischen Kind und Eltern. Lange bevor ein Kind sprechen kann oder Gesten versteht, lernt es durch die physische Nähe zu seinen Eltern, dass es bei ihnen willkommen und gut aufgehoben ist. Die Botschaft der Berührungen lautet: „Alles ist in Ordnung, hab keine Angst, es kümmert sich jemand um dich.“ Aus diesem Gefühl der Geborgenheit entsteht das so genannte Urvertrauen, das ein Leben lang wichtig ist, da es uns ermöglicht, gute Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen.

Berührungen sind die früheste Form der Kommunikation zwischen Eltern und Kind, denn der Tastsinn ist der erste Sinn, den ein Mensch entwickelt. Bereits im Alter von acht Wochen spürt ein Embryo Berührungen am Bauch seiner Mutter. Das Streicheln über den Bauch der Schwangeren ist also mehr als ein schönes Ritual der Vorfreude – es tut nicht nur der Mutter gut, sondern auch ihrem ungeborenen Kind.

Nähe ist wie Medizin

Abgesehen davon, dass Körperkontakt ein Grundbedürfnis ist, hat er auch heilende Wirkung. Das kann man auf Spielplätzen beobachten. Hat ein Kind einen kleinen Unfall, fällt es beispielsweise hin, dann läuft es mit zitternder Unterlippe in die Arme seiner Bezugsperson, holt sich eine Portion Kuscheln ab, und die Welt ist wieder in Ordnung. „Die kurze körperliche Interaktion reicht aus, um das Kind zu beruhigen“, sagt Grunwald. Das gilt für alle Situationen, in denen ein Kind Trost oder Schutz sucht. Ob bei Angst, Wut, Krankheit oder Trauer: Körperliche Nähe wirkt häufi g besser als viele gut gemeinte Worte.

Wenn Kuscheln so etwas Positives ist, dürfte es eigentlich kein Zuviel davon geben. Oder doch? Welche Kuscheldosis brauchen Kinder? „Das richtige Maß ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich und hängt vor allem vom Alter und vom Temperament ab“, erklärt Eva Möhler, Chefärztin an der Sonnenberg-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Saarbrücken. „Ältere und lebhaftere Kinder haben oft ein geringeres Bedürfnis nach Nähe als jüngere Kinder und solche mit vorsichtig abwartendem Temperament.“ Zu viel könne es ab dem zweiten Lebenshalbjahr werden, wenn der Körperkontakt einseitig vom Erwachsenen ausgehe, ohne dass das Kind den Wunsch nach Nähe signalisiere. So sei es beispielsweise ungünstig, ein Kind, das fröhlich krabbelnd seine Umgebung erkundet, auf seinen Schoß zu ziehen, weil dies das natürliche Streben des Kindes nach Selbstständigkeit unterlaufe. „Nicht das Kind soll das elterliche Bedürfnis nach Nähe erfüllen, sondern umgekehrt“, sagt Eva Möhler. Eltern, die den Kuschelwunsch ihres Kindes erfüllen, machen also alles richtig. Dann gibt es tatsächlich kein Zuviel. Wie schön!

kizz Info

Kleiner Kuschel-Knigge

  • Verwöhnen gibt es nicht: Ein Kind, das kuscheln möchte, darf auch kuscheln.
  • Nähe darf nicht erzwungen werden: Wenn ein Kind nicht kuscheln will, sollten die Eltern das respektieren.
  • Manchmal reichen auch Kuscheltiere: Im Kindergarten oder bei der ersten Übernachtung außer Haus repräsentieren sie ein Stück Heimat und geben dem Kind Sicherheit.
  • Spielerisches Rangeln und Raufen ist auch eine positive Form des Körperkontakts, zum Beispiel mit älteren Kindern.
  • „Kuschel-Kultur“ ist sehr individuell. Jede Familie fi ndet selbst heraus, welche Formen des körperlichen Kontakts zu ihr passen.

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