Kinder und die KunstTausenundeine Blümchenwiese

Kinder produzieren gerne in Serie: Bilder, Kerzenständer, Stifthalter. Die Eltern freuen sich über die überbordende Kreativität. Jedenfalls meistens, meint Kolumnistin Astrid Herbold

Tausendundeine Blümchenwiese
Ist das Kunst oder kann das weg? © Daniela Kohl

Heute Nacht war ich wieder heimlich unten an den Müll tonnen. Schrumpelige Kastanienketten, zerknickte Papierhüte und mit Wolle umwickelte Klorollen mussten dran glauben. Seit Monaten fliegen die Dinger in der Wohnung herum, wandern von einer Ecke in die andere. Jetzt habe ich ihnen den Gnadenstoß gegeben: Mülltonnendeckel auf, zu, fertig!

Meine Kinder basteln, als kriegten sie es bezahlt. Und ich unterstütze das natürlich: Seid kreativ! Tobt euch aus mit euren Scheren und Pinselchen! Das schult die Feinmotorik und fördert die Fantasie. Was soll’s, wenn dabei die Knete im Teppich landet oder die Puppengesichter mit Kugelschreiber verziert werden? Das stört mich nicht. Auch über die täglichen unförmigen Mitbringsel aus dem Kindergarten freue ich mich immer wieder wahnsinnig: „Das sieht ja toll aus! – Hast du das ganz alleine gemacht?“

Dank so viel elterlicher Bestätigung haben meine Kinder große Künstler-Egos entwickelt. Ich werde überschüttet mit impressionistischen Farbstudien, mit expressionistischen Porträts, mit kubistischen Collagen. „Was soll denn das sein?“, frage ich manchmal vorsichtig nach. Wie dumm von mir! Denn erstens ist es immer irgendwas, im Zweifelsfall ein Aufbewahrungs-, ein Kerzen- oder ein Stifthalter-Dings. Zweitens muss Kunst gar nichts Konkretes darstellen. Kinder denken da sehr modern.

Das wiederum macht Hoffnung. Vielleicht deutet das ganze Kleben und Kleckern ja doch auf ein Jahrhunderttalent hin … Trotzdem, allein auf Verdacht kann ich aus der Wohnung kein Museum für Frühwerke machen. Außerdem mag ich es, hier und da auch mal auf eine weiße Wand zu gucken. Die Kinder sehen das anders. Platz sei doch genug da: „Häng es doch hier auf!“ Dabei halten sie auffordernd ihre neuesten Skizzen hoch und zeigen auf Küchenfronten, Schlafzimmerwände und Badezimmertüren.

An diesem Punkt gerate ich argumentativ regelmäßig in Schlingern. Habe ich das Bild nicht gerade noch über den grünen Klee gelobt? Wie erkläre ich dann jetzt am diplomatischsten, dass nicht jede Landschaftsansicht mit standardisierter Viertel-Sonne, Kringelblume und Spitzdachhaus gerahmt an der Wand hängen muss? Es bleibt bei mütterlichen Ausfl üchten. „Ich hab grad kein Tesafilm, aber morgen häng ich’s bestimmt auf.“ Die Wahrheit wäre zu brutal. Sie lautet: Wir können nicht alles aufhängen. Wir können nicht mal alles aufheben. Sonst müssen wir bald ein Lager anmieten. Oder uns von den Möbeln trennen.

Weil das keine Option ist, trage ich die Kreativ-Berge in den Kinderzimmern langsam von unten ab. Zentimeter um Zentimeter, für das bloße Auge kaum wahrnehmbar. Das klappt oft, aber nicht immer. Kinder haben Elefantengedächtnisse. Selbst nach Jahren muss man noch mit penetranten Nachfragen rechnen: „Mama, wo sind eigentlich meine Kastanienketten?“ Da heißt es cool bleiben, Stimme unter Kontrolle halten, nicht rumstottern. „Die habe ich in den Keller geräumt.“ „Wirklich?“, fragt das Kind skeptisch. „Aber natürlich, ich werfe doch nichts weg!“, beteuere ich – und kreuze hinter dem Rücken die Finger.

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