Mamaaaa! Du hast meinen Mähdrescher weggeworfen!“, schreit Philipp. Sein Kinn zittert, mit beiden Händen hält er einen zerfledderten, staubigen Eierkarton umklammert, aus dem ein paar angekaute Strohhalme ragen. Sofort beteuere ich meine Unschuld und fühle mich wie der Mörder neben der Leiche, der behauptet, dass er sich mit der Tatwaffe nur die Fingernägel säubern wollte.
Es ist ein schier endloser Kampf. „Du darfst NICHTS wegwerfen!“, rufen die Kinder. ALLES muss raus, denke ich. Die Zuckertüten-, Bonbonpapier- und Steinesammlungen im Kinderzimmer, die kaputten Schwimmflügel, die totgeliebten Stofftiere, die Kunstwerke aus dem Kindergarten, die Horden von kartoffelförmigen Knetmännchen, die Muschelscherben und teilamputierten
Plastikfiguren – hier muss mal gründlich aufgeräumt werden!
Eltern sind die Hüter der Ordnung im Familienleben, ach, seien wir ehrlich, meist ist es die Mutter, ob sie will oder nicht. Zwar lässt ein gewisses Durcheinander auf ein gesundes, ungezwungenes Familienleben schließen – untadelige Ordnung in einem Haushalt, in dem Kinder leben, hat für mich etwas Beängstigendes –, aber auch das Chaos kann bedrohlich und bedrückend werden. Je größer die Wohnung, desto größer das Problem. Ein Haus kann Unmengen von Kram schlucken. Wer jemals knietief in zerbrochenen Plastikteilen, gestrandeten Piratenschiffen, zerquetschten Wachsmalstiften und Puppenschränken mit herabhängenden Türen herumgewatet ist, weiß, wovon ich rede.
Strategien im Kampf gegen das Chaos
Eine Mutter kann das Problem auf drei Arten lösen. Entweder sie verpflichtet alle Familienmitglieder dazu, gemeinsam zu entscheiden, was weggeworfen werden soll. Oder sie erledigt das heimlich und streitet später alles ab. Oder aber sie fegt wie ein eiserner Besen durch die Zimmer und verfrachtet alles, was auf dem Boden herumliegt, in einen Müllsack. Bei den beiden letzten Methoden muss sie sich ein Herz aus Stein zulegen und Schmerzensschreie ignorieren wie „Wo ist der abgebrochene Haken aus meinem Traktor, mit dem ich die Lego-Lok repariert habe?“ Oder: „Jemand hat mein Lichtschwert gestohlen. Wir müssen zur Polizei gehen!“
Strenge Gleichbehandlung tut dabei not. Zu Recht würden die Kinder die Mutter der Günstlingswirtschaft bezichtigen, die den geheiligten Eierkarton des Sohnes in den Mülleimer wirft und die Zuckertüten seiner Schwester verschont. Oder wenn sie das heißgeliebte Blümchennachthemd einer Elfjährigen, das dieser seit fünf Jahren nur noch knapp über den Bauch reicht,
verschwinden lässt, aber das völlig zerschlissene Simpsons-T-Shirt des großen Bruders nicht anzurühren wagt.
Alle Maßnahmen erwecken bei Kindern den Eindruck, Aufräumen und Wegwerfen seien eine Strafe, und nicht etwas, das mit ihrer Lebensorganisation zu tun hat und ihnen hilft, die Übersicht zu behalten. Am besten beschränkt man sich daher auf zwei oder drei Dinge, die den Alltag erleichtern und die schon ein kleines Kind versteht: dass die Schuhe ins Regal gehören, damit niemand darüber stolpert. Dass man hin und wieder etwas wegwerfen muss, damit Platz für Neues ist. Familie ist zwar keine Kaserne, aber verwandeln Sie sich ruhig in strenge Feldwebel, wenn’s um schmutzige Kleider geht oder um grünbepelzte
Joghurtbecher, klebrige Eisstiele und schmierige Schokoladenreste. Aber stellen Sie die Ordnung nicht über die Liebe, die Toleranz und das familiäre Gelächter. Doch, doch, Aufräumen ist sinnvoll, für diese gute Idee muss man werben. Regeln helfen, etwa: „Dein Zimmer ist deine Sache. Aber die Küche wird abends freigeräumt.“ Oder: „Die Versorgungswege im Flur müssen frei bleiben.“ Bringen Sie die Botschaft locker rüber – aufräumen ist ein praktisches, kein moralisches Problem. Der
Anorak unter dem Küchentisch, die Bananenschalen im Bett und verschrumpelte Kastanien unterm Schrank sind Ärgernisse, aber kein Zeichen für einen schlechten Charakter.