Man darf wohl sagen, dass wir in einer hochzivilisierten, hochtechnisierten Gesellschaft leben. Es gibt das Internet und
es gibt den Thermomix. Wir fliegen zum Mond und zum Mars. Wir haben Armbanduhren, die alles können, von E-Mails beantworten bis Bewegungsprofile erstellen. Und trotzdem müssen wir immer noch Baumwollsocken tragen, die nach viermaligem Waschen eng und steif geworden sind. Und die man deshalb beim besten Willen nicht über die Füße bekommt. Ja, hallo, ist denn hier noch Mittelalter?!
Ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn meine Kinder ihren morgendlichen „Ich hasse Socken!“-Aufschrei loslassen. Selten klingen ihre süßen Flüche leidenschaftlicher. Selten kann ich so sehr mitfühlen. Denn wenn man die Geschichte der Neuzeit betrachtet, in der die meisten unserer heutigen Kleidungsstücke erfunden wurden, dann kann man doch wirklich nur ungläubig den Kopf schütteln. Mehr als einmal sind wir vom Regen in die Traufe gekommen. Aus Miedern und Korsetts wurden Push-up-BHs und Spanx, aus Kothurnen High Heels. Und wo sind wir heute? Bei superslim-en Kinderjeans, kratzigen Polyesterpullovern, Ballerinas aus Plastik. Wo bitte ist da der Fortschritt?
Wir Erwachsenen haben uns über viele Jahrzehnte irgendwie daran gewöhnt, dass Kleidung unbequem ist. Dass sie unzweckmäßig ist oder die Bewegungsfreiheit einschränkt. Wir haben gelernt: Das muss so sein. Das sieht so angeblich am ordentlichsten und modischsten aus. Oder: Das wurde schon immer so getragen.
Aber wer hat das eigentlich verfügt? Sind nicht einige unserer Kleidungsstücke schon vom Ansatz her falsch konzipiert? Und könnte man das leidige Thema Körperverhüllung nicht auch völlig anders denken? Ich glaube, genau solche Gedanken gehen Kleinkindern durch den Kopf. Sie sagen das natürlich nicht. Aber sie zerren verärgert an ihren Babymützchen, sobald sie auch nur halbwegs danach greifen können. Sie machen sich stocksteif, wenn man sie in Regenhosen stopfen will. Sie hassen es, wenn etwas Enges über ihren Kopf gezogen wird. Wenn sie älter werden, rennen sie kreischend weg, sobald Mama das Sonntagshemd und die passende Stoffhose aus dem Schrank holt. Manche Kindergartenkinder gehen lieber ganzjährig barfuß als freiwillig den Nahkampf mit der Strumpfhose aufzunehmen. Andere verschmähen das Unterhemd. Die Sandalen. Den Sonnenhut.
Ich kenne ein fünfjähriges Mädchen, das sich seit Jahren weigert, Röcke oder Kleider zu tragen. Sie akzeptiert nichts als bunte, flauschige Leggings. Der Gummizug darf nicht zu eng sein, das ist ihr einziges Kriterium. Ihre größeren Cousinen tragen das derzeit voll angesagte Teenager-Pendant dazu: sogenannte Onesies, also schlabberige Ganzkörperanzüge.
Und ganz ehrlich, wenn es nicht so verdammt geschäftsschädigend wäre, würde ich auch mit so einem Teil ins Büro gehen. Füße rein, Arme durch, einen langen Reißverschluss hochziehen – und schon bin ich fertig angezogen. Nichts zwickt, nichts rutscht, alles hat Luft. Herrlich.